Die Versuche, auf gerichtlichem Weg Politik oder Wirtschaft zu bewegen, mehr als bisher für den Klimaschutz zu tun, mehren sich. Bei der Konrad-Adenauer-Stiftung ging es nun um Grundsätzliches: Klimaschutz per Gericht als "Ausweg oder Irrweg"?
Es muss etwas passieren, um den Klimawandel zu stoppen beziehungsweise wenigstens zu bremsen. Diese Einsicht hat sich weitgehend durchgesetzt, allein an konkreten und konsequenten Maßnahmen fehlt es vielerorts allerdings noch. Über Gerichte die Politik zum Handeln zu zwingen, ist deshalb das Ziel sogenannter Klimaklagen, die in vielen Ländern erhoben werden – sowohl von jungen Menschen wie etwa in Deutschland oder Portugal, aber auch von Betagteren, wie den Schweizer "Klimaseniorinnen".
Aber sind Gerichte wirklich der richtige Ort, um eine bestimmte Klimapolitik durchzusetzen? Oder sollte das nicht ausschließlich den demokratischen Strukturen der Politik überlassen werden?
Das Karlsruher Klimaurteil
Als "Paukenschlag" wurde der Karlsruher Beschluss zum Klimagesetz vom März dieses Jahres gerne bezeichnet. Von einem geradezu "historischen Urteil" schrieb seinerzeit die Süddeutsche Zeitung, "epochal für den Klimaschutz", twitterte Noch-Wirtschaftsminister Peter Altmaier.
Seither gab es zahlreiche Veranstaltungen, in denen Juristinnen und Juristen, aber auch Expertinnen und Experten anderer Disziplinen über die Entscheidung, ihre Bedeutung und deren Konsequenzen diskutierten.
Die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung hatte nun am vergangenen Freitag einen illustren Kreis aus verschiedener Juristinnen und Juristen dazu eingeladen, den Beschluss und allgemein die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen einer Judizialiserung des Klimaschutzes durch nationale und internationale Gerichte zu debattieren.
"Übergriffig" oder "zurückhaltend und bescheiden"?
Im ersten von insgesamt drei Panels stand dann auch der Karlsruher Beschluss im Fokus. Die Hamburger Rechtsanwältin Dr. Roda Verheyen, die mit weiteren Kolleginnen und Kollegen in der Klimaklage in Karlsruhe vertreten hat, sieht die Zunahme von erfolgreicher Klimaklagenpositiv, warnte jedoch am Freitag vor überzogenen Erwartungen. Durch die Gerichtsentscheidung allein werde keine einzige Tonne CO2 eingespart werden. Wichtig sei, dass in der Konsequenz die Politik Verantwortung zeige, so die Juristin, die hofft, dass der Gesetzgeber den Beschluss "ganz genau lesen" werde.
Für den Bonner Verwaltungsrechtler und Professor Dr. Klaus F. Gärditz ist der Beschluss weniger spektakulär als in der öffentlichen Diskussion dargestellt. Man kenne bereits seit langem einen vorbeugende Unterlassungsanspruch und auch die intertemporale Wirkung von Freiheitsrechten sei nicht neu, wie sie in der Karlsruher Entscheidung betont worden sei, so Gärditz. Er begrüßt vor allem, dass mit dem Beschluss - anders als von Kritikern behauptet werde - eine "kluge Klimapolitik" nicht aus den Händen des Gesetzgebers genommen wurde – der Richterspruch sei insofern “zurückhaltend und bescheiden”.
Heftige Kritik kam dagegen bei der anschließenden Diskussion aus dem Auditorium. Der Staatsrechtler Prof. (em.) Dr. Rupert Scholz bezeichnete die Entscheidung als "übergriffig", Karlsruhe habe ein Klimagrundrecht geschaffen, das es so nicht gebe. Art. 20a Grundgesetz (GG) sei vom Gesetzgeber gerade nicht als subjektives Recht gedacht worden. Auch die "Grundrechtsvorwirkung", die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) statuiert worden sei, bestätige, dass es eben noch keine Grundrechtsverletzung gebe, so Scholz weiter. Erbefürchtet, dass der Beschluss zum Türöffner für eine Popularklage werden könnte, wenn sich jeder mit der Behauptung, er werde in der Zukunft von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sein, an die Gerichte wendet.
Auch Prof. Dr. Juliane Kokott, Generalanwältin am Gerichtshof der Europäischen Union, meinte, dass sich das BVerfG hier einer Möglichkeit zur Popularklage angenähert habe - sieht das jedoch nicht unbedingt negativ.
Hoffen auf den EGMR?
Im zweiten Panel ging es auf die internationale Ebene. Richter des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) Tim Eicke beschrieb die Möglichkeiten des Klimarechtsschutzes durch das Straßburger Gericht. Dort lägenbereits ebenfalls Klimabeschwerden vor, unter anderem von jugendlichen Aktivisten aus Portugal und von den "Klimaseniorinnen" aus der Schweiz, die wegen des erhöhten Sterberisikos alter Menschen bei Hitzewellen klagen.
Diese Verfahren stünden allerdings noch ganz am Anfang, bisher ist noch nicht ausgemacht, ob die Klagen überhaupt zulässig sind, so Eicke. Fragen zur tatsächlichen Opfereigenschaft der Klägerinnen und Kläger, der Kausalität zwischen einzelstaatlichen Maßnahmen und zur Reichweite abwehrrechtlicher Schutzpflichten müssten hier zunächst geklärt werden, erläuterte er.
Bisher sind weder in der Menschenrechtskonvention selbst noch in den Zusatzprotokollen Rechte zum Klimaschutz enthalten. Deshalb stieße, so Eicke, der EGMR hier an Grenzen, denn er könne nur Verletzungen bereits bestehender Grundrechte prüfen. Allerdings hat die Parlamentarische Versammlung des Europarates jüngst einen Vorstoß gestartet, ein Recht auf eine sichere, gesunde und nachhaltige Umwelt zu verankern.
Für die Hamburger Völker- und Europarechtlerin Prof. Dr. Sigrid Boysen stellt sich die Frage der juristischen Durchsetzung von Klimazielen nicht nur unter dem Aspekt des Rechtsgüterschutzes, sondern auch der Verteilungsgerechtigkeit. Wie kann die Verantwortung für die Klimakrise fair und diskriminierungsfrei verteilt werden – zwischen den Generationen, aber auch zwischen den Bewohnern verschiedener Weltregionen? Auch prozessuale Fragen seien hier zu lösen. Inwieweit wäre der EGMR überhaupt zuständig bei Klimafolgen, die sich außerhalb des Territoriums der Mitgliedstaaten auswirken? Wie sollte eine gemeinschaftliche Verantwortlichkeit mehrerer Mitgliedstaaten behandelt werden? Im portugiesischen Fall beispielsweise haben die klagenden Jugendlichen gegen insgesamt 33 Mitgliedstaaten Klage erhoben. Muss nun in jedem Land zuvor der nationale Rechtsweg ausgeschöpft werden?
Ein weiterer Knackpunkt: Selbst wenn Beschwerdeverfahren in Klimafragen vor dem EGMR Erfolg haben sollten, sei der Gerichthof bei seinen Verurteilungen bisher sehr zurückhaltend, sagte Eicke. Oft würde lediglich eine Rechtsverletzung festgestellt, allenfalls werde der Mitgliedstaat zur Zahlung eines Schadensersatzes verurteilt. Eine Verpflichtung aber zu einer konkreten Leistung, schon gar eines konkreten politischen Handelns, was in der Regel das Ziel von Klimaklagen sei, kenne der Gerichtshof bisher noch nicht – eine Änderung dieser Praxis wäre "groundbreaking", so der EGMR-ichter.
Kritik an Klagen gegen nichtstaatliche Akteure
Mit Prof. Dr. Bernhard Wegener von der Universität Erlangen-Nürnberg kam im dritten Panel ein deutlicher Kritiker von Klimaklagen als Mittel zur gerichtlichen Durchsetzung besseren Klimaschutzes zu Wort. Er widmete sich dabei nicht nur der Klimaentscheidung des BVerfG, sondern insbesondere auch dem Shell-Urteil in den Niederlanden. Ein Gericht in Den Haag hatte im Frühjahr entschieden, dass der Ölkonzern Shell seine Treibhausgasemissionen bis 2030 um netto 45 Prozent gegenüber dem Stand von 2019 reduzieren muss. Damit wurde erstmals ein Wirtschaftsunternehmen für Klimaschäden in Verantwortung genommen.
Das Urteil habe ihn "verblüfft", sagte Wegener. Für ihn sei nämlich nicht nachvollziehbar, wie aus den unbestimmten Maßstäben des Pariser Abkommens solche radikalen Konsequenzen abgeleitet werden könnten. Das Unternehmen habe sich im Rahmen der geltenden Vorgaben und Gesetze gehalten und sei nun dennoch "bestraft" worden. Sollte die Entscheidung in Deutschland Nachahmer finden, was angesichts der Klagen der Deutschen Umwelthilfe gegen BMW, Wintershall Dea und andere zu befürchten stehe, so Wegener, hieße das, dass Vorgaben des Gesetzgebers und der Verwaltung an Verlässlichkeit und damit an Bedeutung verlören.
Gerichte als Klimapolitiker?
Prof. Dr. Claudio Franzius von der Universität Bremen ging in der Debatte noch einen Schritt zurück und stellte die Überlegung an, ob der Klimawandel und die Reaktionen darauf, die massive Langzeitauswirkungen hätten, bei der Politik überhaupt in den richtigen Händen liegen - immerhin seien Regierungen immer nur begrenzt im Amt. Er sagte ganz klar: nein. Denn es gebe einen strukturellen Antagonismus zwischen der kurzzeitigen Legitimität auf der einen und einer Langzeitverantwortung auf der anderen Seite.
Mit dieser Aussage erregte er heftigen Unmut bei anwesenden Vertreterinnen und Vertretern der Politik im Auditorium: Prof. Dr. Winfried Bausback, Landtagsabgeordneter und früherer bayerischer Staatsminister für Justiz, kritisierte, damit werde der Politik unterstellt, nicht langfristig denken zu können. Damit aber tue man der Politik Unrecht, entscheidende Weichenstellungen müssten auch beim Klimaschutz durch demokratisch legitimierte Institutionen getroffen werden.
Fachdiskussion bei der Konrad-Adenauer-Stiftung: . In: Legal Tribune Online, 08.11.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46584 (abgerufen am: 06.10.2024 )
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