Abseits der Friedensverhandlungen in Havanna riskieren kolumbianische Richter und Staatsanwälte mit ihrer Arbeit ihr Leben und das ihrer Angehörigen. Anne Schneiderhan hat die Hilfsorganisation, die sich dieser Juristen annimmt, besucht.
Der kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos wird für seine Bemühungen um Frieden in seinem Heimatland den diesjährigen Friedensnobelpreis erhalten. Der mit der Guerilla-Gruppe FARC ausgehandelte Friedensvertrag wurde zwar Anfang Oktober von der Bevölkerung mit einer knappen Mehrheit abgelehnt, die Verhandlungen werden jedoch fortgesetzt. Hoffnung auf ein Ende des über 50 Jahre andauernden Bürgerkriegs besteht noch. Der Friedensschluss zwischen Regierung und FARC ist ein richtiger und wichtiger Schritt.
Er ist jedoch bei Weitem kein Allheilmittel für die Probleme des Landes. Richter und Staatsanwälte sehen sich in ihrer täglichen Arbeit immer häufiger mit Korruption, Einschüchterung und Bedrohung konfrontiert. Insbesondere auf dem Land ist die Justiz den Machenschaften krimineller Banden oft schutzlos ausgeliefert.
Im Jahr 2015 gab es insgesamt 65 registrierte Akte der Gewalt unmittelbar gegen Richter oder Staatsanwälte. Die Nichtregierungsorganisation FASOL (Fonde de Solidaridad con los Jueces colombianos) ist die einzige Organisation, die sich gezielt den Opfern dieser Gewalt gegen die Justiz annimmt. Bei meinem Besuch im Büro der Organisation im Herzen Bogotás, Kolumbiens Hauptstadt, werde ich von Geschäftsführer Carlos Ojeda, herzlich empfangen. Er und Julian Salazar, der juristische Berater, erläutern mir die Geschichte der NGO sowie die Probleme, mit denen sie aktuell zu kämpfen hat. Besonders eindrücklich ist die tragische Geschichte einer Staatsanwältin aus der ländlichen Provinz Valle de Cauca.
Kriminelle Banden verüben immer wieder Mordanschläge
Die Staatsanwältin, deren Name aus Sicherheitsgründen anonym bleiben muss, hatte Ermittlungen gegen 30 Mitglieder einer bewaffneten Bande eingeleitet, welche bekanntermaßen zu dem in ganz Kolumbien präsenten und gefürchteten Clan Úsuga gehört. Acht Personen wurden im Zuge ihrer Anstrengungen verhaftet. Zunächst wurde sie als Vorzeigeermittlerin von ihren Vorgesetzten gefeiert. Doch als sie Morddrohungen gegen sich und ihre Familie erhielt und bei der zuständigen Behörde Personenschutz beantragte, distanzierte man sich schnell von ihr.
Noch bevor der Schutzantrag bearbeitet war, hatten die Kriminellen zwei ihrer Brüder erschossen. Ihre Mutter entging etwas später nur knapp einem weiteren Mordanschlag. Die Staatsanwältin und 15 ihrer Familienmitglieder mussten ihr Dorf verlassen, da sie um ihr Leben fürchteten. Seit drei Jahren leben sie im Untergrund, aus der Heimat vertrieben, und werden noch immer bedroht. Erst vor wenigen Monaten kehrten zwei Mitglieder der Familie in die Nähe des Heimatdorfes zurück. Nur durch einen glücklichen Zufall konnte ein Mordanschlag auf sie verhindert werden.
Dass sie ihren Beruf nicht mehr ausüben kann, trifft die leidenschaftliche Staatsanwältin hart. Sie leidet unter schweren Depressionen. Unterstützung von staatlicher Seite bekommt sie keine. FASOL ist der einzige Ort, an dem sie Hilfe bekommt. Nun hoffen sie und ihre Familie auf politisches Asyl im Ausland, was derzeit der einzige Ausweg ist.
2/2: "Die Form der Gewalt hat sich verändert"
Diese Geschichte ist kein Einzelfall. FASOL betreut zurzeit unter anderem einen Richter, der wegen Morddrohungen untertauchen musste. Zwar sind die Morde an Richtern und Staatsanwälten in den letzten Jahren gesunken. Zwischen 1989 und 2013 gab es insgesamt 300 Ermordungen, 2014 noch sieben und im Jahre 2015 nur eine. Dagegen haben die Gewaltandrohungen dramatisch zugenommen.
"Die Form der Gewalt hat sich verändert", erklärt Ojeda und führt beinahe zynisch aus: "Früher wurde ein Richter gleich ermordet und die Sache war erledigt. Jetzt werden sie damit bedroht, dass ihren Familienangehörigen etwas passiert." In der Statistik tauchen nur die Morde an den Amtsträgern selbst auf. Die Morddrohung gegen Familienangehörige ist jedoch ein noch wirksameres Mittel zur Einschüchterung der Justiz.
Zudem ist diese Art der Bedrohung schwerer einzudämmen. Sie richtet sich auf einen größeren, schwieriger zu schützenden Personenkreis und endet nicht in jedem Fall mit der Amtsniederlegung der Zielperson, sondern kann für unbestimmte Zeit fortdauern und somit ganze Familien einschüchtern. Besonders kriminelle Banden, die keiner politischen Guerilla angehören, sondern rein wirtschaftliche Interessen verfolgen, nutzen die Schutzlosigkeit der Justiz im ländlichen Raum aus, um so ihre Macht durchzusetzen.
Staatlicher Schutz ist unzureichend – oder erst gar nicht wirksam
Der Staat als Arbeitgeber bietet kaum Hilfe in derartigen Fällen. Das Einzige, was ein Richter oder Staatsanwalt, der Morddrohungen erhält, tun kann, ist einen Antrag auf Personenschutz zu stellen. Allerdings, so Ojeda, liegt die Bearbeitungszeit dieser Anträge bei etwa zwei Wochen. Ein zu langer Zeitraum bei akuter Bedrohung.
Darüber hinaus genügen die Mittel oft nur für unzureichende Schutzmaßnahmen. So bekam etwa eine Gruppe von fünf bedrohten Richtern im ländlichen Raum gemeinsam lediglich einen Wagen mit Panzerglas zugeteilt. In ihren Wohnhäusern waren sie nicht geschützt. Das Familienmitglied eines Richters wurde in seinem Wohnhaus getötet. Der Bewilligungsprozess ist außerdem undurchsichtig und von außen nicht überprüfbar. Die Beamten sind somit der Willkür der zuständigen Behörde ausgeliefert.
FASOL bietet Unterstützung in diesem Prozess, ist aber selbst oft machtlos. Wenn Untertauchen der einzige Ausweg ist, hilft die Organisation bei der Umsetzung. Außerdem bietet sie finanzielle Unterstützung für die Familien der Opfer.
Mehr als nur finanzielle Unterstützung
Dies war bei der Gründung 1992 das Hauptanliegen der Organisation. Vor allem sollten die Kinder ermordeter Richter die Möglichkeit zu einer guten Ausbildung erhalten und gegebenenfalls studieren können. Als man feststellte, dass die Opfer und ihre Familien häufig durch ihre Erlebnisse stark traumatisiert waren, wurde das Angebot um psychologische Betreuung erweitert.
Heute bietet FASOL neben materieller Unterstützung juristische Beratung und konkrete Hilfe, etwa bei der Beantragung von Personenschutz oder im Asylverfahren. In der Zukunft soll ein Fokus auf präventive Maßnahmen gelegt werden. Richter und Staatsanwälte in besonders betroffenen Regionen sollen für Gefahren sensibilisiert und über bestehende Hilfsangebote aufgeklärt werden.
Er wünsche sich, dass es FASOL einmal nicht mehr geben müsse, sagt Carlos Ojeda. Aber es klingt eher traurig als optimistisch. Dass sich die Situation durch den Abschluss des Friedensvertrags ändern würde, glaubt er nicht. Denn von den akuten Problemen der Justiz ist in diesem Vertrag, wie auch in der aktuellen politischen Diskussion, nicht die Rede. vielleicht ändert sich das nach Abschluss der Friedensverhandlungen.
Anne Schneiderhan, Bedrohte Justiz in Kolumbien: Wenn Ermittlungen Leben und Familie kosten . In: Legal Tribune Online, 18.11.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21195/ (abgerufen am: 28.03.2024 )
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