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Streit um Kirchenasyl: "Sabo­tage des Rechts­staats"?

Von Marion Sendker

05.09.2018

Priester vor einem Altar

© mariangarai - stock.adobe.com

Im Kirchenasyl ist vieles strittig. Auch die Spielregeln scheinen den Beteiligten nicht ganz klar zu sein. Eine belastbare Rechtsgrundlage gibt es nicht. Marion Sendker über eine Tradition auf juristisch wackeligen Beinen. 

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Zum wohl ersten Mal in der Geschichte des Kirchenasyls hat ein Landrat Anzeige gegen Flüchtlinge und Kirchenvertreter erstattet. Marlon Bröhr aus dem Rhein-Hunsrück-Kreis wusste sich nicht anders zu helfen: In den Fällen in seinem Kreis habe es höchstrichterliche Entscheidungen gegeben, wonach neun Ausländer ausgewiesen werden müssten. Die Menschen befinden sich aber im Kirchenasyl. "Wir haben keine Legitimation für Kirchenasyl und müssen es trotzdem achten - das passt nicht", sagt der CDU-Politiker im Gespräch mit LTO.

"Das Gericht hat eindeutig gesagt: Die Ausreise ist zu vollziehen", betont Bröhr. Das Verwaltungsgericht Koblenz gab der Ausländerbehörde des Kreises daraufhin sogar einen Durchsuchungsbeschluss für die kirchlichen Räume. "Dann habe ich aber aufgrund des Kirchenasyls vom Integrationsministerium die Weisung bekommen, die entsprechende Überweisung nach Italien nicht zu veranlassen", wundert sich Bröhr, der nicht so recht weiß, wie das zusammen passt.

"Wir sind auf einem Irrweg, wir dürfen Moral nicht über das Gesetz stellen", sagt er und fordert mit Blick auf die Trennung von Staat und Kirche, dass die Politik entweder ein Kirchenasylgesetz schaffe oder Kirchenasyl nicht mehr akzeptiere. "Wir lassen gerade zu, dass die kleinsten Kirchengemeinden in Deutschland den Rechtsstaat sabotieren!" Für Bröhr halten sich die neun Ausländer illegal in Deutschland auf - ein Zustand, der gemäß § 95 I Aufenthaltsgesetz verboten ist und den Kirchenvertreter seiner Meinung nach unberechtigt unterstützen würden. Deswegen ist jetzt ist die Staatsanwaltschaft an der Reihe und muss den Vorwürfen nachgehen. Noch ist indes kein formelles Verfahren eingeleitet.*

Verurteilung wegen Beihilfe eher selten

Es ist nicht das erste Mal, dass Kirchenasylfälle in Ermangelung von rechtlichen Grundlagen zu Unmut und Verwunderung führen. Im Mai hatte das Oberlandesgericht München immerhin entschieden, dass Kirchenasyl nicht vor Strafverfolgung schützen kann. Allein durch das Verhalten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) könne ein illegaler Aufenthalt im Kirchenasyl rechtmäßig werden, wenn das Bamf nämlich die Abschiebeanordnung abermals überprüfe, betonten die Richter. Wer sich trotz Abschiebeanordnung weiter im Land aufhalte, verstoße gegen das Aufenthaltsgesetz und begehe damit grundsätzlich eine Straftat.

In den neun Fällen im Rhein-Hunsrück-Kreis soll das nach Angaben des Landrats der Fall gewesen sein. Käme die Justiz hier ebenso zu dem Schluss, dass mit dem Verstoß gegen das Aufenthaltsgesetz eine vorsätzliche, rechtswidrige Haupttat vorliegt, wären als nächstes die Vertreter der Kirchengemeinden dran, die beim Kirchenasyl geholfen haben. Inwiefern sie aber tatsächlich Beihilfe zu einem möglicherweise illegalen Aufenthalt geleistet haben können, ist eine Frage, die wohl so alt ist, wie die Tradition des Kirchenasyls selbst. Bei der Beantwortung spielt es zum Beispiel eine Rolle, ob die Gemeinden die Asylbewerber zum Kirchenasyl eingeladen haben, ob und inwiefern die Zurverfügungstellung einer Unterkunft überhaupt ursächlich für den illegalen Aufenthalt gewesen ist oder ob der Asylsuchende auch ohne die Hilfe der Gemeinde seinen Aufenthalt in Deutschland fortgesetzt hätte.

In früheren Fällen haben Gerichte zudem zum Teil den Gesichtspunkt des "sozialadäquaten Verhaltens" berücksichtigt: Wenn die Unterstützungshandlung etwa unentgeltlich oder aus gewissen humanitären Gründen geschehe, könne von einer Strafbarkeit abgesehen werden. An dieser Stelle muss auch die Glaubens- und Gewissensfreiheit i.S.v. Art 4 Abs.1 und 2 Grundgesetz (GG) bedacht werden, die sich im Rahmen der Schuld bei der Frage nach der individuellen Vorwerfbarkeit zugunsten der Kirchenvertreter als Entschuldigungsgrund aus Gewissensgründen auswirken kann. Höchstrichterlich entschieden ist das aber noch nicht. Die Quintessenz vergangener Urteile und Fälle zeigt, dass eine Verurteilung wegen Beihilfe zum illegalen Aufenthalt im Kontext des Kirchenasyls an viele verschiedene Voraussetzungen geknüpft ist und deswegen eher unwahrscheinlich ist.

Rechtliche Grauzone

Das Kirchenasyl, das sich unstrittig nicht aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs.3 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) als Ausgestaltung eines Selbstbestimmungsrechts der Kirchen ableitet, sondern dessen Grundlage allein Art. 16a GG sein kann, ist – auch das ist immerhin unstrittig und darauf weisen die Behörden immer wieder hin – kein eigenes Rechtsinstitut. Vielmehr werde es "als Ausdruck einer christlich-humanitären Tradition respektiert", teilte ein Sprecher des Bamf gegenüber LTO mit.

Juristisch steht das Kirchenasyl damit auf wackeligen Beinen und ist in gewisser Weise abhängig von der moralischen Gesinnung des Staates und der Gesellschaft. Um eine bestehende Ausreisepflicht durchzusetzen, dürfen die Behörden auch in Kirchenräumen vollstrecken. Dass sie darauf meistens verzichten, wurde von Gerichten bereits als eine Form staatlicher Duldung interpretiert, auf die aber per se kein Rechtsanspruch bestehen kann.

Dem sind sich die Kirchen durchaus bewusst. So haben die Bischöfe wiederholt betont, dass das Kirchenasyl in seiner heutigen Ausgestaltung kein Sonderrecht gegenüber dem Staat beanspruche. Ziel des Kirchenasyls müsse vielmehr sein, im konkreten Einzelfall angesichts drohender humanitärer Härten eine erneute rechtliche Prüfung zu ermöglichen, sagte Prälat Karl Jüsten, Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe im Katholischen Büro in Berlin, im Gespräch mit LTO. Lehnt das Bundesamt eine erneute Prüfung indes ab, sind die Asylsuchenden theoretisch dazu verpflichtet, innerhalb von drei Tagen das Kirchenasyl zu verlassen und zurückzugehen in den Erstaufnahmestaat oder - in den wenigen Fällen, die nicht der Dublin-III-Verordnung unterfallen, in ihr Herkunftsland.

Dossier obligatorisch?

Um eine erneute Prüfung der Fälle durch das Bundesamt überhaupt zu bewirken, kam es im Februar 2015 nach einem Streit zwischen den Kirchen und dem Bundesamt zu einer Verfahrensabsprache, die unter anderem das Einreichen eines Dossiers bei der Behörde vorsieht. Hier scheint den Beteiligten zunächst aber nicht ganz klar zu sein, ob es sich dabei um eine Pflicht handelt oder nicht. Während das Bundesamt mit Verweis auf die Vereinbarung darauf pocht, dass Dossiers einzureichen sind, wies die Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche (BAG) im Gespräch mit LTO immer wieder daraufhin, dass "das Einreichen eines Härtefalldossiers wünschenswert" sei, denn "eine Verpflichtung zur Vorlage gab es in der Vereinbarung von 2015 nicht".

Für etliche Fälle hätten Kirchen und Bamf bisher außerdem ausdrücklich vereinbart, kein Dossier zu erstellen. Deswegen könne auch nicht die Rede von einem Regelverstoß auf Seiten der Gemeinden sein, von denen mehr als die Hälfte nach offiziellen Angaben in der Vergangenheit keine Dossiers eingereicht hatten. Mit Blick auf die geltende Vereinbarung leuchtet das nur schwer ein. Dem Abkommen nach sind die Schritte im Kirchenasylverfahren transparent: Wenn eine Kirchengemeinde abgelehnte Asylsuchende bei sich aufnimmt, so ist noch am Tag des Eintritts in das Kirchenasyl eine Meldung per Mail an das zuständige Referat im Bundesamt zu machen. Außerdem ist so schnell wie möglich, spätestens aber innerhalb eines Monats, ein sogenanntes Härtefalldossier einzureichen.

Weil mehr als 90 Prozent der Kirchenasyle derzeit Dublin-Fälle sind, müssen die Gemeinden in diesen Dossiers erläutern, warum es dem Ausländer nicht zuzumuten ist, das Asylverfahren im zuständigen Mitgliedstaat durchzuführen. "Allein eine anstehende Überstellung in einen anderen Dublin-Staat kann keine Gewährung von Kirchenasyl begründen", betont ein Bamf-Sprecher. Trotzdem würden die Dossiers immer wieder herkunftslandbezogene Verfolgungsgründe anführen, die an dieser Stelle aber nicht entscheidungserheblich sind, merkt der Bamf-Sprecher an.

Bamf und Kirchen: Gegenseitige Schuldvorwürfe

Auch die Tatsache, dass der Asylantrag bereits in einem anderen Mitgliedstaat abgelehnt wurde, sei kein ausreichender Grund für Kirchenasyl in Deutschland, sofern keine begründeten Zweifel an der rechtsstaatlichen Vorgehensweise des zuständigen Mitgliedstaats bestünden. Die Dossiers müssen zudem nicht nur Argumente beinhalten, die eine humanitäre Härte bezüglich der Überstellung in ein anderes EU-Land begründen, sondern es dürfen nicht dieselben Argumente angeführt werden, wie schon in einer oft vorher stattgefundenen gerichtlichen Überprüfung.

Die Hürden sind damit denkbar hoch, was ein Grund für die aktuelle Ablehnungsquote von gut 80 Prozent sein kann. Die Kirchen werfen dem Bundesamt vor, oft allgemein und pauschal auf die Dossiers zu antworten. Die Rede ist von "vorformulierten Textblöcken", in denen individuelle Erfahrungen unberücksichtigt blieben. Das erwecke den Eindruck von Regelfallprüfungen. Das Bundesamt weist diesen Vorwurf indes "entschieden" zurück: In seinen, in der Regel mehrere Seiten umfassenden Schreiben würde auf alle individuellen Argumente grundsätzlich eingegangen. Und es sei in Wahrheit andersherum: Die Dossierbegründungen der Gemeinden würden oft “pauschale Ausführungen zur vermeintlich defizitären Situation im zuständigen Mitgliedstaat” beinhalten, sagt ein Bamf-Sprecher im Gespräch mit LTO. Auf derartige Schreiben könne dann die Behörde nicht anders reagieren als mit "allgemeinen Darstellungen zur landesspezifischen Betreuungssituation vor Ort".

*Update der LTO-Redaktion 5.09.2018, 12.02 Uhr: Mittlerweile hat die zuständige Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach mitgeteilt, Ermittlungsverfahren gegen neun sudanesische Staatsangehörige wegen unerlaubten Aufenthalts ohne erforderlichen Aufenthaltstitel eingeleitet zu haben. Aufgrund derselben Strafanzeigen der Kreisverwaltung Rhein-Hunsrück-Kreis werde außerdem gegen fünf Pfarrerinnen und Pfarrer aus vier evangelischen Kirchengemeinden wegen Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt ohne Aufenthaltstitel ermittelt.

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Streit um Kirchenasyl: . In: Legal Tribune Online, 05.09.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30759 (abgerufen am: 12.11.2025 )

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