Kurz vor dem Termin beim BGH zu den Klagen von geschädigten Lehman-Anlegern hat die Frankfurter Sparkasse ihre Revisionen zurückgenommen und die Betroffenen entschädigt. Angesichts weiterer rechtshängiger Verfahren zu Zertifikaten ist die Frage des Umfangs von Aufklärungspflichten aber noch längst nicht vom Tisch. Von Stephan Bausch.
Eine höchstrichterliche Aufarbeitung der Insolvenz der ehemaligen US-amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers für deutsche Anleger lässt mit dem Rückzieher der beklagten Frankfurter Sparkasse weiter auf sich warten.
Die Anleger und ihre Anwälte hatten ihrer Hausbank im Kern vorgeworfen, dass diese sie nicht über das Insolvenzrisiko von Lehman Brothers aufgeklärt habe. In Kenntnis dieses Risikos hätte man die Zertifikate nicht gekauft, sondern sein Geld in sichere Anlagen investiert. Erschwerend sei hinzu gekommen, dass das Geldinstitut nicht über seine Gewinnmargen aufklärt habe.
In den Parallelverfahren hatten die Instanzgerichte bisher sehr unterschiedlich entschieden. Überwiegend verneinten die Richter eine Aufklärungspflicht über das Insolvenzrisiko. Vereinzelt sollen Banken aber verpflichtet gewesen sein, ihre Kunden darauf hinzuweisen, dass die Zertifikate nicht der deutschen Einlagensicherung unterfallen. Eine Falschberatung sahen einige Gerichte darin, dass die Bank nicht über ihre Gewinnmarge aufgeklärt hatte.
Entscheidung des OLG Frankfurt nun rechtskräftig
Im Fall der Frankfurter Sparkasse hatten sowohl das Landgericht (LG) als auch das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt entschieden, dass das Geldinstitut die Anleger über eine Besonderheit der konkret empfohlenen Lehman-Zertifikate hätte aufklären müssen: Bei diesen Zertifikaten führt das Unterschreiten des festgelegten DAX- beziehungsweise Eurostoxx-Indexstands dazu, dass dem Anleger am Ende der Laufzeit kein Geld zurückgezahlt wird, sondern Ersatzzertifikate geliefert werden. Diese haben eine Laufzeit von weiteren 45 Jahren und können jährlich gekündigt werden - allerdings nur von Lehman.
Über dieses Kündigungsrecht klärte die beratende Bank die Kunden nicht auf. Die Gerichte sahen hierin eine Falschberatung (LG Frankfurt, Urt. v. 31.08.2008, Az. 2-19 O 287/08; OLG Frankfurt, Urt. v. 17.02.2010, Az. 17 U 207/09; LG Frankfurt, Urt. v. 08.12.2009, Az. 2-26 O 135/09; OLG Frankfurt, Urt. v. 14.07.2010, Az. 17 U 11/10).
Mit der Rücknahme der Revisionen wird es nun vorläufig keine rechtskräftige Entscheidung über den geschuldeten Beratungsumfang beim Verkauf von Zertifikaten geben. Vieles spricht aber dafür, dass auch der Bundesgerichtshof (BGH) die von den Vorinstanzen festgestellte Pflichtverletzung bestätigt hätte. Denn das Recht von Lehman, die Ersatzzertifikate jährlich zu kündigen, ist ein besonderes Risiko der Anlage.
Selbst bei einer positiven Entwicklung der Indizes hätte der Anleger einen erheblichen Wertverlust der Ersatzzertifikate hinnehmen müssen. Durch das Kündigungsrecht war es faktisch ausgeschlossen, dass der Anleger 45 Jahre später die Ersatzzertifikate gewinnbringend zurückgeben kann. Denn das Kündigungsrecht wäre ausgeübt worden, wenn sich der Index und damit die Ersatzzertifikate zu Gunsten des Anlegers entwickelt hätten.
Das ist zwar nicht verwerflich - immerhin profitierte der Anleger in den ersten Jahren so lange von einem Kapitalschutz, wie die festgelegte Indexschwelle nicht unterschritten wurde. Über dieses Konzept muss der Kunde aber informiert werden. Dann nämlich weiß er, dass das Kündigungsrecht der Emittentin nichts anderes ist als eine Gegenleistung für den Kapitalschutz in den ersten Jahren der Vertragslaufzeit.
Fragen zu strukturierten Finanzinstrumenten weiter offen
Mit Blick auf die weit über 100 noch anhängigen Verfahren in Sachen Lehman-Zertifikate wird der BGH hinreichend Gelegenheit haben, seine Judikatur weiter zu entwickeln. Spannend bleibt dabei vor dem Hintergrund des Karlsruher Urteils in Sachen CMS Spread Ladder Swap insbesondere die Frage, ob die Bundesrichter beim Verkauf strukturierter Finanzinstrumente eine Aufklärungspflicht über Gewinnmargen annehmen. Bei dieser Entscheidung hatte der BGH ausgeführt, dass eine beratende Bank bei der Empfehlung eigener Anlageprodukte grundsätzlich nicht verpflichtet ist, ihre Gewinnmarge offenzulegen (Urt. v. 22.03.2011, Az. XI ZR 33/10).
Unter besonderen Umständen soll allerdings eine Aufklärungspflicht bestehen. Ob solche besonderen Umstände stets bei strukturierten Finanzprodukten mit anfänglich negativem Marktwert und damit auch bei Zertifikaten bestehen, bedarf einer höchstrichterlichen Klärung. Klärungsbedürftig ist schließlich auch, ob eine beratende Bank den Anleger stets über das allgemeine Insolvenzrisiko des Emittenten aufklären muss oder ob es einer solchen Aufklärung nur bei konkreten Anhaltspunkten bedarf.
Wie auch immer die Verfahren um die Lehman-Zertifikate ausgehen werden, fest steht schon heute: Weder die Pleite der Investmentbank noch Prozessniederlagen haben Privatanleger und Unternehmen davon abgehalten, am Zertifikatemarkt weiterhin kräftig mitzumischen.
Der Autor Dr. Stephan Bausch, D.U., ist als Rechtsanwalt der internationalen Sozietät Freshfields Bruckhaus Deringer LLP im Bereich Konfliktlösung mit Schwerpunkt Bank- und Kapitalmarktrecht tätig.
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Stephan Bausch, Kein Urteil in Sachen Lehman-Zertifikate: . In: Legal Tribune Online, 11.04.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3000 (abgerufen am: 05.10.2024 )
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