KG verneint Erben-Zugriff auf digitalen Nachlass: Mutter darf Face­book-Chat ihrer toten Tochter nicht lesen

von Dr. Gordian Oertel

31.05.2017

Eltern haben keinen Anspruch auf Zugang zum Facebook-Account ihres verstorbenen Kindes. Das KG ließ die Revision gegen sein Urteil zu – und wichtige Fragen offen, zeigt Gordian Oertel. Ist eine Mail oder ein Chat etwas anderes als ein Brief?

In dem vom Berliner Kammergericht (KG) nun in zweiter Instanz entschiedenen Fall hatte die Mutter eines 2012 verstorbenen Mädchens gerichtlich Zugriff auf das Facebook-Konto ihres Kindes gefordert. Sie wollte wissen, ob es sich bei dem Unfall ihrer Tochter, die an einem Berliner U-Bahnhof von einem einfahrenden Zug tödlich verletzt worden war, um einen Suizid gehandelt haben könnte und forderte daher von Facebook Zugang unter anderem zu den Chat-Nachrichten des Mädchens.

Das Unternehmen hatte den Zugriff verweigert und sich dabei unter anderem auf den Datenschutz berufen. Nachdem das Landgericht zunächst zugunsten der Mutter entschieden hatte, hat nun das Kammergericht Facebook Recht gegeben und die Klage abgewiesen (KG Berlin, Urt. v. 31.05. 2017, Az. 21 U 9/16.
Die Mutter bekommt keine Einsicht in die Kommunikation ihrer Tochter mit Dritten. Und weder ein theoretisch denkbarer erbrechtlicher Anspruch noch andere gesetzliche Regeln oder das elterliche Sorgerecht ändern daran etwas, befinden die Berliner Richter.

Das Fernmeldegeheimnis geht vor – immer

Nach Ansicht des KG geht der Schutz des Fernmeldegeheimnisses nach dem Telekommunikationsgesetz (TKG) vor. Dieses erstrecke sich, so die Richter, nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch auf E-Mails, die auf den Servern von privaten Diensteanbietern gespeichert seien.

Und gilt damit nach Ansicht des KG entsprechend auch für bei Facebook gespeicherte Kommunikationsinhalte, die nur für Absender und Empfänger – also für einen beschränkten Nutzerkreis – bestimmt sind. Dieses in Art. 10 Grundgesetz (GG) geschützte Recht, das eine objektive Wertentscheidung der Verfassung enthalte, müssten auch private Diensteanbieter  achten.

Ein Zugriff des Erben auf das Facebook-Konto könne, so der Senat, auch nicht mit Hinweis auf die im TKG vorgesehenen Ausnahmen gerechtfertigt werden. Es sei nicht im Sinne des Gesetzes ausnahmsweise erforderlich, Dritte über den Inhalt der Kommunikation zu informieren. Erforderlich in diesem Sinne sei nämlich technisch zu verstehen, also um den Dienst technisch zu ermöglichen oder aufrecht zu erhalten. Facebook aber habe die Kommunikationsdienste nur beschränkt auf die Person des (verstorbenen) Nutzers angeboten, so dass es – auch aus  Sicht der ebenfalls schutzbedürftigen Kommunikationspartner eines Chats – eben nicht erforderlich sei, einem Erben nachträglich Zugang zum Inhalt der Kommunikation zu verschaffen.

Schließlich gebe es, speziell im Erbrecht, auch keine andere gesetzliche Vorschrift, die es erlauben würde, eine Ausnahme vom grundgesetzlichen garantierten Schutz des Fernmeldegeheimnisses zu machen. 

In dem Prozess war nicht klar geworden, ob die Behauptung der klagenden Mutter zutraf, dass ihre Tochter ihr ihre Zugangsdaten zu dem sozialen Netzwerk überlassen habe. Es hätte nichts geändert, meint der Senat. Selbst wenn die verstorbene Nutzerin mit dem Zugriff ihrer Mutter auf die in dem Facebook-Account hinterlassenen Daten einverstanden gewesen wäre, hätten auch all diejenigen, die mit der Verstorbenen kommuniziert haben, auf den Schutz des Fernmeldegeheimnisses verzichten müssen.

Zitiervorschlag

KG verneint Erben-Zugriff auf digitalen Nachlass: . In: Legal Tribune Online, 31.05.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23082 (abgerufen am: 12.10.2024 )

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