Gefilmte Urteilsverkündung beim BGH: Die Justiz bekommt ein Gesicht

von Prof. Dr. Andreas Mosbacher

31.03.2016

2/2: Die Sorge um das "Ansehen der Justiz"

Ein nicht von der Hand zu weisendes Argument besagt, dass nicht jeder Vorsitzende gleichermaßen wortgewaltig die Entscheidungen des eigenen Senats begründen kann. Na und? Dies gilt schließlich für alle in den Medien präsenten Berufsgruppen gleichermaßen.

Zudem wurden vor einigen Jahren immerhin Anforderungsprofile für Vorsitzende Richter an den obersten Bundesgerichten niedergeschrieben, nach denen neben der fachlichen Befähigung endlich auch die soziale Kompetenz eine mitentscheidende Rolle spielen soll. Man könnte unschwer bei der Auswahl zusätzlich Wert darauf legen, dass der Betreffende Urteile verständlich begründen kann – eigentlich eine Selbstverständlichkeit für einen Vorsitzenden Richter an einem obersten Bundesgericht.

Besteht die Gefahr, dass unglückliche Formulierungen im Internet kursieren und in Satiresendungen verballhornt werden? Mag sein, aber dieses Risiko trifft jeden, der in der Öffentlichkeit agiert. Weshalb sollte es nur für Richter, die in Ausübung eines öffentlichen Amtes öffentlich Urteile verkünden, einen besonderen Schutzraum geben? Jeder Verständige wird das Gesehene ohne weiteres einordnen können – und man soll ruhig auch einmal über uns lachen können, wie wir es ja auch über andere tun.

Das "Ansehen der Justiz" nimmt mehr Schaden durch anderes – Abschottung der Justiz gegen Kritik, unverständliche Urteile, überlange Verfahrensdauer, übermäßiger Parteieneinfluss auf die Stellenbesetzung, unwürdige und alles lähmende Konkurrentenstreitverfahren sowie Profilneurotiker in roter Robe.

Zum letzten Punkt ergänzend: Selbstverständlich besteht auch die Gefahr, dass sich mancher dazu berufen fühlt, die Live-Übertragung und TV-Aufzeichnung einer Urteilsverkündung als Bühne für seinen persönlichen Ego-Trip zu nutzen. Diese – jedem öffentlichen Auftritt anhaftende – Gefahr scheint mir indes vernachlässigenswert gering, ist doch erfreulicherweise nur ein geringer Bruchteil der Kollegen für solche Versuchungen anfällig und kann sein Ego nicht der Sache unterordnen.

Unnötig Verkomplizierung der Abläufe?

Ein weiterer Kritikpunkt an der geplanten Neuregelung ist, dass dadurch die Abläufe an den obersten Bundesgerichten verkompliziert würden. Man müsse – wie beim BVerfG üblich  – erst im Senat den Text für die Urteilsbegründung abstimmen, zudem seien spontane Urteilsverkündungen wegen der Notwendigkeit der Vorbereitung deutlich schwieriger.

Auch diese Argumente überzeugen nicht. Jedenfalls für den BGH gilt: Die Urteilsverkündung ist nach dem Gesetz als Akt der Verhandlungsleitung allein Sache des Vorsitzenden, der Spruchkörper hat dabei kein Mitspracherecht. Einer internen Abstimmung bedürfte es nach Einführung der geplanten Neuregelung so wenig wie heute. Dass der Vorsitzende bei der Urteilsverkündung nicht seine eigene Meinung, sondern das Ergebnis der Senatsberatung wiedergibt, ist eine Selbstverständlichkeit und darf vorausgesetzt werden.

Zur Notwendigkeit der Vorbereitung: Schon für jeden Instanzrichter ist es selbstverständlich, dass er sich in medienwirksamen Verfahren hinreichend auf die Urteilsbegründung vorbereitet, schließlich sitzt die schreibende Zunft auf den Zuschauerbänken und wird ausführlich von dem, was er sagt, berichten. Nichts anderes gilt auch für den BGH.

Die Medienöffentlichkeit wird schon wegen der Notwendigkeit einer Auswahl nicht unterschiedslos jedes Normalverfahren mit Bild-Ton-Aufnahmen begleiten, sondern – wie heute – die spektakulären oder rechtlich besonders wichtigen Fälle. Auf diese sollte sich jeder, der ein Urteil verkünden muss, aber ohnehin sorgfältig vorbereiten. Dass man sich den einen oder anderen Satz vor der Urteilsbegründung noch etwas besser überlegt – gut so! Schließlich wird dadurch den Beteiligten und der Öffentlichkeit von einem obersten Bundesgericht erklärt, wie das geltende Recht auszulegen und anzuwenden ist. Wer der spontanen Rede weniger mächtig ist, muss schon heute mehr Zeit in die Vorbereitung der Urteilsverkündung investieren.

Eine starke und selbstbewusste Justiz muss sich nicht verstecken

Was sind schließlich die Chancen einer behutsamen Öffnung der obersten Bundesgerichte für eine erweiterte Medienöffentlichkeit? Die Gerichte können einen authentischeren Einblick in ihre Arbeit geben als bislang möglich. Die dritte Gewalt wird besser wahrnehmbar, wenn neben dem BVerfG auch die obersten Bundesgerichte in Bild und Ton wiedergegeben werden. Unsere Arbeit wird transparenter, die abstrakte Rechtsanwendung bekommt ein Gesicht. 

Dass hierbei neben viel Licht vielleicht auch ein wenig Schatten sichtbar werden wird,  kann kein Argument dafür sein, sich der Öffentlichkeit zu entziehen – wir sind, wie wir sind. Davon sollen sich diejenigen, von deren Geld wir bezahlt werden, ruhig selbst ein Bild machen können. Urteilsverkündungen im Originalbild und –ton erlauben es den Bundesrichtern zudem, mit eigenen Worten das Recht zu erklären und dadurch direkter mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren.

Vielfach wird zwar für den Rechtsunkundigen weiterhin die Vermittlung durch rechtskundige Journalisten von Nöten sein. Auch bei der notwendigen Auswahl von Filmausschnitten für die Kurzberichterstattung kann Einiges auf der Strecke bleiben. Das Vorbild der Berichterstattung über Urteilsbegründungen beim BVerfG ist aber kein abschreckendes, sondern es macht Mut (auch wenn dort weitaus weniger Urteile mündlich verkündet werden als etwa beim BGH). Das Vorbild BVerfG zeigt, dass eine Berichterstattung über Urteilsbegründungen ohne weiteres auf hohem Niveau möglich ist – ohne dass ständig Filmschnipsel der höchsten Richter im Internet zur Belustigung der Nutzer kursierten.

Die Chancen der geplanten Neuregelung überwiegen ihre Risiken. § 169 GVG sollte nach dem Vorbild des BVerfGG (§ 17a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BVerfGG) für Urteilsverkündungen der obersten Bundesgerichte erweitert werden. Eine starke und selbstbewusste Justiz muss sich nicht verstecken. Sie sollte ein Mehr an Öffentlichkeit nicht scheuen, sondern als Chance für den Dialog mit allen betrachten, die das Recht verstehen wollen.

Der Autor Prof. Dr. Andreas Mosbacher ist Richter am Bundesgerichtshof, wo er dem u.a. für Steuerstrafsachen zuständigen 1. Strafsenat angehört, und Honorarprofessor für Strafrecht und Strafprozessrecht, insbesondere Wirtschaftsstrafrecht und Revisionsrecht, an der Universität Leipzig.

Zitiervorschlag

Prof. Dr. Andreas Mosbacher , Gefilmte Urteilsverkündung beim BGH: Die Justiz bekommt ein Gesicht . In: Legal Tribune Online, 31.03.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18939/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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