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"Friedensverhandlungen", "Energie statt Ideologie": Rus­si­sche Kriegs­pro­pa­ganda erreicht kom­mu­nale Insti­tu­tionen

von Dr. Patrick Heinemann

07.11.2022

Demonstranten halten ein Banner mit der Aufschrift "REGIERUNG ENTFERNEN!" während einer Protestaktion, um politische Veränderungen zu fordern.

Russische Propagandatöne besonders aus Ostdeutschland. Foto: picture alliance/dpa | Sebastian Willnow

Angetrieben u.a. von Handwerkern beteiligen sich Kommunen an Protesten gegen die Ukrainepolitik der Regierung, wollen Außenpolitik gestalten. Auffallend ist, wie dabei russische Desinformation reproduziert wird, zeigt Patrick Heinemann.

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Geht es nach der Bürgerschaft der Hansestadt Stralsund, ist die Politik der Bundesregierung schuld daran, dass "die Menschen in unserem Land Angst vor einem 3. Weltkrieg" haben". Die Lösung: Stralsund soll Ort eines historischen Friedens werden. In ihrer Sitzung vom 20. Oktober beschloss die Bürgerschaft mit großer Mehrheit, sich in einem Brief an die Bundesregierung als Ort für Friedensverhandlungen zwischen der Russischen Föderation und der von ihr angegriffenen Ukraine anzubieten. Nachdem LTO über die – nach Ansicht des Autors – Rechtswidrigkeit des Beschlusses wegen Kompetenzüberschreitung berichtete, kündigte das Land Mecklenburg-Vorpommern eine Prüfung des Beschlusses an.

Stralsund steht nicht allein da. Auch in der brandenburgischen Stadt Königs Wusterhausen, südöstlich von Berlin gelegen, will man jetzt in der Bundespolitik mitmischen. Ebenfalls am 20. Oktober beschloss die dortige Stadtverordnetenversammlung, einen offenen Brief an die Bundesregierung zu richten, in dem sie insbesondere weniger militärische Unterstützung der Ukraine und ein Ende der Sanktionen gegen Russland fordert. Es gebe "seitens der Bundesregierung keinerlei wahrnehmbares Bemühen um Diplomatie", zudem sei man wegen "der sogenannten Flüchtlingskrise" und der "Pandemiepolitik ... bereits mehrfach überstrapaziert". Auch die für Königs Wusterhausen zuständige Kommunalaufsichtsbehörde will den dortigen Beschluss jetzt auf seine Rechtmäßigkeit hin untersuchen. 

Ein weiteres aktuelles Beispiel bildet die sächsische Stadt Grimma, wo sich Oberbürgermeister und Landrat am 18. Oktober der Demo "Energie statt Ideologie" anschlossen. Bloße Einzelfälle oder handelt es sich um ein neues Phänomen?

Handwerker und Unternehmen machen Druck auf Kommunen

Oft sind es – ähnlich wie einst Pegida – zunächst äußerlich lose lokale Bewegungen, die Protestveranstaltungen "besorgter Bürger" organisieren, denen sich dann gelegentlich, vielleicht auch aus gefühltem Druck, örtliche Bürgermeisterinnen und Bürgermeister anschließen. Einen "heißen Herbst" kündigten Protestler einer tendenziell rechten Szene an, die ihre Wurzeln in der Corona-Protestbewegung hat. Auch in Stralsund und Königs Wusterhausen gibt es seit Längerem regelmäßige Demonstrationen gegen die Ukraine-Politik der Bundesregierung. In Grimma organisierte der Dachdeckermeister und Freie-Wähler-Stadtrat Johannes Heine die Versammlung, dort war es der Präsident der Leipziger Handwerkskammer, Matthias Forßbohm, der den applaudierenden Teilnehmern zurief, auf "die ideologiegetriebenen Experimente der Regierung" könne man "in Sachsen verzichten, denn wir wissen, wie sowas ausgehen kann", wie die Leipziger Zeitung berichtete. 

Noch mögen solche Stellungnahmen in anderen Teilen Deutschlands überwiegend Stirnrunzeln hervorrufen. In Königs Wusterhausen lässt die Aufzeichnung der Stadtverordnetenversammlung vom 20. Oktober dagegen nachvollziehen, wie der Druck des örtlichen Mittelstands auf die Lokalpolitik durchaus Eindruck machen kann. So führt etwa der dortige Briefe-Initiator und Stadtrat Christian Dorst einen örtlichen Betrieb, der Fertighäuser herstellt und deshalb nicht unerheblich zu den Gewerbesteuereinnahmen der Stadt beitragen dürfte. Ausdrücklich wies Bürgermeisterin Michaela Wiezorek vor der Stadtverordnetenversammlung darauf hin, sie habe von Dorst und anderen lokalen Gewerbetreibenden im Vorfeld vernommen, dass diese kommunale Einnahmequelle bald versiegen könnte.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich Vertreter der handwerklichen Selbstverwaltung mit Äußerungen zum russischen Angriffskrieg hervortun. Bereits am 17. August wollte die Kreishandwerkerschaft Anhalt-Dessau – ebenfalls in einem offenen Brief – von Bundeskanzler Scholz wissen, ob er Deutschland opfern wolle für die Ukraine, bei der keinesfalls "von einem lupenreinen demokratischen Staats gesprochen werden" könne. Die Kreishandwerkermeisterschaften von Dresden, Region Meißen, Südsachsen und Görlitz zogen mit einem Schreiben nach Berlin vom 5. September nach, sie fordern ebenfalls Verhandlungen mit dem russischen Regime. Warum protestieren ausgerechnet so viele Handwerker?

Propagandatöne besonders aus Ostdeutschland

Zwei Dinge stechen dabei ins Auge: Zum einen fallen Handwerksvertreter im Westen Deutschlands zumindest bislang nicht mit vergleichbar schrillen Tönen auf. Zum anderen beschränkt sich die Kritik der ostdeutschen Handwerker nicht allein auf die Schilderung der eigenen misslichen Lage aufgrund von Sanktionen oder steigenden Energiekosten. Vielmehr relativieren die Stellungnahmen regelmäßig die Kriegsschuld Russlands. Die Ukraine wird als korruptes Land hingestellt, ohne dass klar wird, wie das den russischen Angriff rechtfertigen kann. Damit werden Versatzstücke russischer Propaganda in den Diskurs eingespeist, die nichts mit der wirtschaftlichen Lage des Mittelstands zu tun haben.

Es ist unwahrscheinlich, dass Initiativen wie die in Stralsund und Königs Wusterhausen direkt aus Moskau gesteuert werden. Nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre ist aber durchaus vorstellbar, dass sich Russland den föderalen Aufbau Deutschlands und die kommunale Selbstverwaltung zu Nutze macht, um durch hybride Kriegführung mittelbarDruck auf den Bund auszuüben. Denn auch hier finden sich Argumentationsmuster der strategischen Kommunikation Russlands wieder: Der Ruf nach Friedensverhandlungen suggeriert, dass diese vor allem am Westen oder Präsident Selenskyj scheitern, obwohl es keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt, dass Putin von seinem Kriegsziel abrückt, die Eigenstaatlichkeit der Ukraine zu vernichten. In dem offenen Brief aus Königs Wusterhausen wiederum trifft man auf die Behauptung des Kremls, Russland könne wegen der verhängten Sanktionen weder Getreide noch Düngemittek in den "globalen Süden" exportieren. In der Realität aber ist dieser Export überhaupt nicht sanktioniert, worauf sowohl UN als auch EU hinweisen. Vielmehr dürfte die russische Führung die Erzeugnisse zurückhalten, um durch zunehmenden globalen Hunger eine Aufweichung der Sanktionen auf kriegswichtigen Sektoren zu erpressen. Doch wie hält die russische Propaganda überhaupt Einzug in Deutschlands Gemeinderäte?

Erfolg russischer Desinformationskampagne? 

Inzwischen gilt als allgemein anerkannt, dass Russland mit seiner sogenannten Troll-Armee versucht, durch Verbreiten von Desinformation, Hass und Hetze im Internet die öffentliche Meinungsbildung westlicher Gesellschaften zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Darauf weist auch der aktuelle Bericht des Bundesamts für Verfassungsschutz erneut hin. Prominente Anwendungsfälle waren insbesondere das Brexit-Referendum sowie die US-Präsidentschaftswahlen des Jahres 2016. Auch die Corona-Pandemie war ein willkommener Anlass für Russland, sich an einer weiteren Polarisierung westlicher Gesellschaften zu versuchen, wie sich einem ausführlichen Bericht des Europäischen Auswärtigen Dienstes entnehmen lässt. Bereits seit dem Jahr 2015 versucht die zusammen von EU und NATO betriebene East StratCom Task Force, russischen Desinformationskampagnen insbesondere im Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Ukraine entgegenzuwirken.

Jedenfalls ist es mindestens im Interesse Russlands, seinen Positionen durch entsprechende Beschlüsse in Kommunalorganen den Schein von Legitimität in Deutschland zu verleihen und hierdurch die Autorität des Bundes zu untergraben. Der gerade erst veröffentlichten CeMAS-Studie "Belastungsprobe für die Demokratie" zufolge hat die Akzeptanz für pro-russische Verschwörungserzählungen in der deutschen Gesellschaft seit Ausbruch des Kriegs deutlich zugenommen. Die nächsten Wochen und Monate werden zeigen, ob sich die skizzierte Entwicklung zu einem echten "Marsch durch die kommunalen Institutionen" ausweitet, der den Verfassungsschutz noch einmal vor besondere Herausforderungen stellen könnte.

 

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"Friedensverhandlungen", "Energie statt Ideologie": . In: Legal Tribune Online, 07.11.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50085 (abgerufen am: 14.11.2025 )

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