Die Kartellrechtsnovelle passierte am Mittwoch den Vermittlungsausschuss. Das Gesetz wird damit wohl noch vor der Wahl in Kraft treten. Fusionen von gesetzlichen Krankenkassen wird das Bundeskartellamt danach nur schwer verbieten können und Gebühren für Trinkwasser unterfallen nicht mehr einer kartellrechtlichen Kontrolle. Ein Kompromiss zulasten der Rechtsklarheit, meint Axel Gutermuth.
Hauptstreitpunkt der Novelle waren bis zuletzt die gesetzlichen Krankenkassen. Diese stehen immerhin für mehr als fünf Prozent des deutschen Brutto-Inlands-Produkts. Bisher gilt das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) für die Kassen nur, wenn sie mit Leistungserbringern wie Ärzten, Krankenhäusern oder Therapeuten verhandeln.
Dabei bleibt es nun auch in Zukunft. Die Kassen können sich somit weiter zum Beispiel über Zusatzgebühren oder Wahltarife abstimmen, obwohl ihnen der Gesetzgeber diesbezüglich individuelle Gestaltungsspielräume einräumt. Der Wettbewerb wird damit nicht gestärkt. Daran ändert auch das EU-Kartellrecht nichts: Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sind die gesetzlichen Krankenkassen keine Unternehmen und als solche dem EU-Kartellrecht nicht unterworfen.
Zweifelhafte Kontrolle bei Kassenfusionen
Die Fusionskontrolle für gesetzliche Krankenkassen ist durch einen zweifelhaften Kompromiss geregelt worden. Dies war ein streitiges aber wichtiges Thema, da bei den Krankenkassen ein starker Konzentrationsprozess im Gange ist. Nach Zahlen des Bundesgesundheitsministeriums ist die Anzahl der gesetzlichen Kassen in den letzten fünf Jahren um ca. ein Drittel auf etwa 150 gesunken. Der Kompromissvorschlag sieht nun vor, dass das Bundeskartellamt Kassenfusionen nach den allgemeinen Regeln überprüfen soll. Um einen solchen Zusammenschluss zu verbieten, muss es aber zuvor mit den für die Kassenaufsicht zuständigen Landes- oder Bundesversicherungsämtern "das Benehmen herstellen".
Was passiert, wenn Bundeskartellamt und Versicherungsamt sich nicht einigen können, ist allerdings nicht klar. Nach möglicher Lesart fehlt es dann an einem "Benehmen" über das Verbot der Kassenfusion, so dass das Verbot nicht ausgesprochen werden kann und die Fusion trotz der Bedenken des Bundeskartellamts als genehmigt gilt.
Der politische Kompromiss geht damit auf Kosten der Rechtsklarheit, auch wenn Verbotssituationen in der Praxis eher selten auftreten dürften. Klar ist allerdings, dass der politische Wille dahin geht, das Wettbewerbsprinzip bei Kassenfusionen nicht vollständig durchzusetzen. Das zeigt sich auch daran, dass über Beschwerden gegen eine Entscheidung über eine Kassenfusion die Sozialgerichte und nicht die Zivilgerichte entscheiden sollen.
Keine kartellrechtliche Kontrolle der Wasserpreise
Auch in einem anderen wichtigen Bereich wird der Wettbewerbs- und Verbraucherschutz nicht verbessert. Wenn Stadtwerke oder andere kommunale Versorger in der Rechtsform der öffentlichen Anstalt Gebühren oder Beiträge nach öffentlichem Recht erheben, sollen die Kartellbehörden die Höhe der Gebühren nicht überprüfen können. Der Vermittlungsausschuss wollte damit verhindern, dass das Bundeskartellamt – wie von ihm intendiert – eine Missbrauchskontrolle von Gebühren und Beiträgen durchführt.
Städten und Gemeinden soll vielmehr ein Spielraum bei der Gestaltung der Gebühren für Versorgungsleistungen erhalten bleiben. Für Verbraucher ist das nicht unbedingt eine gute Nachricht – sie müssen die Zeche bezahlen und haben weniger rechtliche Argumente, sich gegen Gebührenerhöhungen zu wehren. Denn die für Gebühren allein maßgebliche kommunalabgabenrechtliche Kontrolle ist weniger streng als die kartellrechtliche Preismissbrauchskontrolle. Diese wurde erst im Jahr 2010 vom Bundesgerichtshof eindrücklich bestätigt. Sie greift künftig nur dann, wenn Kommunalversorger ihre Leistungen nach den Regeln des Privatrechts anbieten.
Dabei geht es um viel Geld, insbesondere bei der Trinkwasserversorgung. Die Wasserpreise in Wetzlar hatte die Landeskartellbehörde um 30 Prozent gesenkt. Für Berlin hatte das Bundeskartellamt eine (noch nicht rechtskräftige) Verringerung der Trinkwasserentgelte um ca. 18 Prozent angeordnet. Damit wird es für Städte und Gemeinden zukünftig auch weniger attraktiv, solche Leistungen in einer privaten Rechtsform zu erbringen. Beteiligte Kreise sprechen bereits von einer "Flucht in das öffentliche Gebührenrecht". Sie erwarten, dass es vermehrt zu (Rück-)Umwandlungen von kommunalen Versorgungsbetrieben in Anstalten des öffentlichen Rechts und zu einer öffentlich-rechtlichen Ausgestaltung der Vertragsbeziehungen mit den Kunden kommen wird.
Der Autor Rechtsanwalt Axel Gutermuth, LL.M. (NYU) ist in allen Bereichen des Kartellrechts im Brüsseler Büro der internationalen Wirtschaftskanzlei Arnold & Porter LLP tätig.
Einigung auf Kartellrechtsnovelle: . In: Legal Tribune Online, 10.06.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8883 (abgerufen am: 10.12.2024 )
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