Plattform-Ökonomie von Uber bis Airbnb: Der "unab­hän­gige Arbeit­nehmer"

von Nico Kuhlmann

26.05.2016

2/2: Uber als Vorreiter der Plattform-Ökonomie

In den USA waren wegen dieser Rechtsunsicherheit zwei große Sammelklagen gegen den  Fahrdienstvermittler Uber anhängig, in denen Fahrer verlangt haben, nicht mehr als Selbstständige, sondern als Angestellte eingeordnet zu werden. Im April wurden beide Klagen mit einem Vergleich beendet, nach dem die Fahrer weiterhin als selbstständige Dienstleister gelten, allerdings nun mit dem Recht, eine Art Gewerkschaft zu gründen, um Anliegen kollektiv vorbringen zu können.

Dies ist in der Gig-Ökonomie von besonderer Relevanz, da einzelne Dienstleister kaum eine Chance haben, sich dagegen zu wehren, wenn eine Plattform die Preise senkt, einen größeren Anteil als Provision einbehält oder Teilnehmer komplett, beispielsweise aufgrund schlechter Bewertungen, ausschließt.

In der Vergangenheit wurde die überlegende Verhandlungsposition von Arbeitgebern mit der Bildung von Gewerkschaften beantwortet. Selbstständigen ist dieses Instrument aber grundsätzlich verwehrt, da die kollektive Durchsetzung von Preisvorstellungen oder sonstigen Anliegen eine Wettbewerbsbeschränkung darstellen würde. Was bei Angestellten eine Gewerkschaft ist, wäre bei Selbstständigen ein Kartell.

Eine neue Kategorie könnte Abhilfe schaffen

Die Lösung könnte darin bestehen, eine neue arbeitsrechtliche Kategorie einzuführen, die zwischen den bestehenden Interessen vermittelt: den "unabhängigen Arbeitnehmer". In den USA wurde dies kürzlich von zwei einflussreichen Ökonomen vorgeschlagen. Seth Harris war Arbeitsminister unter Barack Obama und ist mittlerweile unter anderem Counsel in der Arbeitsrechtspraxis der renommierten Wirtschaftskanzlei Dentons. Alan B. Krueger ist Professor für Ökonomie an der Universität in Princeton und war Vorsitzender des Rates der ökonomischen Berater des Weißen Hauses.

In ihrer Studie mit dem Titel A Prosposal for Modernizating Labor Laws for Twenty-first-Century Work: The Independent Worker versuchen sie eine Brücke zu schlagen und fordern die Einführung einer Kombinationslösung mit passenden Regeln aus beiden Kategorien. Diese unabhängigen Arbeitnehmer sollen das Recht bekommen, eine Gewerkschaft aufzubauen, und die Plattformen sollen die Sozialabgaben bezahlen müssen. Dafür würde es allerdings keinen Mindestlohn geben.

Diese unabhängigen Arbeitnehmer sollen sich unter anderem dadurch auszeichnen, dass die Gesamtheit ihrer Arbeitszeit nicht messbar ist. Die Zeit, in der ein Fahrer im Auto oder zu Hause beim Bügeln auf einen Auftrag wartet, kann nicht eindeutig zugerechnet werden, wenn dieser sowohl bei Uber als auch beim Konkurrenten Lyft registriert ist. Im Gegensatz zur Festanstellung kann ein Dienstleister seine Arbeitskraft in der Gig-Ökonomie auf mehreren Plattformen gleichzeitig anbieten.

Die Kategorie des unabhängigen Arbeitnehmers soll nach ausdrücklichem Wunsch von Harris und Krueger nicht dazu dienen, die Kosten des Arbeitgebers für Festangestellte zu senken, sondern um gegenwärtigen Scheinselbstständigen mehr soziale und finanzielle Sicherheit zu geben. Rechtlich abgesichert werden soll diese Absicht mit einer Beweislastumkehr zulasten des Arbeitgebers.

Wachstumspotenzial korreliert mit Überprüfungsbedürfnis

Bisher ist lediglich ein kleiner Bestandteil der berufstätigen Bevölkerung in der Plattform-Ökonomie aktiv. Unter Berücksichtigung der Lebensweise der digitalen Ureinwohner hat diese bisherige Randerscheinung aber ein enormes Wachstumspotenzial. Deshalb macht es Sinn, die rechtlichen Rahmenbedingungen einmal zu hinterfragen.

Leider hat sich in Deutschland eine tiefverwurzelte Skepsis gegenüber neuen Arbeitsmodellen festgesetzt. Reflexartig wird nach einem gesetzlichen Verbot gerufen und der Gesetzgeber tendiert instinktiv dazu, alte Marktteilnehmer vor neuen Geschäftsideen zu schützen. Falschverstandene Besitzstandswahrung ist Volkssport.

Selbstverständlich würden durch ein Aufbrechen der gewohnten arbeitsrechtlichen Einordnung neue Probleme entstehen. Zusätzliche Rechtskategorien resultieren wieder in neuen Abgrenzungsschwierigkeiten und Arbeitgeber könnten versuchen, diese neue Möglichkeit als Schlupfloch zu missbrauchen, um den Mindestlohn zu umgehen. Die Internationale Arbeitsorganisation hat sich deshalb in einer kürzlich veröffentlichten Untersuchung kritisch mit der Einführung dieser Kombinationslösung auseinandergesetzt.

Trotzdem ist es wenig sinnvoll, unreflektiert gesetzliche Kategorien anzuwenden, die aus einer Zeit stammen, als die meisten Reisekutschen noch nicht motorisiert waren. Die Arbeitswelt verändert sich und das rechtliche Sicherheitsnetz für Arbeitnehmer sollte dies widerspiegeln.

Der Autor Dipl.-Jur. Univ. Nico Kuhlmann, Wirtschaftsjurist (Univ.) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei einer internationalen Wirtschaftskanzlei in Hamburg.

Zitiervorschlag

Nico Kuhlmann, Plattform-Ökonomie von Uber bis Airbnb: Der "unabhängige Arbeitnehmer" . In: Legal Tribune Online, 26.05.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19470/ (abgerufen am: 16.04.2024 )

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