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Die Klimaseniorinnen vor dem EGMR: Kann der Kli­ma­wandel Men­schen­rechte ver­letzen?

von Dr. Franziska Kring

28.03.2023

Die Co-Präsidentinnen der Klimaseniorinnen Anne Mahrer (links) und Rosmarie Wydler-Wälti (rechts), mit französischen Umweltaktivisten sowie Marie Toussaint, Mitglied des Europäischen Parlaments (dritte von rechts), am 27.10.2020 vor dem EGMR in Straßburg.

Ende Oktober 2020 haben die Klimaseniorinnen Anne Mahrer und Rosmarie Wydler-Wälti die Beschwerde symbolisch beim EGMR in Straßburg angekündigt. Foto: picture alliance/EPA-EFE | LEANDRE DUGGAN. 

Am Mittwoch verhandelt der EGMR in Straßburg über eine Klimaklage – und damit zum ersten Mal über die Frage, ob und inwiefern die Mitgliedstaaten der EMRK zu besseren Klimaschutzmaßnahmen verpflichtet sein könnten. 

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Im Februar 1979 fand die erste Weltklimakonferenz in Genf statt. "Schon 1979 gab es Forderungen, keine fossilen Brennstoffe mehr zu nutzen, keine Wälder mehr abzuholzen und auf Aktivitäten zu verzichten, die CO2 freisetzen – und seit 1979 haben wir nichts gemacht" sagt Anne Mahrer, Co-Präsidentin der Klimaseniorinnen. Sie zieht zu Beginn eines von Greenpeace und den Klimaseniorinnen organisierten Hintergrundgesprächs ein ernüchterndes Fazit. Wenn es nach Mahrer und den Seniorinnen geht, wird sich daran zumindest in der Schweiz bald etwas ändern: Die Klimaseniorinnen haben mittlerweile über 2.000 Mitglieder mit einem Durchschnittsalter von 73 Jahren. Der Verein klagt zusammen mit vier Einzelklägerinnen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gegen die Schweiz – und will diese damit zu effektiveren Klimaschutzmaßnahmen zwingen.  

Der EGMR verhandelt am Mittwoch über die Beschwerde – und hat damit zum ersten Mal die Möglichkeit, grundsätzlich etwas zum Klimaschutz zu sagen (Application no. 53600/20). Dass der Straßburger Gerichtshof das Begehren durchaus ernst nimmt, hat er schon frühzeitig klargestellt, als er entschied, dass die Große Kammer den Fall verhandeln wird. Eine Überweisung an die Große Kammer passiert nur sehr selten, nämlich wenn es um grundsätzliche Fragen zur Auslegung oder Anwendung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) geht.

Die Entscheidung des EGMR über die Beschwerde der Seniorinnen wird daher in jedem Fall Signalwirkung auch für die Klimapolitik in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben.

Erfolgloser Gang durch die Schweizer Instanzen

Die Klimaseniorinnen zeigen sich dabei durchaus optimistisch. "Die Chancen waren noch nie so gut wie jetzt", so Anwältin Cordelia Bähr, die das Rechtsteam leitet, im LTO-Interview. Vor den Schweizer Gerichten waren die Seniorinnen nicht erfolgreich. Der EGMR werde sich aber intensiver mit der Thematik beschäftigen, hofft Bähr.  

Die Klimaseniorinnen halten die Klimapolitik der Schweiz für ungenügend. Sie verlangen, dass die Schweiz mehr tut, um Treibhausgasemissionen zu reduzieren, damit das im Pariser Abkommen festgelegte Ziel erreicht werden kann, wonach die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius beschränkt werden soll. "Wenn alle entwickelten Staaten so handeln wie die Schweiz, verfehlen wir dieses Ziel deutlich", sagt Bähr.

Die Seniorinnen hatten sich zunächst an den Bundesrat, also die Schweizer Regierung, gewendet, um ein verschärftes Klimaschutzgesetz zu erreichen. Damit hatten sie aber keinen Erfolg und klagten. Das Schweizer Bundesverwaltungsgericht (BVG) sowie das Bundesgericht als höchste Instanz lehnten die Klage jedoch jeweils ab. Während das BVG dies damit begründete, die Beschwerdeführerinnen seien von den (fehlenden) Klimaschutzmaßnahmen nicht mehr betroffen als alle anderen, argumentierte das Bundesgericht, es bliebe ja noch genügend Zeit, um das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen. Deshalb seien die Seniorinnen nicht in der genügenden Intensität in ihren Rechten betroffen.  

Sind die Klimaseniorinnen beschwerdebefugt?

Doch die Klimaseniorinnen argumentieren, dass gerade sie als ältere Menschen besonders stark vom Klimawandel betroffen sind. Aufgrund des menschengemachten Klimawandels komme es unter anderem zu immer häufigeren und stärkeren Hitzewellen – und diese gefährdeten das Leben und die physische und mentale Gesundheit älterer Menschen. Aufgrund ihrer altersbedingt beeinträchtigten Thermoregulation seien diese davon besonders betroffen. Als Beleg dafür, dass alte Menschen am meisten unter den Hitzeextremen leiden, führt Bähr einige wissenschaftliche Studien an, unter anderem vom Schweizer Bundesamt für Umwelt. Bei der Hitzewelle im Sommer 2015 seien in der Schweiz rund 800 Todesfälle mehr registriert worden, als gewöhnlich zu erwarten gewesen wären – und über 75-jährige machen 77 Prozent der zusätzlichen Todesfälle aus.  

Die Klimaseniorinnen stützen ihre Beschwerde vor allem auf eine Verletzung des Rechts auf Leben aus Artikel 2 Abs. 1 EMRK sowie des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens aus Artikel 8 Abs. 1 EMRK. Die Schweiz komme ihrer Verpflichtung zum Schutz ihrer Bevölkerung vor den negativen Folgen der Klimaerwärmung nicht ausreichend nach.

Spannend dürfte am Mittwoch vor allem auch die Frage der Beschwerdebefugnis des Vereins werden. Vor dem EGMR sind bei Individualbeschwerden nach Art. 34 EMRK natürliche Personen, nichtstaatliche Organisationen oder Personengruppen beschwerdebefugt, die behaupten, in einem oder mehreren Rechten aus der EMRK bzw. den dazugehörigen Protokollen verletzt zu sein. Beschwerdeführende müssen dafür eine unmittelbare Betroffenheit durch die angegriffene Maßnahme darlegen können. Inwieweit das auf einen Verein zutreffen kann, wird der EGMR zu klären haben. Aus diesem Grund sind auch vier Einzelklägerinnen beteiligt, die schon mehrfach hitzebedingte, gesundheitliche Beeinträchtigungen erlitten haben.

Weitere Klage des Ex-Bürgermeisters und EU-Abgeordneten Carême

Der EGMR wird am Mittwoch außerdem über eine weitere Klimaklage verhandeln. Der ehemalige Bürgermeister der französischen Gemeinde Grande-Synthe, Damien Carême, hatte im Jahr 2019 sowohl im eigenen Namen als auch als Bürgermeister der Gemeinde die französische Regierung zu mehr Klimaschutz aufgefordert. Die am Ärmelkanal gelegene Küstengemeinde mit 23.000 Einwohnern befürchtet, zumindest teilweise unterzugehen, wenn der Meeresspiegel aufgrund des Klimawandels weiter ansteigt.

Carême, der inzwischen Abgeordneter im Europäischen Parlament ist, reichte Klage beim Conseil d'État, dem obersten Verwaltungsgericht Frankreichs, ein. Dieser wies die Klage im Namen Carêmes im November 2020 als unzulässig ab, die im Namen der Gemeinde hatte jedoch Erfolg. "In Anbetracht des Ausmaßes der Risiken des Klimawandels und der unmittelbaren Auswirkungen" auf die Situation der Gemeinde sah er Grande-Synthe als unmittelbar betroffen an. In einer wegweisenden Entscheidung forderte der Conseil d'État die Regierung im Juli 2021 auf, bis zum 31. März 2022 zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen, um das Ziel des Paris-Abkommens – die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 40 Prozent zu reduzieren – zu erreichen.

Vor dem EGMR macht Carême jetzt in seinem eigenen Namen eine Verletzung von Art. 2 und 8 EMRK geltend (Carême vs. France, Application no. 7189/21). Entgegen der Ansicht des Conseil d'État sei er in seinen eigenen Rechten betroffen. Das Versäumnis der Regierung, ausreichende Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels zu ergreifen, erhöhe das Risiko, dass sein Haus in Grande-Synthe in den kommenden Jahren, spätestens aber bis 2030, infolge des Klimawandels in Mitleidenschaft gezogen wird. Er könne nicht wissen, wie lange das Haus noch steht – und sei deshalb schon jetzt unmittelbar betroffen.    

Klimaklagen vor dem EGMR

Dass die Folgen des Klimawandels auch die Gerichte beschäftigen, zeigt nicht zuletzt der "Klima-Beschluss" des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 2021, in dem das Gericht das Bundes-Klimaschutzgesetz für teilweise verfassungswidrig erklärte (Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 u.a.). Ob die Untätigkeit der Staaten auch gegen Menschenrechte verstoßen kann, wird dann bald der EGMR klären.

Bei der Großen Kammer am EGMR ist noch eine weitere Klimaklage anhängig. Auch sechs junge Portugiesen verlangen mehr Klimaschutz – und haben Beschwerde gegen Deutschland und 32 weitere europäische Staaten eingereicht (Application no. 39371/20). Der EGMR hat die Klimaklage zugelassen, einen Termin für die Verhandlung gibt es derzeit noch nicht. Ziel sei aber, diese "zeitnah nach den Gerichtsferien im Sommer 2023" abzuhalten, so der Gerichtshof in einer Mitteilung.  

Die EMRK kennt zwar kein Recht auf eine gesunde Umwelt als solches. Dennoch kann der Klimawandel dazu führen, dass andere Menschenrechte betroffen sind. Insbesondere das Recht auf Leben und das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens sind u.a. durch drohende Hitzewellen, Überschwemmungen, Dürren und Brände gefährdet. Es bleibt abzuwarten, wie sich der EGMR dazu positioniert.

 

Mehr zu dem Verfahren der Klimaseniorinnen und zu Klimaklagen weltweit und in Deutschland gibt es im LTO-Klimaparagrafen-Podcast:

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Die Klimaseniorinnen vor dem EGMR: . In: Legal Tribune Online, 28.03.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51421 (abgerufen am: 21.05.2025 )

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