Klage am Commercial Court Moskau: Russ­land will 7,5 Mil­li­arden Euro von deut­scher Anwalts­kanzlei

von Dr. Christian Rath

27.04.2025

Die Anwaltsboutique Aurelius Cotta vertritt Wintershall im Rechtsstreit mit Russland. Nun bedroht sie der russische Generalstaatsanwalt mit einer Milliarden-Forderung. Auch das Unternehmen und das Schiedsgericht sollen zahlen.

Sabine Konrad ist den Umgang mit gigantischen Summen gewohnt. Als Expertin für internationale Streitschlichtung hat sie zum Beispiel Deutschland im Konflikt um den Atomausstieg gegen Vattenfall vertreten, damals ging es um sieben Milliarden Euro. 

Bis 2019 arbeitete Konrad für McDermott Will & Emery, wechselte dann zu Morgan Lewis & Bockius, bevor sie 2024 mit zwei Partnern ihre eigene Kanzlei Aurelius Cotta in Frankfurt am Main gründete.

Derzeit vertritt sie Wintershall Dea in zwei Schiedsverfahren gegen die Russische Föderation beim Ständigen Schiedshof (Permanent Court of Arbitration, PCA) in Den Haag. Und im Zusammenhang mit diesem Verfahren hat nun der russische Generalstaatsanwalt eine Klage beim Moskauer Commercial Court eingereicht. Wintershall Dea, Aurelius Cotta und auch die drei Schiedsrichter:innen sollen das Verfahren nicht weiterführen, andernfalls sollen sie 7,5 Mrd. Euro Strafe bezahlen. 

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Öl und Gas in Russland

Hintergrund des Schiedsverfahrens ist das Engagement Ihres Mandanten Wintershall in Russland. Wintershall war der wichtigste deutsche Öl- und Erdgas-Produzent. Ab 1969 gehörte Wintershall zum BASF-Konzern. 2019 fusionierte Wintershall mit der Deutschen Erdöl-AG zur Wintershall Dea AG. 2024 wurde der größte Teil des operativen Geschäfts an den Konkurrenten Harbour Energy verkauft. Bei Wintershall Dea verblieben u.a. Beteiligungen und Geschäfte in Russland. 

Wintershall hatte sich seit den 1990er-Jahren stark im Erdgashandel mit Russland engagiert und mehrere Joint Ventures mit Gazprom gegründet. Auch an den Pipelines Nord Stream und Nord Stream 2 war Wintershall beteiligt. Nach dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine beschloss Wintershall Dea 2023 seinen Ausstieg aus dem Russlandgeschäft. 

Präsident Wladimir Putin erließ im Dezember 2023 Dekrete, wonach der Anteil von Wintershall Dea an russischen Energie-Joint Ventures auf russische Firmen übertragen wurde. Es geht dabei insbesondere um das Gasfeld Juschno-Russkoje und die Öl- und Gasvorkommen in den Achimow-Lagerstätten (beide in Sibirien). Der Kaufpreis soll auf spezielle russische Konten eingezahlt und dort eingefroren sein. 

Wintershall Dea gegen die Russische Föderation

Wintershall Dea sieht darin eine Quasi-Enteignung ohne Entschädigung. Deshalb verklagte Wintershall Dea die Russische Föderation wegen Verletzung des deutsch-russischen bilateralen Investitionsvertrags (BIT) von 1989. Der Vertrag sieht einen Investor-Staat-Streitbeilegungs-Mechanismus vor. 

In einem zweiten Schiedsverfahren rügte Wintershall Dea auch eine Verletzung des Energiecharta-Vertrags (ECT), der 1994 geschlossen wurde, um westliche Energie-Investitionen in Osteuropa abzusichern. Russland hat den Vertrag unterzeichnet, aber nicht ratifiziert. Bis 2009 wurde der Vertrag von Russland aber vorläufig angewandt. Wintershall Dea macht geltend, dass seine Investitionen in die Phase der vorläufigen Anwendung fielen. 2024 trat Deutschland gemeinsam mit den noch verbliebenen EU-Staaten aus dem ECT-Verbund aus, um bei der Energiewende weniger Klagerisiken durch Energie-Unternehmen ausgesetzt zu sein. Der Vertrag gilt jedoch auch nach dem Austritt noch 20 Jahre weiter. 

Beide Schiedsverfahren werden beim PCA in Den Haag administriert. In beiden Verfahren wird Wintershall Dea von Aurelius Cotta vertreten. Es wurden jedoch zwei unterschiedliche Schiedsgerichte gebildet. Im ECT-Verfahren hat das Schiedsgericht seinen Sitz im Financial District von Dubai (DIFC). Jüngst wurde dort ein Antrag Russlands abgelehnt, die prozesshindernden Einreden vorab zu verhandeln. 

Laut Presseberichten geht es in den beiden parallelen Schiedsverfahren jeweils um eine Summe von 7,5 Milliarden Euro, die Wintershall Dea von der Russischen Föderation als verlangt. Ein Ende der meist langwierigen Verfahren ist noch nicht abzusehen. 

Russland will Fortsetzung des Schiedsverfahrens verhindern

Nun will aber Russland die Fortsetzung des ECT-Schiedsverfahrens verhindern. Wie das russische Wirtschaftsmedium rbc.ru (RosBusiness Consulting) vorige Woche berichtete, hat der russische Generalstaatsanwalt Igor Krasnow beim Moskauer Commercial Court eine Unterlassungsverfügung beantragt. Adressaten sind nach rbc-Angaben Wintershall Dea, die Kanzlei Aurelius Cotta und sogar die drei Mitglieder des Schiedsgerichts, Olufunke Adekoya, Charles Poncet und Hamid Gharavi. 

Wenn das Gericht die Verfügung erlässt, die Adressaten ihr aber nicht nachkommen, können diese für den Betrag haftbar gemacht werden, der den im Ausland gegen die russische Partei geltend gemachten finanziellen Forderungen entspricht. Im konkreten Fall sind dies 7,5 Mrd. Euro, die gesamtschuldnerisch von Wintershall Dea, Aurelius Cotta und den drei Schiedsrichter:innen verlangt werden können. 

Das Verfahren stützt sich laut rbc auf Artikel 248 der russischen Schiedsordnung (APC). Danach kann ein russisches Gericht die ausschließliche Zuständigkeit für ausländische Streitigkeiten übernehmen, in die russische Personen verwickelt sind, die einseitigen Sanktionen unterliegen. Gleichzeitig kann eine solche Person ein russisches Gericht ersuchen, einem ausländischen Antragsteller die Einleitung oder Fortsetzung eines Verfahrens vor einem ausländischen Gericht oder Schiedsgericht zu untersagen. 

Voraussetzung sei laut Gesetz jeweils, dass westliche Sanktionen für eine russische Person "Hindernisse für den Zugang zur Justiz" vor einem ausländischen Gericht oder Schiedsgericht schaffen. In der Praxis genügt es wohl schon, dass ein Schiedsgericht in einem westlich geprägten Kontext gebildet wird oder die Schiedsrichter aus westlichen Staaten stammen.

Im konkreten Fall wird laut rbc behauptet, dass der Permanent Court of Arbitration kein neutrales Gremium sei. Die drei Schiedsrichter:innen seien "Einflussagenten und Geiseln westlicher Sanktionen". So sei der von Wintershall benannte Schweizer Charles Poncet bereits in anderen Verfahren damit aufgefallen, dass er "ausschließlich antirussische Entscheidungen" treffe. Poncet war am Yuokos-Schiedsverfahren beteiligt, in dem Russland 2014 zur Zahlung von rund 50 Mrd. US-Dollar verurteilt worden war. 

Die vom PCA ernannte nigerianische Vorsitzende des Schiedsgerichts, Olufunke Adekoya, stehe "seit ihrer Geburt unter britisch-amerikanischem Einfluss", "was ihre antirussische Einstellung über einen langen Zeitraum geprägt" habe.

Aurelius Cotta hat die Klageschrift bisher genauso wenig erhalten wie Wintershall Dea. "Ich kenne den Vorgang bisher nur aus den Medien", sagt Sabine Konrad. 

Beispiellose juristische Eskalation

Verfahren nach Artikel 248 APC gibt es bereits Dutzende. Die Regelung wurde 2020 durch das sogenannte Lugovoy-Gesetz (benannt nach seinem Urheber) eingeführt. Russland reagierte damit auf westliche Sanktionen infolge der Krim-Annexion von 2014.

Bisher ging es aber stets um Streitigkeiten zwischen westlichen und russischen Wirtschaftsunternehmen, für die eigentlich ein Schiedsverfahren vereinbart war, das nun aber vor einem russischen Gericht stattfinden soll. Betroffen waren hiervon etwa Uniper, die Deutsche Bank oder die Commerzbank. 

Im jetzigen Fall soll nun erstmals der Staat als "russische Person" vor einem internationalen Schiedsverfahren geschützt werden. Beispiellos ist zudem, dass nicht nur die beteiligten westlichen Unternehmen mit gigantischen Geldforderungen bedroht werden, sondern auch die Anwaltskanzlei und sogar die Schiedsrichter:innen.

Erstaunlich ist dies auch deshalb, weil die Russische Föderation ja zunächst an der Bildung des Schiedsgerichts beteiligt war. Sie hat auch, wie üblich, selbst einen Schiedsrichter benannt, Hamid Gharavi, der die französische und die iranische Staatsbürgerschaft hat. Zwar nennt der rbc-Bericht keine Vorwürfe gegen Gharavi, doch betreffen ihn die Anträge wohl genauso wie seine beiden Mit-Schiedsrichter:innen. 

Unklar ist, warum der russische Generalstaatsanwalt bisher nur gegen das ECT-Schiedsgericht vorgeht, nicht aber gegen das parallel tagende BIT-Schiedsgericht. Eine Anfrage an die Pariser Kanzlei Pinna Goldberg, die Russland in den Schiedsverfahren vertritt, blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) protestierte inzwischen gegen das russische Vorgehen. "Diese Versuche, die Arbeit von Juristinnen und Juristen zu blockieren, verurteilen wir aufs Schärfste", erklärte DAV-Vizepräsident Ulrich Karpenstein. solche Geschehnisse verstärkten die Sorge um die internationale Rechtsstaatlichkeit, so Karpenstein, nachdem die Anwaltschaft in den letzten Wochen auch in den USA, Israel und der Türkei gezielten Behinderungs- und Einschüchterungsversuchen ausgesetzt war.

Vollstreckung möglich?

Für Sabine Konrad ist klar, dass sie sich dem russischen Druck nicht beugen wird: "Wir Anwälte und Anwältinnen haben eine Verantwortung für die Verteidigung der Rechtsstaatlichkeit."

Auch DAV-Vizepräsident Karpenstein fordert: "Solchen Einschüchterungsmaßnahmen dürfen wir uns nicht beugen." Es sei allerdings zu befürchten, dass andere Kanzleien aus Sorge vor Repressalien nun vor Mandaten gegen Russland zurückschrecken könnten.

Sollte das Moskauer Gericht am Ende eine Strafe in Milliardenhöhe festsetzen, so könnte ein derartiger Richterspruch jedenfalls in der EU nicht vollstreckt werden. Dies hat die EU Ende 2024 im Rahmen des 15. Sanktionspakets gegen Russland beschlossen. Art. 11 c Abs. 1 der VO 833/2014 verbietet es nun Gerichten innerhalb der EU, Urteile zu vollstrecken, in denen die Zuständigkeit russischer Gerichte über oder in Zusammenhang mit Art. 248 APC begründet wurde. Gegen die Vollstreckung in anderen Teilen der Welt hilft die EU-Verordnung allerdings nicht.

Die Bundesrepublik hat möglicherweise ein eigenes Interesse an der Fortführung des Schiedsverfahrens gegen die russische Föderation. Nach Medienangaben hat sie die politischen Risiken des Russland-Engagements von Wintershall Dea mit einer Garantie von mehr als 1,8 Milliarden Euro abgesichert. Deren Auszahlung wird wohl noch geprüft. Umstritten ist dies zum einen, weil Wintershall Dea möglicherweise zu lange in Russland verblieb und so noch durch Treibstofflieferungen an das russische Militär den Angriff unterstützte. Zum anderen käme eine Garantieauszahlung an Wintershall Dea auch deren Minderheitseigentümer, der Kapitalgesellschaft LetterOne zugute, hinter der u.a. der russische Oligarch Michail Fridmann steht.

Sollte die Investitionsgarantie ausbezahlt werden, ginge damit ein Teil des Anspruchs von Wintershall Dea gegen die russische Föderation auf die Bundesrepublik über. Zwar könnte ein positiver Schiedsspruch derzeit weder von Wintershall Dea noch von der Bundesregierung in Russland vollstreckt werden. Zudem ist Eigentum des russischen Staats im Ausland durch die Staatenimmunität geschützt. Allerdings verjährt ein derartiger Schiedsspruch meist erst nach 30 Jahren, so dass eine Vollstreckung in der mittleren Zukunft durchaus denkbar ist. 

Sollte das russische Vorgehen gegen Anwält:innen zur Regel werden, könnte die Bundespolitik auch darüber nachdenken, ob sie künftig politische Risiken von Anwält:innen ebenfalls über Garantien absichert. 

Zitiervorschlag

Klage am Commercial Court Moskau: . In: Legal Tribune Online, 27.04.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/57072 (abgerufen am: 22.05.2025 )

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