Vor dem IGH beginnen am Montag die Anhörungen zur Klage Deutschlands gegen die Republik Italien. Dort und in Griechenland haben die Opfer von NS-Kriegsverbrechen bereits erfolgreich Urteile gegen die Bundesrepublik erstritten. In Den Haag geht es nun um die Frage der Durchsetzbarkeit dieser Entscheidungen - und um die Macht der Geschädigten. Ein Kommentar von Martin Klingner.
Bis zum 16. September wird der Internationale Gerichtshof (IGH) darüber verhandeln, ob Deutschland Entschädigungszahlungen an die Opfer von Kriegsverbrechen leisten muss, die diese in ehemals von Nazi-Deutschland besetzten Ländern erlitten haben. Im Zentrum wird dabei die Frage stehen, ob sich Deutschland den bisher dazu ergangenenen Entscheidungen ausländischer Gerichte beugen muss. So waren Opfern in Griechenland Beträge zugesprochen worden; Griechenland wohnt jetzt dem Prozess als Beobachter bei.
Bislang waren bundesdeutsche Regierungen nicht bereit, entsprechende Zahlungen zu leisten; Verfahren vor hiesigen Gerichten blieben ergebnislos, da diese individuelle Ansprüche nicht anerkennen. Zuletzt entschied der Bundesgerichtshof (BGH), dass im Krieg etwa Ansprüche aus Amtshaftung ausgeschlossen sind. Maßgeblich sei hier die Rechtslage des Jahres 1944, womit das Gericht letztlich der Rechtsauslegung des NS-Regimes folgte (Urt. v. 26.06. 2003, Az. III ZR 245/98).
Im Gegensatz hierzu hatten zahlreiche Klagen griechischer und italienischer NS-Opfer und deren Angehöriger vor ausländischen Gerichten Erfolg. Bereits im Jahr 2000 erstritten Überlebende und Angehörige eines Massakers deutscher SS-Truppen an 218 Männern, Frauen und Kindern im griechischen Distomo vor dem obersten Gericht Griechenlands (Areopag) ein rechtskräftiges Urteil. Deutschland wurde zur Zahlung von etwa 28 Millionen Euro nebst Zinsen verurteilt.
Deutschland missbraucht den IGH
Nachdem eine Vollstreckung dieser Entscheidung in Griechenland an der diplomatischen Intervention Berlins scheiterte, erklärte das italienische oberste Gericht, der Kassationsgerichtshof, im Jahr 2008 die Vollstreckung in Italien für zulässig. Parallel dazu entschied das Gericht auch in Verfahren italienischer Opfer von NS-Massakern sowie ehemaliger Zwangsarbeiter, dass diese ihre Ansprüche vor italienischen Gerichten geltend machen können.
Vor diesem Hintergrund erhob die Bundesrepublik Deutschland am 22. Dezember 2008 gegen Italien Klage vor dem IGH in Den Haag. Erklärtes Ziel ist es, die Durchsetzung von Entschädigungsansprüchen aus NS-Kriegsverbrechen zu vereiteln und weitere Klagen zu verhindern. Zur Begründung beruft sich die Bundesrepublik darauf, dass die italienischen Gerichte den Grundsatz der Staatenimmunität verletzt hätten. Dieser schließe es kategorisch aus, dass ein Staat vor Gerichten eines anderen Landes verklagt wird. Diese Feststellung steht auch im Einklang mit der Aussage der Richter des BGH aus dem Jahr 2003.
Die griechischen und italienischen Gerichte hatten demgegenüber festgestellt, dass die Durchsetzung der Menschenrechte vorrangig ist und der Grundsatz der Staatenimmunität jedenfalls bei Kriegsverbrechen und schweren Menschenrechtsverletzungen keine Geltung hat. Nur mit einem solchen Rechtsverständnis werde man dem Bedürfnis nach umfassendem Rechtschutz der Zivilbevölkerung gerecht. Zudem würde dies präventiv gegenüber zukünftigen Kriegsverbrechen wirken.
Deutschland versucht nun mit seiner Klage den IGH dafür zu missbrauchen, die Rechtsprechung souveräner Staaten außer Kraft zu setzen - ein Vorgang, der eigentlich innerhalb der Europäischen Union die Alarmglocken läuten lassen müsste. Denn grundsätzlich ist die Rechtsprechung aller EU-Staaten gleichwertig und wird wechselseitig anerkannt.
Das Recht ist bei den Opfern, die Macht liegt im Staat
Die Entscheidung ist also vollkommen offen: Zu welchem Ergebnis der IGH kommen wird, haben die 15 Richter bislang nicht durchblicken lassen. Die Entwicklung im Völkerrecht, die die Urteile des Areopag und des Kassationsgerichtshof verdeutlichen, könnte eigentlich optimistisch stimmen. Denn die Tendenz geht eindeutig dahin, die Rechte der Individuen zu stärken.
Allerdings gewähren die Europäische Menschenrechtskonvention und andere internationale Verträge nur theoretisch umfassenden Rechtschutz für die Opfer von Kriegsverbrechen. Tatsächlich versuchen die meisten Staaten vehement, sich für vergangene und künftige Kriege nicht gegenüber der Zivilbevölkerung verantworten zu müssen. Klagen von Kriegsopfern auf Entschädigung, die nicht mit diplomatischen Mitteln abgewehrt werden können, fürchtet die Staatengemeinschaft wie der Teufel das Weihwasser.
Das Recht ist zwar auf Seiten der Betroffenen, die Macht jedoch leider nicht. Man muss abwarten, für welche Seite sich der Internationale Gerichtshof entscheidet.
Martin Klingner ist Rechtsanwalt in Hamburg. Er vertritt unter anderem die Geschwister Sfountouris aus Distomo/Griechenland in ihrem Entschädigungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
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Kriegsopfer-Entschädigung vor IGH: . In: Legal Tribune Online, 12.09.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4263 (abgerufen am: 12.12.2024 )
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