Nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe gegen den Ex-Abgeordneten Sebastian Edathy hat dieser beteuert, nichts Strafbares getan zu haben. Darin stimmt der Direktor des Instituts für Medienstrafrecht Marco Gercke auf Basis der derzeit verfügbaren Information im Interview mit LTO zu. Die Hausdurchsuchung sei dennoch gerechtfertigt gewesen. Und auch mit den politischen Konsequenzen müsse Edathy leben.
LTO: Herr Professor Gercke, die Staatsanwaltschaft Hannover hat heute erklärt, Herr Edathy habe zwischen 2005 und 2010 insgesamt 31 Videos oder Fotosets bei einem kanadischen Unternehmer gekauft. Darauf seien unbekleidete Kinder bzw. Jugendliche im Alter zwischen 9 und 14 Jahren zu sehen, die "toben und spielen, in natürlichen Posen sitzen und sich darstellen. Alles jedoch in Bezug zu den Genitalien." Wenn das alles ist, was Herr Edathy sich beschafft hat, hat er sich dann strafbar gemacht?
Gercke: Darauf gibt es eine eindeutige Antwort, und sie lautet nein. Ich kann daher auch nicht nachvollziehen, wieso der Oberstaatsanwalt von einer "schwierigen Wertungsfrage" spricht, denn schwierig ist daran wirklich nichts – vorausgesetzt, die gegebene Beschreibung trifft zu und es gibt nicht noch weiteres Material.
Es gab in Deutschland vor einigen Jahren bereits eine deutliche Verschärfung der Strafbarkeit von Kinderpornographie. Früher hat, etwas vereinfacht gesagt, der § 176 Strafgesetzbuch (StGB) den Missbrauch von Kindern geregelt, und wer diesen Missbrauch durch Fotos oder Videos dokumentierte, machte sich wegen Kinderpornographie strafbar. Heute lässt §184b bereits "sexuelle Handlungen von, an oder vor" Kindern genügen, was deutlich weiter ist.
Dennoch unterfällt das, was die Staatsanwaltschaft da beschreibt, nicht den Straftatbeständen. "Toben und spielen, in natürlichen Posen sitzen und sich darstellen" sind einfach keine sexuellen Handlungen. Das liegt eigentlich auch auf der Hand; solche Fotos haben schließlich viele Eltern von ihren Kindern, und machen sich dadurch auch nicht strafbar. Wobei der Fall von Herr Edathy problematischer ist – es handelte sich ja nicht auf Aufnahmen seiner Kinder. In strafrechtlicher Hinsicht ändert dies aber nichts – Nacktbilder in natürlichen Posen unterfallen grundsätzlich nicht dem Pornographiebegriff.
"Die Hausdurchsuchung setzt einen Verdacht voraus, keine Gewissheit"
LTO: Dennoch hat die Staatsanwaltschaft auf dieser Grundlage die Wohnung von Herrn Edathy durchsucht. Durfte sie das überhaupt?
Gercke: Die Hausdurchsuchung halte ich für rechtlich unproblematisch. Dafür reicht bekanntlich bereits der Verdacht einer Straftat aus, nicht erst die Gewissheit. Und die Bilder, die Herr Edathy da gesammelt hat, waren eben nicht die von seinen eigenen Kindern, sondern wurden von einem kanadischen Händler vertrieben, der zahlreiche Kunden beliefert hat und selbst wegen Kinderpornographie angeklagt war.
Wenn jemand solches Material bestellt, lässt sich gestützt auf die Erfahrung von vergangenen Ermittlungen der Verdacht begründen, dass der Verdächtige auch andere, tatsächlich kinderpornographische und damit strafbare Medien besitzen könnte. Das ist kein Automatismus, aber im vorliegenden Fall schon deshalb nicht ganz abwegig, da im Zusammenhang mit dem kanadischen Angebot wohl auch wegen Kinderpornographie ermittelt wurde.
LTO: Gefunden hat die Staatsanwaltschaft aber keine. Trotzdem ist das Land nun über intimste Details aus Herrn Edathys Privatleben informiert, seine politische Karriere ist am Ende. Wird hier nicht jemand sehr hart bestraft, der womöglich gar keine Straftat begangen hat?
Gercke: Da muss man differenzieren. Die Hausdurchsuchung als Maßnahme der Ermittlungsbehörden war wie gesagt auf Basis der derzeit verfügbaren Informationen rechtlich in Ordnung. Auf einem anderen Blatt steht die Frage, wie die Medien davon so schnell Wind bekommen haben. Wenn diese etwa durch die Staatsanwaltschaft informiert worden wären, wäre das keineswegs legitim. Auch ein Foto aus Edathys Privatwohnung zu veröffentlichen, halte ich nicht für korrekt.
Seine politische Karriere hat Herr Edathy allerdings selbst beendet, und zwar bereits einige Tage im Vorfeld. Zudem sind Justiz und Öffentlichkeit auch zwei Paar Schuhe. Wenn Herr Edathy keinen Straftatbestand verwirklicht hat, dann wird er vor Gericht auch nicht bestraft werden. Trotzdem können die Wähler die Bewertung treffen, dass sie nicht von jemand repräsentiert werden wollen, der Material der beschriebenen Art sammelt.
Kinderpornographie im Internet: . In: Legal Tribune Online, 15.02.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11014 (abgerufen am: 09.11.2024 )
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