Krach bei Scientology: Money, money über alles?

John Travolta, Kirstie Alley, Chick Corea. Viele Prominente haben schon für Scientology geworben. Dabei betont die Vereinigung stets ihre religiöse Ausrichtung. Kritiker sehen in ihr dagegen nur eines: ein Wirtschaftsunternehmen. Die Juristen sind wie so oft uneins. Der Brandbrief einer Scientologin könnte die Diskussion jetzt ganz neu befeuern, meint Arnd Diringer.

Es gibt wenige Vereinigungen in Deutschland, über die so oft und so emotional diskutiert wird wie über die so genannte Scientology-Organisation. Und es gibt wohl keine Gemeinschaft aus dem weiten Bereich der neureligiösen Bewegungen, die schon so häufig die Gerichte beschäftigt hat. Doch trotz der mittlerweile seit Jahrzehnten andauernden Debatte ist über die Vereinigung erstaunlich wenig bekannt.

Das könnte sich nun ändern. Eine Scientologin hat nach Informationen des Spiegel an mehrere tausend Mitglieder der Vereinigung ein Schreiben versandt. Debbie Cook, die früher hohe Posten in der Organisation bekleidet hat, soll sich darin insbesondere über die Spendenpraxis beklagen.

Nach ihren Angaben soll Scientology mittlerweile über eine Milliarde Dollar angehäuft haben. Dieses Geld werde jedoch entgegen den Vorgaben Hubbards nicht für die Verbreitung der "religiösen Lehre" verwandt, sondern gehortet oder in unnötige Immobilien investiert.

Das Schreiben soll nicht nur brisante Informationen über die Vereinigung enthalten, sondern könnte auch deren juristische Bewertung in Deutschland grundlegend verändern. Seit vierzig Jahren wird vor allem eine Frage in der Rechtsprechung und Lehre kontrovers diskutiert: Kann die Organisation sich auf den grundrechtlichen Schutz der Religionsfreiheit berufen?

BAG 1995: Tatsachen aus zweiter Hand

Bisher war die Beantwortung dieser Frage vor allem wegen der kaum überschaubaren Menge scientologischer Materialien schwierig.

Nach eigenen Angaben umfasst allein das Gesamtwerk ihres Gründers L. Ron Hubbard über 5.000 Schriften und 3.000 Tonbandaufzeichnungen, die Schriften der "Scientology-Religion" enthalten insgesamt 35 Millionen Worte (Das Scientology Handbuch, 1994, S. 787). Hinzu kommt eine sehr komplexe Organisationsstruktur, die man nur verstehen kann, wenn man auch ihre Lehre verstanden hat.

Vor diesem Hintergrund neigten Buchautoren, Journalisten und leider auch Juristen nur allzu gerne dazu, es mit der Erforschung der Tatsachenbasis nicht allzu genau zu nehmen. Das zeigt sich auch an einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) aus dem Jahr 1995 (Az. 5 AZB 21/94). Auf der Grundlage dieser Entscheidung sind noch immer viele Juristen der Auffassung, die wirtschaftliche Ausrichtung der Scientology-Organisation sei bewiesen.

"Mach' Geld"

Die Erfurter Richter haben in dieser Entscheidung unter anderem die wohl berühmteste Anweisung Hubbards "make money, make more money, make other people so as to produce money" herangezogen. Damit wollten sie belegen, dass die Scientology-Organisation keine Religionsgemeinschaft, sondern lediglich eine "Institution zur Vermarktung bestimmter Erzeugnisse" ist. Zitiert wird die Äußerung nach einem Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts (v. 06.07.1993, Az. Bf VI 12/01).

Hätten sich die obersten Arbeitsrichter die Mühe gemacht, die Primärquelle (Hubbard Communication Office (HCO), Policy Letter v. 09.03.1972) zu lesen, hätten sie gesehen, dass es sich dabei um eine Finanzrichtlinie handelt. Sie enthält lediglich Anweisungen, um die Zahlungsfähigkeit der einzelnen Scientology-Gliederungen sicherzustellen.

Dazu gehört zum Beispiel, dass nicht mehr ausgegeben werden darf als bezahlt werden kann, dass niemals etwas geliehen werden darf und dass alle (Geldfluss-) Linien ständig überwacht werden müssen. Auch "make money" ist in diesem Zusammenhang nicht mehr als eine Vorgabe zur Herstellung der Solvenz der Vereinigung – mag sie aus dem Zusammenhang gerissen auch noch so ungewöhnlich klingen.

Hubbard und das liebe Geld

Andere Äußerungen Hubbards belegen hingegen, dass er Geld stets als Mittel zum Zweck angesehen hat. So führt er zum Beispiel in einem Text mit dem Titel "Money Motivation" aus, dass Geld nur "das Öl für die Maschine, nicht aber der Motor selbst" ist. Weiter heißt es dort: "Man benötigt auch Dreck, um Dinge zu bauen, aber trotzdem kann Dreck nicht als Hauptmotivation des Lebens angesehen werden. Geld ist ein Werkzeug, ein Benzintank. Es ist ein Mittel, dafür zu sorgen, dass etwas erledigt wird".

Welchen Zweck der Gründer der Scientologen damit meint, zeigen die Anweisungen in anderen Richtlinienbriefen. Darin wird angeführt, dass wirtschaftliche Mittel nur dazu dienen, dass die Organisation wachsen und ihre Lehren verbreiten kann (vgl. z.B. HCO Policy Letter v. 7.2.1965).

Solche Festlegungen Hubbards sind für Scientologen verbindlich. Die Weigerung, die Anweisung in einer Richtlinie einzuhalten, sehen sie als so genannte unterdrückerische Handlung an (HCO Policy Letter vom 5.4.1965). Sie zielt nach Auffassung Hubbards darauf ab, die Scientology oder einen Scientologen zu behindern oder zu zerstören“ (Hubbard, Einführung in die Ethik der Scientology, 2007, S. 308). In der Vereinigung gelten "unterdrückerische Handlungen" als "Schwerverbrechen" (Hubbard, a.a.O., Seite 307).

Was ist los bei Scientology?

Vor diesem Hintergrund zeigt sich die Sprengkraft des Schreibens, das Debbie Cook versandt haben soll. Denn darin wird der Scientology-Führung das "Schwerverbrechen" vorgeworfen, sich nicht an Hubbards Vorgaben zu halten.

Im Internet kursiert zwischenzeitlich eine vollständige Fassung dieses Briefes. Danach gehen die Anschuldigungen noch erheblich weiter als in dem Spiegel-Bericht dargelegt. Unter anderem wird darin ausgeführt, dass eine Vielzahl von Führungskräften aus ihren Ämtern entfernt wurde und so genannte Ethikprogramme, also Strafmaßnahmen der Vereinigung, durchlaufen mussten.

Alleiniger "Führer" von Scientology sei mittlerweile David Miscavige, der Leiter des Religious Technology Centers (RTC). Dieses Center ist kein Teil der Church of Scientology, sondern eine "parallel laufende Überwachungsorganisation" (Die Führungskanäle der Scientology, 1988, Seite 6). Das Center ist auch Inhaber der Warenzeichen und Urheberrechte an Scientology (vgl. Was ist Scientology, 1998, Seite 406).

Eine Debatte und ihre möglichen Folgen

Ob die im Spiegel genannten Aussagen tatsächlich von Debbie Cook stammen, lässt sich derzeit nicht verlässlich feststellen. Auch kann noch niemand mit Gewissheit sagen, ob der im Netz verbreitete Brief echt ist.

Schon deshalb sollten auch die in dem Schreiben erhobenen Anschuldigungen kritisch betrachtet werden. Bewiesen sind sie bislang nicht, auch wenn zumindest einige der Vorwürfe nicht abwegig erscheinen. Sollten sie zutreffen, so stünde Scientology wohl wieder einmal vor einer Zerreißprobe.

Ähnliche Probleme hatte die Organisation bereits nach strukturellen und personellen Veränderungen zu Beginn der achtziger Jahre. Damals verließen viele Mitglieder, unter ihnen hochrangige Scientologen aus dem Umfeld Hubbards, die Vereinigung und schlossen sich in der so genannten Freezone zusammen. Diese sieht ihr Ziel darin, "die Technologie und Philosophie von L. Ron Hubbard (...) in Freiheit anzuwenden", grenzt sich jedoch ausdrücklich "gegenüber den offiziellen und inoffiziellen Organisationen der Scientology-Kirche ab".

Auch die freien Scientologen erheben im Internet schwere Vorwürfe gegen das Management der "Scientology Kirche" und kritisieren deren Geldpolitik. Sie zielen damit in die gleiche Richtung wie die Vorwürfe aus dem nun vorliegenden Schreiben.

Wenn sich die Behauptungen als wahr erweisen, könnte das weit reichende Folgen haben. Nicht zuletzt die Frage, ob die Vereinigung ein Wirtschaftsunternehmen oder aber eine Religionsgemeinschaft ist, müsste auf einer anderen Tatsachengrundlage beantwortet werden. Die falsche Entscheidung des BAG aus dem Jahr 1995 wäre dann womöglich 2012 zumindest im Ergebnis richtig.

Der Autor Prof. Dr. Arnd Diringer lehrt an der Hochschule Ludwigsburg und leitet dort die Forschungsstelle für Personal und Arbeitsrecht. Er hat über Scientology promoviert und mehrere Bücher und wissenschaftliche Fachbeiträge zu diesem Thema veröffentlicht.

 

Mehr auf LTO.de:

Baden-Württemberg verweigert Körperschaftsstatus: Die Zeugen Jehovas zwischen Bibeltreue und Rechtstreue

Flüchtiger Sektenarzt: Im sicheren deutschen Hafen

BVerwG: Mutmaßlicher Hamas-Spendenverein soll Geldflüsse offenlegen

Zitiervorschlag

Arnd Diringer, Krach bei Scientology: Money, money über alles? . In: Legal Tribune Online, 09.01.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5251/ (abgerufen am: 27.03.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen