Klage gegen Shell vor dem US Supreme Court: Menschenrechte gelten überall – egal wo sie verletzt werden

von Prof. Dr. Markus Krajewski

09.08.2012

Angehörige des Volkes der Ogoni verklagen das britische Unternehmen Shell wegen Menschenrechtsverletzungen in Nigeria. Anhängig ist die Klage in den USA. Nicht nur die deutsche Bundesregierung glaubt, solche Verfahren verletzten die Souveränität der Heimatstaaten. Markus Krajewski ist anderer Meinung. Für ihn ist der Prozess eine Chance, die Menschenrechte auch gegenüber multinationalen Unternehmen durchzusetzen.

Eine beim United States Supreme Court anhängige Klage sorgt derzeit weltweit für Aufsehen. In dem Verfahren Kiobel vs. Royal Dutch Shell  geht es um die Frage, ob internationale Unternehmen nach dem US-amerikanischen Gesetz zur Regelung ausländischer Ansprüche in den Vereinigten Staaten (Alien Tort Claims Act, ATCA) haftbar gemacht werden können für die Beteiligung an schwersten Menschenrechtsverletzungen.

Angehörige des nigerianischen Volkes der Ogoni klagen gegen den Ölkonzern Shell, da dieser das brutale Vorgehen des nigerianischen Militärs gegen die Ogoni in den 1990-er Jahren unterstützt und davon profitiert haben soll.

Das nach britischem Recht gegründete Unternehmen mit Sitz in Den Haag ist nicht das einzige nicht-amerikanische, das einer Klage wegen Menschenrechtsverletzungen in den USA ausgesetzt ist. Daimler mit Sitz in Stuttgart ist ein weiteres prominentes Beispiel. Der Autobauer soll das Apartheid-Regime in Südafrika unterstützt haben. Eine entsprechende Klage ist derzeit vor dem Bundesberufungsgericht in New York anhängig. Der Ausgang des Verfahrens wird maßgeblich von der Entscheidung des Supreme Courts in Kiobel abhängen.

ATCA auch ohne territorialen USA-Bezug?

Der seit 1789 geltende ATCA ermöglicht Klagen ausländischer Bürger auf Entschädigung bei Völkerrechtsverletzungen. Seit ca. zehn Jahren werden auf dieser Grundlage Klagen gegen Unternehmen erhoben, denen vorgeworfen wird, sich an Menschenrechtsverletzungen beteiligt zu haben.

Der US Supreme Court muss nun entscheiden, ob fundamentale Menschenrechte als Haftungsgrundlage gegen multinationale Unternehmen herangezogen werden können. Nach der ersten mündlichen Verhandlung im Februar 2012 hat das Gericht den Verfahrensgegenstand um die Frage erweitert, ob der ATCA auch für Verletzungen gilt, die sich außerhalb der USA ereignet haben. Kurz: Kann das Gesetz auf Vorgänge angewendet werden, die keinen territorialen Bezug zu den USA haben?

Diese Frage hat zu hitzigen Debatten nicht nur in der juristischen Fachwelt, sondern auch in der internationalen Politik geführt. Auch die deutsche Bundesregierung hat sich mit einem so genannten amicus curia brief, einer Stellungnahme einer nicht am Verfahren beteiligten Partei, an den US Supreme Court gewandt.

Kein effektiver deutscher Rechtsschutz bei ausländischen Tochtergesellschaften

Sie fordert, den ATCA nicht auf Auslandssachverhalte auszudehnen. Deutschland argumentiert, dass Unternehmen an dem Ort verklagt werden sollten, zu dem entweder ein personeller oder territorialer Bezug besteht.

Die Bundesregierung behauptet zudem, auch in Deutschland werde Rechtsschutz bei Menschenrechtsverletzungen gewährleistet.

Tatsächlich sind deutsche Gerichte jedoch nur zuständig, wenn eine deutsche Gesellschaft gehandelt hat oder wenn die Rechtsverletzung in Deutschland begangen worden ist. Das Verhalten ausländischer Tochtergesellschaften können deutsche Gerichte dagegen nicht verfolgen, auch wenn dem deutschen Mutterkonzern das Vorgehen seiner Gesellschaft bekannt ist oder er davon profitiert.

Keine Verletzung der Souveränität anderer Staaten

Eine weite Anwendung des ATCA hält die Bundesregierung außerdem für eine Verletzung der Souveränität anderer Staaten.

Das Völkerrecht kennt neben Territorialitäts- und Personalitätsprinzip jedoch auch das Universalitätsprinzip als Anknüpfungspunkt für die staatliche Gerichtsbarkeit. Danach können universelle Rechtsgüter wie z. B. das Folterverbot oder Sklaverei, überall auf der Welt verfolgt werden, egal ob ein Bezug zu Täter oder Tatort besteht. Im Völkerstrafrecht ist das allgemein anerkannt. Man kann dieses Prinzip auch auf die zivilrechtliche Haftung anwenden, um den strafrechtlichen Schutz dieser Rechtsgüter, der kein Vorgehen gegen Unternehmen erlaubt, zu ergänzen.

Auch die Souveränität anderer Staaten würden Klagen in den Vereinigten Staaten gegen Unternehmen mit Sitz im Ausland nicht verletzen. Die Gesellschaften werden für Verstöße gegen die universell geltenden Menschenrechte haftbar gemacht und nicht für den Bruch nationalen Rechts.

Jüngere Entwicklungen  wie z. B. der 2011 vom Menschenrechtsrat verabschiedete UN-Rahmen für Unternehmen und Menschenrechte, der auf den Sonderberichterstatter John Ruggie zurückgeht, zeigen, dass verbindliche Maßstäbe für das Verhalten transnationaler Unternehmen gesetzt werden müssen. Solange es entsprechende Richtlinien jedoch nur auf nationaler Ebene gibt, wird mit der Anwendung des ATCA die nationale Gerichtsbarkeit nicht unzulässig ausgedehnt. Vielmehr ist damit den Menschenrechten und ihrer transnationalen Durchsetzung gedient.

Der Autor Prof. Dr. Markus Krajewski ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Völkerrecht an der Universität Nürnberg-Erlangen Er forscht u.a. über das Verhältnis von Menschenrechten und internationalen Wirtschaftsbeziehungen.

Zitiervorschlag

Prof. Dr. Markus Krajewski, Klage gegen Shell vor dem US Supreme Court: Menschenrechte gelten überall – egal wo sie verletzt werden . In: Legal Tribune Online, 09.08.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6803/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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