Mottowagen zeigt Alice Weidel mit Hakenkreuz: Was darf Kar­ne­vals­sa­tire?

von Dr. Max Kolter

03.03.2025

Karneval ist an vielen Orten in Deutschland ein geschütztes Brauchtum. Doch wenn auf einem Rosenmontags-Mottowagen ein Hakenkreuz zu sehen ist, schlägt das Strafgesetzbuch Alarm. Es verbietet das Verbreiten von NS-Symbolen – auch hier?

Der Rosenmontagszug gehört fest zum Karneval dazu, einschließlich seiner Mottowagen, auf denen Karikaturen die aktuelle Politik verschaukeln und kritisieren. Karneval ist in vielen deutschen Regionen ein Brauchtum, das es unbedingt zu pflegen gilt.

Doch in Deutschland endet der Spaß, wenn es um die Verharmlosung der faschistischen Herrschaft der Nationalsozialisten und des Holocausts geht. Das wird nicht nur sozial geächtet, sondern ist unter Umständen sogar strafbar: Die Holocaust-Leugnung und -Verharmlosung sowie die Billigung der NS-Willkürherrschaft werden als Varianten der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 3 und 4 Strafgesetzbuch (StGB) bestraft. Das Verbreiten von NS-Parolen, -Gesten, und -Codes ist nach §§ 86, 86a StGB strafbar – als Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.

Auf dem Düsseldorfer Rosenmontagszug 2025 traf nun beides zusammen: eine gesellschaftskritische Karikatur und ein Nazi-Symbol. Es geht um eine Darstellung von AfD-Chefin Alice Weidel als Hexe, die aus ihrem Hexenhaus an die "Erstwähler" ein Stück Lebkuchen in Hakenkreuz-Form herausgibt. Die Karikatur soll offenbar Kritik daran üben, dass die AfD mit verknappten Tiktok-Videos die Gunst vieler junger Wähler erwirbt. Dabei vergifte sie die Naivlinge mit süß verpackten, aber im Kern rechtsradikalen Inhalten, so die künstlerische Botschaft. Kann das strafbar sein?

"Haarscharf noch straflos"

"Für mich ist das haarscharf noch straflos", sagt Strafrechtsprofessor Matthias Jahn von der Goethe-Universität Frankfurt gegenüber LTO. Aufgrund der konkret gewählten Darstellungsform müsse das noch von der in § 86a Abs. 3 i.V.m. § 86 Abs. 4 StGB geregelten Ausnahme erfasst sein. Diese sogenannte Sozialadäquanzklausel statuiert einen Ausschluss von der Strafbarkeit, "wenn die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient". Die Weidel-Karikatur sei gesellschaftliche Aufklärung in künstlerisch verfremdeter Form, meint Jahn.

Aufzuklären gibt es über die AfD nicht zu wenig. Etwa, dass Kanzlerkandidatin Weidel im Wahlkampf sagte, dass sie sich den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke als Bundesminister vorstellen könne. 2017 hatte der AfD-Bundesvorstand noch versucht, Höcke aus der Partei auszuschließen. Das bezeichnete Weidel in dem Bild-Interview rückblickend als Fehler. Der Geschichtslehrer ist immer wieder durch Geschichtsrevisionismus aufgefallen. 2018 hatte er die deutsche Erinnerungskultur als "dämliche Bewältigungspolitik" bezeichnet und eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" gefordert. Zudem wurde Höcke selbst nach § 86a StGB wegen mehrfacher Äußerung der SA-Losung "Alles für Deutschland" verurteilt. Auch Weidel hatte im Wahlkampf die Geschichte umgedeutet, als sie im live gestreamten Gespräch mit Elon Musk Adolf Hitler als Kommunisten bezeichnet hatte. Die mit dem Motivwagen thematisierte Verharmlosung der Geschichte könnte daher von der Sozialadäquanzklausel erfasst sein. 

Jahn weist darauf hin, dass die Rechtsprechung diese Sozialadäquanzklausel sehr zurückhaltend anwende. Aus diesem Grund hatte der Rechtsprofessor und Richter auch eine satirische Aktion der Aktivistengruppe Zentrum für Politische Schönheit (ZPS) im Januar für strafbar gehalten. Das ZPS hatte die Hitlergruß-Geste von Elon Musk auf Donald Trumps Amtseinsetzung auf die Außenwand der brandenburgischen Tesla-Fabrik projiziert und Videos davon auf X verbreitet. Jahn hatte hierzu im Gespräch mit LTO auf den strengen Gesetzeszweck des § 86a StGB verwiesen: "Die Norm will als abstraktes Gefährdungsdelikt verhindern, dass die Verwendung von Nazi-Symbolik, Nazi-Sprech und Nazi-Gesten wieder zu unserem Alltag gehören darf. Die Botschaft ist klar: Finger weg von Nazi-Gestik, -Rhetorik und allem, was damit assoziiert ist."

Worin liegt der Unterschied zur Musk-Hitlergruß-Projektion?

Doch dieser Zweck gilt für die Weidel-Karikatur genauso wie für die ZPS-Aktion. Auch Letztere war eine Gesellschaftskritik – an Musks Nazi-Geste und deren anschließender Verharmlosung in deutschen Medien. Aber eben eine Kritik, deren Form in dem Land, das den Holocaust zu verantworten hat, per se unzulässig sein soll.

"Der Unterschied zu der Musk-Projektion ist augenfällig", sagt Jahn. "Hier sticht das Element der künstlerischen Verfremdung hervor. In der Rechtsprechung zur Sozialadäquanzklausel gibt es keine ganz klare Linie, aber die Gerichte betonen, dass immer dann eine Ausnahme zu machen ist, wenn das Element künstlerischer Form im Vordergrund steht." Die Karikatur erfülle die Merkmale der Definition des Bundesverfassungsgerichts von Kunst. "Hier liegt eindeutig eine freie schöpferische Gestaltung vor", so Jahn zu Merkmalen des materiellen Kunstbegriffs. Diese Gestaltung werde mit der gesellschaftskritischen Warnung, dass die AfD Heranwachsende mit rechtsradikalen Inhalten vergifte, verbunden.

Ob man die gewählte Formensprache mit dem Narrativ der bösen Hexe aus dem Volksmärchen für stilvoll oder auch nur gelungen hält, stehe auf einem anderen Blatt, betont Jahn. "Schließlich konterkariert es ein Stück weit den strengen Schutzzweck, NS-Symbole unbedingt aus dem öffentlichen Raum zu verbannen." Strafverfassungsrechtlich aber überwiege der Schutz der Meinungs- und Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 und 3 Grundgesetz.

Aus demselben Grund dürfte auch keine strafbare Beleidigung zum Nachteil von Alice Weidel (§ 185 StGB) vorliegen. "Tatbestandlich mag man das noch bejahen, aber spätestens auf Ebene der Rechtfertigung wird man die Karikatur für zulässig halten müssen", so Jahn. Wenn nicht schon auf Tatbestandsebene berücksichtigt, würde man wohl einen Fall der Wahrnehmung berechtigter Interessen annehmen können, der nach § 193 StGB straflos bleibt. Die Vorschrift stellt kritische Werturteile über eine Person unter besonderen Schutz – vor allem solche des politischen Lebens.

Zitiervorschlag

Mottowagen zeigt Alice Weidel mit Hakenkreuz: . In: Legal Tribune Online, 03.03.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56716 (abgerufen am: 19.04.2025 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen