Druckversion
Samstag, 14.06.2025, 18:19 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/hintergruende/h/kuenast-klage-gegen-facebook-uploadfilter-meinungsfreiheit-social-media-internet
Fenster schließen
Artikel drucken
44825

Renate Künast klagt gegen Facebook: Immer wieder das gleiche rechts­wid­rige Meme

von Annelie Kaufmann

27.04.2021

Teilnehmer der Pressekonferenz am 27.4.2021, darunter Renate Knast (Mitte).

Die Initiator:innen der Klage (c) HateAid gGmbH - Zuschnitt und Skalierung durch LTO

Die Grünen-Politikerin Renate Künast will mit einer Klage erreichen, dass Facebook nicht nur konkrete rechtswidrige Beiträge löscht, sondern gezielt nach sinngleichen Posts sucht und sie ebenfalls aus dem Netz nimmt.

Anzeige

Nein, Renate Künast hat nicht gesagt: "Integration fängt damit an, dass Sie als Deutscher mal türkisch lernen." Dass es sich um ein Fake-Zitat handelt, ist schon lange geklärt, im Netz taucht es aber immer wieder auf. Verbreitet jemand das Bild von Künast mit dem Zitat, etwa über Facebook, kann die Grünen-Politikerin das bei der Plattform melden, damit es gelöscht wird, jedes einzelne Mal. 

Doch Künast will etwas anderes erreichen: Facebook soll selbst nach wort- und sinngleichen Posts suchen und nicht nur den gemeldeten Beitrag löschen, sondern auch alle entsprechenden Beiträge – ausgenommen solche, in denen klargestellt wird, dass es sich um ein Falschzitat handelt. Sie hat deshalb eine Klage beim Landgericht (LG) Frankfurt am Main eingereicht, zusammen mit der Organisation HateAid, die Betroffene von Hatespeech berät, und der Alfred Landecker Foundation, einer Stiftung, die den Prozess finanziert.  

Die HateAid-Geschäftsführerin Anna-Lena von Hodenberg hofft auf ein Grundsatzurteil. Es sei unzumutbar, dass Betroffene von digitaler Gewalt die Social-Media-Plattformen durchkämmen und jeden einzelnen rechtswidrigen Inhalt selbst suchen und melden müssen, so von Hodenberg auf einer Pressekonferenz am Dienstagvormittag: "Die meisten Betroffenen haben keine Mittel und keine Kraft, um in langwierigen Prozessen gegen die großen Social-Media-Plattformen vorzugehen." 

Der EuGH hat einen ähnlichen Fall aus Österreich entschieden 

Einen ähnlichen Fall hatte bereits die österreichische Grünen-Politikerin Eva Glawischnig-Piesczek zunächst vor die österreichischen Gerichte und schließlich bis vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gebracht. Dabei ging es um Beleidigungen auf Facebook, die das Unternehmen erst gar nicht, später nur begrenzt auf den österreichischen Raum sperrte. Glawischnig-Piesczek wollte jedoch erreichen, dass Facebook die Kommentare weltweit sperrt und – wie in Künasts Fall – selbst nach wort- und sinngleichen Beiträgen sucht.  

Das Österreichische Oberste Gericht legte die Sache dem EuGH vor, weil es um die Auslegung der E-Commerce-Richtlinie ging. Seitdem ist eine Frage geklärt: Die Mitgliedstaaten dürfen Plattformbetreibern dazu verpflichtet, nicht nur rechtswidrige Äußerungen auf ihrer Plattform zu löschen, sondern auch nach weiteren wort- bzw. sinngleichen Inhalten zu suchen und diese ebenfalls zu entfernen (Urt. v. 04.10.2019, Az. C-18/18).  

Allerdings: Gesetzlich verpflichtet sind die Netzwerke in Deutschland dazu bisher nicht, auch wenn im Zusammenhang mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz solch eine weitergehende Löschpflicht immer wieder diskutiert worden war.  

Ist Facebook für die Posts seiner Nutzer verantwortlich? 

Künasts Rechtsanwälte Chan-jo Jun und Matthias Pilz von der Würzburger Kanzlei Jun Rechtsanwälte hoffen darauf, dass nun nicht nur die Rechtslage in Deutschland geklärt wird, sondern auch weitere grundsätzliche Fragen: "Es geht darum, welche Rolle die Social-Media-Plattformen spielen: Stellen sie lediglich die Speicherplattform zur Verfügung oder sind sie in einem gewissen Rahmen für die Inhalte verantwortlich?", so Jun gegenüber LTO. "Facebook stellt bestimmte Nutzungsbedingungen auf und moderiert die Timeline. Wenn der Konzern zulässt, dass bekanntermaßen rechtswidrige Inhalte verbreitet werden, ist er dafür verantwortlich." 

Facebook habe am Montagabend vor der Pressekonferenz reagiert, so die Initiator:innen der Klage. Das Unternehmen habe mitgeteilt, dass man nun auch identische Inhalte prüfen wolle und dies mit den besonderen Umständen dieses Falles begründet. Ein Facebook-Sprecher bestätigte gegenüber LTO, man habe "das von Frau Künast gemeldete falsche Zitat von der deutschen Facebook-Plattform entfernt und Frau Künast darüber informiert, dass wir ebenfalls Schritte einleiten, um identische Inhalte zu identifizieren und zu entfernen."  

Mit der Zusage von Facebook, nun effektiver gegen das Falschzitat vorzugehen, will Künast sich nicht zufriedengeben. Man wolle erreichen, dass Facebook eine strafbewehrte Unterlassungserklärung unterschreibt und tatsächlich dafür sorgt, dass das Falschzitat gelöscht wird. Zudem verlangt sie ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 Euro, so Rechtsanwalt Jun. "Wir gehen davon aus, dass es dennoch zu dem Verfahren kommt - und wir sind bereit, durch alle Instanzen gehen. Vor allem soll Facebook seine Praxis für alle User an das Gesetz anpassen." 

Geht das nur mit Uploadfiltern? 

Der Fall sei nur ein Beispiel, wie mit Meme-Kampagnen und falschen oder beleidigenden Inhalten Politiker:innen, Journalist:innen oder Wissenschaftler:innen angegriffen werden, betonte von Hodenberg. "Frauen werden dabei besonders häufig und aggressiv angegriffen und so aus Rollen herausgedrängt, die sie sich in den letzten Jahrzehnten mühsam erkämpft haben." 

Die Initiator:innen der Klage sehen diese als einen Beitrag dazu, demokratischen Meinungsaustausch im Netz zu gewährleisten. Unumstritten ist der Ansatz allerdings nicht. Sollte Facebook zur weitergehenden Löschung verpflichtet werden, könnte die Plattform sich dafür entscheiden, Uploadfilter einzusetzen, um von vorneherein zu verhindern, dass einmal gemeldete Beiträge erneut hochgeladen werden – und damit womöglich auch Beiträge blocken, die sich kritisch damit auseinandersetzen, berichten oder etwa über Falschzitate aufklären wollen (sog. Overblocking). Jun sagt dazu: "Wir wollen keine Uploadfilter, deshalb haben wir die Klage bewusst darauf begrenzt, dass bereits hochgeladenen Beiträge gelöscht werden sollen." 

Julia Reda, die sich unter anderem für die Gesellschaft für Freiheitsrechte gegen Uploadfilter einsetzt, sagte gegenüber LTO, die Klage betreffe "ein sensibles Spannungsfeld zwischen Persönlichkeitsrechten einerseits und Meinungs- und Pressefreiheit andererseits." Der Schutz vor Falschbehauptungen und Verleumdungen auf sozialen Netzwerken ist ein wichtiges Anliegen. Es sei jedoch "unklar, wie Facebook sicherstellen soll, dass Postings online bleiben, die das Meme als Falschzitat identifizieren, etwa journalistische Berichte oder Fact-Checking-Beiträge, die für die Ausübung der Meinungs- und Pressefreiheit besonders wichtig sind".  

Die Klageinitiator:innen betonen, Facebook dürfe sich nicht auf eine technische Überprüfung begrenzen, sondern müsse die Ergebnisse manuell kontrollieren. 

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

Renate Künast klagt gegen Facebook: . In: Legal Tribune Online, 27.04.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44825 (abgerufen am: 15.06.2025 )

Infos zum Zitiervorschlag
  • Mehr zum Thema
    • Urheber- und Medienrecht
    • Facebook
    • Hass-Posts
    • Internet
    • Internet-Kriminalität
    • Internetsperren
    • Meinungsfreiheit
    • Social Media
  • Gerichte
    • Landgericht Frankfurt am Main
Der Hannoveraner Finanzprofessor Stefan Homburg hält 2015 einen Vortrag auf einem AfD-Parteitag in Bremen 13.06.2025
Meinungsfreiheit

Stefan Homburg wegen "Alles für Deutschland" verurteilt:

Wenn auch die Kritik am Tabu tabu ist

Corona-Kritiker Stefan Homburg kritisierte öffentlich, der Spruch "Alles für Deutschland" werde zu Unrecht als SA-Parole kriminalisiert, und kassierte dafür eine Geldstrafe. Der Fall entblößt den zweifelhaften Schutzzweck der Strafnorm.

Artikel lesen
Die Leibniz Universität in Hannover 12.06.2025
Strafprozess

Geldstrafe nach "Alles für Deutschland"-Tweets:

Amts­ge­richt ver­ur­teilt Corona-Kri­tiker Stefan Hom­burg

10.400 Euro Geldstrafe: Das AG Hannover hat den pensionierten Professor der Leibniz Universität wegen des Verwendens einer SA-Parole verurteilt. Er selbst spricht von einem politischen Prozess und sieht seine Meinungsfreiheit verletzt.

Artikel lesen
Das Bild zeigt jemanden, der Zeitschriften signiert, möglicherweise im Kontext des Compact-Verbots und dessen rechtlichen Auseinandersetzungen. 10.06.2025
Pressefreiheit

Hauptsacheverfahren zum Compact-Verbot am BVerwG:

Ver­eins­verbot oder Zen­sur­verbot?

Nach dem Eilverfahren vor dem BVerwG durfte das rechtsextreme Compact-Magazin erstmal weiter erscheinen, jetzt geht die Verhandlung in der Hauptsache los. Es geht um Grundsatzfragen zur Presse- und Meinungsfreiheit, meint David Werdermann.

Artikel lesen
Stefan von Raumer 05.06.2025
DAV

76. Deutscher Anwaltstag:

Anwalt­ve­rein will Unter­wan­de­rung durch Ext­re­misten ver­hin­dern

Auf dem Anwaltstag in Berlin erfüllen den Deutschen Anwaltsverein nicht nur die rechtspolitischen Pläne der neuen Bundesregierung mit großer Sorge. Auch die mögliche Unterwanderung der eigenen Zunft durch Extremisten treibt den Verband um.

Artikel lesen
Innenminister Dobrindt und BKA-Chef Münch 04.06.2025
Internet-Kriminalität

Rechtlich, technisch, organisatorisch:

Dobrindt will gegen Cyber­kri­mi­nelle aufrüsten

Datenklau, Ransomware, Computerbetrug: Jährlich verursachen digitale Angriffe Milliardenschäden. Innenminister Dobrindt und BKA-Chef Münch wollen aufrüsten, doch die Polizei ist skeptisch.

Artikel lesen
Demonstranten schwenken georgische Nationalflaggen während einer Protestaktion der Opposition gegen das "Gesetz zur Transparenz ausländischer Einflussnahme" in Tiflis, Georgien, am 02.05.2024. 02.06.2025
Menschenrechte

Bericht von "Brot für die Welt":

Demo­k­ratie und Men­schen­rechte welt­weit unter Druck

Ein jährlicher Bericht von "Brot für die Welt" untersucht, welche zivilgesellschaftlichen Freiheiten die Staaten den Bürgern gewähren. Die Freiheitsrechte in Deutschland seien "beeinträchtigt", was der zweitbesten Kategorie entspricht.

Artikel lesen
ads lto paragraph
lto karriere logo
ads career people

Wir haben die Top-Jobs für Jurist:innen

Jetzt registrieren
logo lto karriere
TopJOBS
Logo von Personalamt der Freien und Hansestadt Hamburg
Voll­ju­rist:in­nen (m/w/d) - Trainee­pro­gramm für an­ge­hen­de...

Personalamt der Freien und Hansestadt Hamburg , Ham­burg

Logo von Becker Büttner Held
Wis­sen­schaft­li­chen Mit­ar­bei­ter/Re­fe­ren­dar/Dok­to­rand (m/w/d) in...

Becker Büttner Held , Mün­chen

Logo von ARQIS
Prak­ti­kan­ten (m/​w/​d) AR­QIS Sum­mer School 2025

ARQIS , Düs­sel­dorf

Logo von Osborne Clarke GmbH & Co. KG
Rechts­an­walt mit Be­ruf­s­er­fah­rung (w/m/d) IT-Recht, E-Com­mer­ce und di­gi­ta­le...

Osborne Clarke GmbH & Co. KG , Ber­lin

Logo von Oppenhoff
Re­fe­ren­da­re (m/w/d) al­le Fach­be­rei­che

Oppenhoff , Frank­furt am Main

Logo von Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg
Staats­an­wäl­tin (Rich­te­rin auf Pro­be) / Staats­an­walt (Rich­ter auf Pro­be)...

Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg , Cott­bus

Logo von Oppenhoff
Re­fe­ren­da­re (m/w/d) al­le Fach­be­rei­che

Oppenhoff , Köln

Logo von CMS Deutschland
Rechts­an­wäl­te (m/w/d) für den Be­reich Me­di­en- und Ur­he­ber­recht

CMS Deutschland , Ham­burg

Mehr Stellenanzeigen
logo lto events
ADR als Kostenfaktor – oder Wettbewerbsvorteil? Der ökonomische Blick auf Konfliktlösung

23.06.2025

Digital Dialog: Arbeitsrechtliche Restrukturierungsmaßnahmen

24.06.2025

Logo von Georg-August-Universität Göttingen
Kolloquium "Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Digitalisierung der Gerichtsbarkeiten"

23.06.2025

NomosWebinar: Cyber Resilience Act

25.06.2025

Alles nach Plan – Unternehmenssanierung durch Insolvenz- und Restrukturierungsplan (§ 15 FAO)

24.06.2025

Mehr Events
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH