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Prozess zum Berliner "Tiergartenmord" beginnt: Der Ange­klagte mit den zwei Namen

von Dr. Markus Sehl

07.10.2020

Ein Polizeibeamter sichert den Tatort im Kleinen Tiergarten. Gut drei Monate nach dem Mord an einem Tschetschenen in Berlin hat der Generalbundesanwalt die Ermittlungen an sich gezogen.

picture alliance/dpa - Christoph Soeder; Zuschnitt und Skalierung durch LTO

Kam der Mordauftrag von staatlichen Stellen Russlands? Der Generalbundesanwalt geht beim Mord an einem Georgier 2019 in Berlin davon aus. Der Angeklagte teilte zum Prozessauftakt mit, dass er nicht der sei, für den ihn die Ermittler halten. 

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Angeklagt wegen Mordes ist der heute wohl 55-jährige russische Staatsbürger Vadim K. So steht es am Mittwoch auf einer Ankündigung zum Prozess vor der Tür zum Saal 700, dem Hochsicherheitsgerichtssaal im Kriminalgericht Moabit (Az. 2 – 2/20). Er soll vor gut einem Jahr, am 23. August 2019, am Mittag mitten in Berlin einen Georgier tschetschenischer Abstammung erschossen haben. Davon zwei Kopfschüsse aus nächster Nähe, eine Hinrichtung. 

Ein Mord ist für sich erstmal kein Fall für den Staatsschutzsenat, aber der Generalbundesanwalt glaubt einen besonderen Auftraggeber hinter der Tat: den russischen Staat. In der knapp 70 Seiten langen Anklageschrift ist die Rede von "staatlichen Stellen der Zentralregierung der Russischen Föderation", die den Auftrag erteilt haben sollen.

Vorsitzender Richter: "Schon bestimmte Angaben zu seinen Personalien könnten den Angeklagten belasten"

Dass der Name des Angeklagten in diesem Prozess eine besondere Rolle spielen wird, wurde gleich zu Beginn des Verhandlungsauftaktes klar. Der Vorsitzende Richter Olaf Arnoldi wich am Mittwoch bewusst vom gewöhnlichen Ablauf an einem ersten Prozesstag ab. Statt den Angeklagten zuerst zu seinen Personalien zu befragen und ihn dann darauf hinzuweisen, dass er sich zur Sache einlassen, aber auch schweigen kann, wird die Reihenfolge umgedreht. Arnoldi belehrt ihn gleich über sein Schweigerecht. Denn so der Vorsitzende Richter: "Schon bestimmte Angaben zu seinen Personalien könnten den Angeklagten belasten."

Bei seiner Festnahme hatte der Angeklagte einen Reisepass bei sich, darin steht ein anderer Name: Vadim S., geboren 1970 in Russland, also nur 50 Jahre alt. Und so lässt der Angeklagte im Saal 700 es am Dienstag noch einmal von seinem Verteidiger Robert Unger wiederholen. "Ich heiße Vadim S., ich heiße nicht Vadim K., eine solche Person ist mir nicht bekannt." Und lässt er noch mitteilen: Er sei russischer Staatsbürger, nicht verheiratet, von Beruf Bauingenieur. Weitere Angaben wolle er zu diesem Zeitpunkt nicht machen. Verteidigt wird er neben Unger von den Rechtsanwälten Ingmar Pauli und Dr. Christian Koch. Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass es sich bei dem Mann um den 55-jährigen Vadim K. handelt.

Über die Tat selbst haben sich die Ermittler ein ziemlich ausführliches Bild verschafft. Der angeklagte Russe soll sich auf einem Fahrrad dem 40-jährigen Tschetschenen, der seit Ende 2016 als Asylbewerber in Deutschland lebte, im Kleinen Tiergarten genähert haben. Mit einer halbautomatischen Kurzwaffe mit Schalldämpfer soll er den Mann aus nächster Nähe niedergeschossen und dem bereits am Boden liegenden Opfer noch zwei Mal in den Kopf geschossen haben. Der herbeigerufene Notarzt konnte am Tatort auf einem Parkweg nur noch den Tod feststellen. Der mutmaßliche Mörder flüchtete auf dem Fahrrad. 

Kurz darauf wurde er gefasst, als er versuchte, auf einem E-Roller zu fliehen. Seitdem sitzt er in Untersuchungshaft. Zeugen hatten beobachtet, wie der Mann eine Perücke sowie ein Fahrrad und eine Waffe in der Spree versenkte. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm heimtückischen Mord aus Habgier oder aus sonst niedrigen Beweggründen vor. Im Fall einer Verurteilung droht ihm lebenslange Haft. 

Generalbundesanwalt: "Ein staatlicher Tötungsauftrag"

Unklarer als der Tathergang bleiben die Hintergründe. Die Bundesanwaltschaft vermutet einen "staatlichen Tötungsauftrag" aus Russland. Die russische Regierung hat diesen auch diplomatisch brisanten Vorwurf zurückgewiesen. Bei der Verlesung der Anklageschrift am Mittwoch erwähnte Bundesanwalt Ronald Georg auch ein Schreiben, dass der russische Inlandsgeheimdienst FSB im Jahr 2012 an das Bundeskriminalamt schickte. Der Geheimdienst soll darin auf das spätere Opfer des Tiergartenmordes, Selimchan C., hingewiesen haben. Danach soll er Mitglied des als Terrorgruppe eingestuften "Kaukasischen Emirats" gewesensein und in Georgien Terroristen ausgebildet haben, die Anschläge gegen russische staatliche Stellen geplant haben sollen. Für Russland also ein Staatsfeind. 

Mitte der 2000er Jahre hatte er sich in Georgien einen neuen Reisepass auf einen anderen Namen, Tornike K., ausstellen lassen. In der Folgezeit soll er für Georgien in der Terrorismusabwehr gearbeitet haben, möglicherweise als Vermittler in einem Konflikt zwischen georgischen Sicherheitsbehörden und islamistischen Kämpfern. Auf welcher Seite er zu welchem Zeitpunkt stand oder ob auf mehreren Seiten gleichzeitig, ist noch unklar. Ab 2002 soll Russland ihn jedenfalls als Terrorist eingestuft haben. "Aus Sicht der russischen Regierung war das Tatopfer ein Staatsfeind, insbesondere deshalb, weil der Getötete im Tschetschenien-Krieg gegen Russland gekämpft hatte", sagte der Vertreter des Generalbundesanwalts Georg am Mittwoch.

Gab es Helfer?

Auch der Angeklagte und seine Personalien geben weiter Rätsel auf. Zu dem Namen K., den die Bundesanwaltschaft für den echten Namen des Angeklagten hält, existierte eine russische Fahndungsmitteilung vom April 2014. Sie wurde im Juni 2014 ergänzt und im Juli 2015 gelöscht. Diese Person wurde von den russischen Behörden wegen eines am 19. Juni 2013 in Moskau verübten Mordes gesucht. 

Die deutschen Ermittler halten es für verdächtig, dass der Mann im Sommer 2019 kurz vor Reiseantritt sich einen neuen Reisepass auf einen – so wird vermutet – Alias-Namen S. hat ausstellen lassen - ohne biometrische Daten und Speicherchip. Nur wenige Tage später soll er sich über das französische Generalkonsulat in Moskau ein 90-Tage-Visum für Europa besorgt haben. Nach einer Reise von Moskau über Paris und Warschau soll er am 22. August in Berlin angekommen sein. Einen Tag später liegt Tornike K. tot im Kleinen Tiergarten.

Und es bleiben noch viele Fragen offen. "Bringt der Prozess über den Tiergartenmord Aufklärung über den 'Zweiten Mann'? Der Täter hielt sich vorher nicht in Deutschland auf. Jemand muss das Opfer ausgekundschaftet und die Tat vorbereitet haben", schrieb etwa der FDP-Rechtspolitiker Stephan Thomae am Mittwoch auf Twitter. "Und warum war die Flucht nach begangener Tat so schlampig vorbereitet?"

Ein Mordfall mit diplomatischen Folgen

Die Bundesregierung wirft der russischen Regierung seit Monaten fehlende Kooperation in dem Fall vor und hatte deswegen bereits wenige Wochen nach dem Mord zwei russische Diplomaten ausgewiesen. Präsident Wladimir Putin reagierte auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Merkel nach einem Ukraine-Gipfel mit einem Wutausbruch und nannte den Ermordeten einen "Banditen" und "Mörder". Wenig später wurden auch zwei deutsche Diplomaten in Moskau ausgewiesen. Außenminister Heiko Maas sagte kürzlich zum Fall Nawalny: "Aufgrund der Ereignisse, die wir hier erleben mussten, mit dem Tiergarten-Mord und dem Bundestags-Hack, täte Russland gut daran, deutlich zu machen, dass man aus Geschehenem gelernt hat."

Während des Prozesses im Kriminalgericht Moabit werden zwei Dolmetscher alles ins Russische übersetzen. Vier von acht Nebenklägern - darunter die Ehefrau des Getöteten und eine Schwester -waren am Mittwoch im Saal anwesend. Beamte kontrollierten vor Prozessbeginn Besucher und Medienvertreter auf Waffen und gefährliche Gegenstände. Die Zahl der Besucher wurde auch wegen der Corona-Pandemie eingeschränkt. Die Plätze für Journalisten wurden ausgelost. Es wurde eine Audio-Übertragung in einen separaten Medienarbeitsraum eingerichtet, die am Mittwoch den Ton aus dem Saal zuverlässig in den gut besetzten Raum übertrug.

Bislang sind für den Prozess in Berlin 25 Verhandlungstage bis zum 27. Januar 2021 festgelegt worden. Der 2. Strafsenat ist mit fünf Richtern besetzt, dazu sind zwei Ergänzungsrichter eingesetzt. Falls einer der Richter ausfällt, besteht so nicht das Risiko, dass der Prozess platzt und neu verhandelt werden muss. Verhandelt wird wegen der Sicherheitsvorkehrungen im Gebäude des Kriminalgerichts Moabit. Dort wird der Prozess am Donnerstag fortgesetzt. Dann sollen auch zum ersten Mal Zeugen gehört werden, die die Tat beobachtet haben sollen.

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Prozess zum Berliner "Tiergartenmord" beginnt: . In: Legal Tribune Online, 07.10.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43036 (abgerufen am: 23.05.2025 )

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