Geschäftsidee eines Frisörs in Hannover: Mittwochs gibt es 40 Prozent Rabatt für Frauen mit Kopftuch. Eine bestimmte Religionszugehörigkeit braucht es dabei nicht. Ist das rechtmäßig oder eine Diskriminierung gegenüber den Frauen ohne Kopftuch?
Ein Frisör aus Hannover gewährt Frauen mit Kopftuch einmal in der Woche 40 Prozent Rabatt "auf alles". Celal K., erfolgreicher Geschäftsmann und selbst muslimischer Kurde, wollte mit der Aktion auf ein neues Angebot aufmerksam machen, erzählte er der Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ). Die hatte zuerst berichtet. K. bietet im Obergeschoss seines Salons einen von außen nicht einsehbaren Bereich exklusiv für Frauen, die dort auch nur von Frauen bedient werden, denn Musliminnen nehmen in Anwesenheit von Männern ihr Kopftuch nicht ab. Mit dem separaten Bereich bietet er den notwendigen geschützten Raum.
Er betont gegenüber HAZ, das Rabattangebot gelte prinzipiell natürlich auch für jüdische oder christliche Frauen. "Sie müssen eben nur Kopftuch tragen." Für Damen ohne Kopftuch, die auch nicht auf den Frauenbereich im Obergeschoss angewiesen seien, gebe es andere gute Sonderangebote.
Eine 82-Jährige fühlt sich dadurch ungerecht behandelt. Sie sagte der Zeitung: "Als Frau, die kein Kopftuch trägt, möchte ich nicht benachteiligt werden. Ein solches Vorgehen empfinde ich als ausgrenzend." Sie wandte sich an die Hannoversche Antidiskriminierungsstelle.
So stellt sich mal wieder die spannendste aller Fragen: Wie ist die Rechtslage?
Das AGG und der Kinderteller im Restaurant
Darf ein Geschäftsmann seinen Betrieb führen, wie er will? Immerhin sind ja auch keine Beschwerden über Kinder- oder Seniorenrabatte beim Haareschneiden oder in Restaurants bekannt. Wie also verhält es sich bei Rabatt wegen religiösen Zeichen? Kann es Frauen ohne Kopftuch diskriminieren, wenn ihnen kein Rabatt eingeräumt wird?
Entscheidend sind die Normen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Das Gesetz hat zum Ziel, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen, § 1 AGG. Häufig wird es im Arbeitsrecht relevant, es gilt aber auch im übrigen Zivilrechtsverkehr, § 2 Abs. 1 Nr. 5 bis 8 AGG. In § 2 Abs. 1 Nr. 5 AGG ist festgelegt, dass "sozialen Vergünstigungen" wegen einem der genannten Gründe unzulässig sind, es sei denn, sie sind ausnahmsweise erlaubt.
Für eine rechtswidrige Diskriminierung braucht es also eine Ungleichbehandlung wegen einem der Merkmale und eine soziale Vergünstigung, die nicht gerechtfertigt ist. Auch die Rabatte für Kinder, Student:innen oder Senior:innen stellen derartige Ungleichbehandlungen dar. Sie sind aber in aller Regel gerechtfertigt, um diesen Personen, die häufig wenig Geld haben, die Teilhabe am öffentlichen Leben und der Freizeitgestaltung zu ermöglichen.
Lässt sich dieser Gedanke auf Kopftuchträgerinnen übertragen?
Ungleichbehandlung, obwohl es alle tragen könnten?
Die Ungleichbehandlung liegt auf der Hand: Kopftuchträgerinnen bekommen eine Vergünstigung, alle anderen nicht. Sie erfolgt mittelbar gegenüber der Frau, die nicht in diesen Genuss kommt, und dürfte im Merkmal der Religion, ggf. auch dem Merkmal ethnischen Herkunft, begründet liegen. Mittelbar ist die Ungleichbehandlung deshalb, weil es hier nicht um die Benachteiligung der Nicht-Kopftuchträgerin geht, sondern um die Begünstigung der Frauen mit Kopftuch.
Dass der Geschäftsmann auch anderen Frauen den Rabatt einräumt, sobald sie ein Kopftuch tragen, ändert an dieser Bewertung nichts: Die Entscheidung, kein religiöses Zeichen zu tragen, ist durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die negative Religionsfreiheit geschützt: Jeder hat die Wahl, religiöse Symbole wie ein Kopftuch, ein Kreuz an einer Kette oder eine Kippa zu tragen oder eben nicht zu tragen.
Diese Ungleichbehandlung passiert auch in einem geschützten Schuldverhältnis i. S. d. § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG. Der Frisörbesuch dürfte als Massengeschäft zu bewerten sein, zumindest kommt es dabei nicht auf die konkreten Personen an.
Ausnahmsweise zulässig aus sachlichem Grund?
Doch könnte die Vergünstigung ausnahmsweise zulässig sein und eine Diskriminierung damit ausscheiden? Das wäre dann denkbar, wenn es einen sachlichen Grund für die unterschiedliche Behandlung gibt, § 20 AGG. Grundsätzlich denkbar wären nach § 20 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AGG das Bedürfnis nach Schutz der Intimsphäre oder der persönlichen Sicherheit. Typische Beispiele sind Frauenhäuser, Umkleideräume in Sportstätten oder das Verbot von Fahrgeschäften mit Menschen mit körperlichen Einschränkungen aus Gründen der Verkehrssicherheit.
Auch wenn muslimische Frauen mit Kopftuch weite Teile ihres Körpers in der Öffentlichkeit bedecken, ist hier eher nicht die Intimsphäre betroffen. Und selbst wenn: Damit ließe sich allerhöchstens die Einrichtung eines abgeschirmten Raumes für diese Zielgruppe rechtfertigen, nicht aber das Angebot eines Rabattes. Der steht in keinem Zusammenhang mit dem Schutzziel.
Ein rechtfertigender sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung liegt aber auch vor, wenn besondere Vorteile gewährt werden und ein Interesse an der Durchsetzung der Gleichbehandlung fehlt, § 20 Abs. 1 Nr. 3 AGG. Hierunter fallen die Einrichtung von Frauenparkplätzen, Student:innen- oder Senior:innenrabatte, Saunatage für Frauen oder Altersgrenzen in einigen Berufen und sogar die höheren Tarife für Frauen als Männer bei Frisörbesuchen – all das ist gerechtfertigt, weil für diese Vorteile kein Interesse an der Durchsetzung von Gleichbehandlung besteht.
Könnte diese Ausnahme also auch für muslimische Frauen im Vergleich zu anderen Frauen greifen? Fakt ist, dass kopftuchtragende Frauen nach Angaben der Antidiskriminierungsstelle des Bundes im Arbeitsleben "überdurchschnittlich häufig" Diskriminierungen ausgesetzt sind. Sie haben erwiesenermaßen schon schwierigeren Zugang zum Arbeitsmarkt und werden seltener bei Beförderungen berücksichtigt – beides kann Auswirkungen auf die finanzielle Lage der Frauen haben, was Rabatte speziell für sie rechtfertigen könnte.
Ausgleich für andere Benachteiligungen?
"Die Frage ist also, ob es den Rabatt für diesen Teil der Frauen braucht", sagt Prof. Dr. Gregor Thüsing. Fest steht für den Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit der Universität Bonn, dass es jedenfalls rechtswidrig wäre, nur Frauen ohne Kopftuch diesen Rabatt einzuräumen.
"Man könnte daran denken, dass kopftuchtragende Frauen zB im Beruf manchmal Nachteile erleiden", teilt Dr. Ulrike Brune, Richterin am Bundesarbeitsgericht i.R. auf LTO-Anfrage mit. "Die kann ein Friseurrabatt wohl eher nicht ausgleichen. Von daher ist das Vorhaben sicher gut gemeint, aber doch eher unzulässig."
"Ein Rabatt von 40 Prozent ist eine Menge Geld, da kann man wohl nicht mehr von einer Unerheblichkeit des Vorteils sprechen, aber das dürfte auch für den Unterschied zwischen Frauen- und Männertarifen in manchen Frisörläden gelten", meint Dr. Sabine Berghahn, Privatdozentin mit dem Arbeitsschwerpunkt Diskriminierung, gegenüber LTO. “Vielleicht reicht das ja als Rechtfertigung, wenn man freie Kapazitäten hat und den Laden auslasten will. In einer Marktwirtschaft ist das nicht verkehrt und vielleicht verfolgt der Ladeninhaber noch einen sozialen Zweck und möchte bestimmte Frauen miteinander in Kontakt bringen.”
Dass hier nach § 20 Abs. 1 Nr. 3 AGG kein Interesse an der Durchsetzung der Gleichbehandlung liegt, hält Prof. Dr. Felix Hartmann vom Institut für Arbeitsrecht an der Freien Universität Berlin für möglich. Das zumindest, wenn der Inhaber des Friseursalons das Ziel verfolge, Kopftuchträgerinnen einen geschützten Raum zu bieten. "Er könnte argumentieren, dass der gruppenbezogene Rabatt es ihm überhaupt erst ermöglicht, dieses besondere Angebot in wirtschaftlich vertretbarer Weise anzubieten. Wenn der Inhaber an einem Tag pro Woche eine ganze Etage seines Salons ausschließlich Kopftuchträgerinnen vorbehält, trägt sich dieses Modell nur, wenn es hinreichend nachgefragt wird", so Hartmann. Dieses Ziel würde es auch rechtfertigen, eine bestimmte Zielgruppe mit einem besonderen Rabatt locken zu wollen.
Denn die Gesetzesbegründung zum AGG sieht in den von § 20 Abs. 1 Nr. 3 erfassten Fällen auch ein Vehikel, um auf wirtschaftliche Ungleichheiten zu reagieren. Bei der Bevorzugung bestimmter Personengruppen, beispielsweise in Form von Rabatten oder Sonderkonditionen, sieht der Gesetzgeber nicht zwingend einen Anlass, den Grundsatz der Gleichbehandlung durchzusetzen. "Die gewährten Vergünstigungen reagieren nämlich entweder darauf, dass bestimmte Gruppen typischerweise weniger leistungsfähig sind", heißt es in der Gesetzesbegründung. "Oder aber die Vergünstigungen bezwecken die gezielte Ansprache von Kundenkreisen, die der Anbieter anlocken möchte. Diese Maßnahmen sind also nicht diskriminierend sondern im Gegenteil sozial erwünscht beziehungsweise Bestandteil einer auf Wettbewerb beruhenden Wirtschaft."
“Rechtlich wird die Ungleichbehandlung in diesem Fall im Ergebnis wohl gerechtfertigt sein”, meint Prof. Dr. Manfred Walser, Professor für Arbeits- und Wirtschaftsprivatrecht an der Hochschule Mainz. “Der Gesetzgeber erlaubt es, Vergünstigungen bestimmten Gruppen vorzubehalten, um eine zielgruppenorientierte Ansprache bestimmter Kundenkreise zu ermöglichen.” Das gilt aber nicht ausnahmslos: “Dies gilt allerdings nur, wenn die Förderung dieser Zielgruppe im Vordergrund steht und nicht eigentlich die Benachteiligung von anderen Personen bezweckt ist”, so Walser weiter.
Antidiskriminierungsstelle hält Werbemaßnahme nicht für geeignet
Wie aber wäre es zu beurteilen, wenn ein Frisör einen religionsfreien Tag ausriefe? Ein Rabatt für alle Frauen, die ohne religiöse Symbole zu ihm kommen: Würde man das als diskriminierend gegenüber den Frauen ansehen, die ein Kopftuch tragen? Wie wäre es alternativ zu beurteilen, wenn der Frisör allen Frauen unabhängig von religiösen Symbolen an einem Tag in der Woche einen Schutzraum samt Rabatt böte? Würde er auch so das Ziel erreichen, Frauen einen geschützten Raum ohne Blicke der Männer zu bieten, sogar soziale Kontakte der Frauen zu ermöglichen und seinen Laden zu füllen?
All das wäre wohl zu bejahen, die Bevorzugung eines Teils der Frauen ist dabei nicht erforderlich. Das Ziel, der angesprochenen Zielgruppe einen Nachteil, der ihnen beispielsweise durch Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt widerfährt, auszugleichen, würde damit jedoch nicht erreicht.
Die Hannoversche Antidiskriminierungsstelle blieb in dem Fall übrigens diplomatisch vermittelnd: "Unsere Stadt lebt von ihrer Vielfalt. Dazu gehören selbstverständlich auch Frauen, die ein Kopftuch tragen", teilte die Stelle auf LTO-Anfrage mit. Muslimische Frauen erführen in Deutschland aus verschiedenen Perspektiven Benachteiligung. Dennoch sei die Irritation der Anfragestellerin nachvollziehbar, dass sie sich als Frau, die kein Kopftuch trägt, anders behandelt fühlt als kopftuchtragende Frauen.
"Wir setzen uns dafür ein, dass alle Menschen die gleichen Chancen haben und den gleichen Respekt erfahren. Dazu müssen bestehende Hürden abgebaut werden, Kundenwerbungen wie diese sind dazu aus unserer Sicht aber nicht geeignet. Unser Ziel ist eine Stadtgesellschaft, in der Unterschiede nicht trennen, sondern bereichern".
So sieht es auch der Inhaber des Frisörsalons, er wolle "Menschen nicht auseinander-, sondern zusammenbringen", sagte er der Bild. Und dass es ihm um Werbung für die neu eröffnete Etage seines Salons gegangen sei. Das jedenfalls dürfte ihm gelungen sein.
Diskriminierung oder rechtfertigender Sachgrund?: . In: Legal Tribune Online, 24.09.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/58218 (abgerufen am: 15.11.2025 )
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