EU will Verbraucherschutz stärken: Sam­mel­klagen und mehr Klar­heit beim Online-Shop­ping

von Detlef Drewes

11.04.2018

"Ein neuer Deal für den Verbraucherschutz" – so hat die EU-Kommission ihr neues Regelwerk für die Kunden in Europa überschrieben. In Brüssel wurden die weitreichenden Vorschläge am Mittwoch vorgestellt. 

"Betrügen darf nicht so billig sein": Mit diesen Worten hat EU-Justizkommissarin Vera Jourová am Mittwoch das neue Regelwerk für Europas Kunden vorgestellt. Es geht um mehr Transparenz, Verlässlichkeit und Sicherheit für die Verbraucher. Die Unternehmen sollen sich konsequenter an den Rechten der Käufer orientieren müssen.

Das beginnt schon beim beliebten Online-Shopping. Wer künftig auf einem der großen Online-Marktplätze ein Produkt oder eine Dienstleistung erwirbt, soll vorher vom Anbieter darüber informiert werden, ob ein Privatmann oder ein Unternehmen als Verkäufer auftritt. Denn, so die Brüsseler Behörde, dies habe gravierende Auswirkungen auf die Schutzrechte, die im Zweifel in Anspruch genommen werden können.

Kein bevorzugtes Listen von Werbekunden in Online-Marktplätzen

Außerdem sollen Amazon, eBay oder auch Facebook ihre Nutzer darüber informieren, nach welchen Kriterien sie die Suchergebnisse gelistet haben. Derzeitige Praktiken wie eine bevorzugte Behandlung von Werbekunden darf es künftig nicht mehr geben. "Wir wollen einen fairen Online-Markt", betonte der Vizepräsident der Europäischen Kommission, Frans Timmermans.

In dieses Konzept gehört nach Ansicht der europäischen Behörde auch ein neues Rechtsinstrument: Sammelklagen. Das ist umstritten. Auch am Mittwoch warnte der CDU-Verbraucherschutz-Experte und Europa-Abgeordnete Andreas Schwab: "Es war falsch, sich die US-amerikanischen Sammelklagen zum Vorbild zu nehmen." So dürfe das Opt-Out-Modell, bei dem nicht mehr jeder einzelne Verbraucher seine Zustimmung zur Klage geben, sondern ausdrücklich seine Zustimmung entziehen muss, nicht in die EU eingeführt werden.

EU-Kommission: Sammelklagen nach Stufenmodell

Die Kommission will das ebenfalls verhindern und hat sich dafür ein mehrstufiges Modell ausgedacht. Wichtigster Punkt: Sammelklagen dürfen nur von "qualifizierten Institutionen" wie Verbraucherverbänden stellvertretend geführt werden.

Im einfachsten Fall ist bei diesen Verfahren die Zahl der Betroffenen bekannt und sie haben einen vergleichbaren Schaden erlitten. Dann können Verbraucherschutzorganisationen auf Schadensersatz für die Opfer klagen. Ein Mandat brauchen sie zunächst nicht. Sie dürfen nicht gewinnorientiert arbeiten und müssen ihre Finanzierung offenlegen.

In einem zweiten Szenario wäre der Streitwert so gering, dass die Zahlung von Schadensersatz an die Verbraucher unverhältnismäßig wäre. Im Falle einer Verurteilung würden die Konzerne dann Geld an gemeinnützige Stellen zahlen müssen.

Komplizierter ist der dritte Fall, wenn es um komplexe Verfahren geht, bei denen die Zahl der Geschädigten unklar und der individuelle Schaden auch sehr unterschiedlich ausfällt. Ein Beispiel sind die Abgasmanipulationen von Volkswagen und anderen Autobauern. Die Kommission sieht in solchen Fällen vor allem die nationalen Gerichte am Zug.

Sollten sie ein Recht auf Entschädigung grundsätzlich feststellen, kann jeder einzelne Geschädigte selbst einklagen und sich dann auf den vorhergehenden Richterspruch berufen. Anders als in den Vereinigten Staaten will die Brüsseler Kommission also verhindern, dass sich Kanzleien auf Sammelklagen spezialisieren und dabei auch astronomische Entschädigungen einklagen, an denen sie beteiligt sind. Die Zuständigkeit der Non-Profit-Organisationen in der EU könne dies verhindern, heißt es in Brüssel.

Aushöhlung beim Widerspruchsrecht?

"An manchen Stellen geht die EU-Kommissionmit ihren Vorschlägen in die richtige Richtung, bei anderen ist sie auf dem Holzweg", sagt die Verbraucherschutz-Expertin der SPD-Gruppe im Europäischen, Evelyne Gebhardt, die auch Vizepräsidentin des Abgeordnetenhauses ist. Sie befürchtet vor allem eine Aushöhlung des Widerspruchsrechtes.

Hintergrund ihrer Mahnung: Künftig soll es nicht mehr erlaubt sein, einen Artikel zu kaufen, einige Tage zu benutzen und dann zum vollen Erstattungspreis zurückzugeben. Wer seine Waren nicht nur kauft, sondern auch nutzt, verwirkt demnach den Anspruch auf Rückerhalt seines Geldes. Ansonsten wird es nach den jetzt vorliegenden Entwürfen bei einem Rücktrittsrecht vom Kauf innerhalb von 14 Tagen bleiben – für Waren wie für Dienstleistungen.

Höhere Strafen bei Verstößen gegen Verbraucherschutz

Außerdem soll es auf den Beitritt zu sozialen Netzwerken wie Facebook ausgedehnt werden. Innerhalb dieser Frist müsse ein Kunde seine Mitgliedschaft kündigen können, ohne Datenspuren zu hinterlassen. In der Zwischenzeit eingespeiste Informationen dürfen nicht nur versteckt, sie müssen rückstandslos gelöscht werden.

Zu den neuen Reglungen gehört auch die Androhung scharfer Strafen. Diese sollen im Höchstfall vier Prozent des Jahresumsatzes in dem jeweiligen Land betragen, wobei es den Mitgliedstaaten freigestellt wird, diese Schwelle noch zu erhöhen. Experten haben ausgerechnet, was das für Volkswagen bedeuten würde, wenn diese neuen Regelungen bereits in Kraft wäre. 2016 hat der Autobauern weltweit 217 Milliarden Euro umgesetzt, 20 Prozent (das entspricht 43 Milliarden Euro) in Deutschland.

Die Strafe würde dann bis zu 1,7 Milliarden Euro betragen. Allerdings könnten die Verbraucher in jedem anderen EU-Land ebenfalls klagen, so dass sich der Konzern unter Umständen bis zu 28 Sammelklage-Verfahren gegenübersehen würde.

Noch ist allerdings unklar, ob die Brüsseler Vorschläge tatsächlich so angenommen werden. Der Ministerrat, in dem die Mitgliedstaaten sitzen, muss ebenso wie das Europäische Parlament noch zustimmen. Vor Ende 2019 ist also kaum mit einem Inkrafttreten der neuen Bestimmungen zu rechnen.  

Zitiervorschlag

EU will Verbraucherschutz stärken: . In: Legal Tribune Online, 11.04.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28005 (abgerufen am: 03.12.2024 )

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