Kabinett will Geheimdiensten Quellen-TKÜ erlauben: Tau­sche Staat­stro­janer gegen Ras­sis­mus­studie

von Dr. Markus Sehl

21.10.2020

Die Geheimdienste sollen nun auch dürfen, was der Polizei schon erlaubt ist. Mit der Quellen-TKÜ soll der Zugriff auf verschlüsselte Messenger-Nachrichten gelingen. Die SPD gab ihren Widerstand auf – wohl auch für einen Deal.

Am Mittwoch war es dann also soweit. Die Bundesregierung will den Geheimdiensten künftig erlauben, Kommunikation über WhatsApp und andere verschlüsselte Messenger-Dienste mitzulesen. Das Kabinett entschied, dass der Verfassungsschutz, der Bundesnachrichtendienst und der Militärische Abschirmdienst (MAD) künftig die sogenannte Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) einsetzen dürfen.

Dabei wird in einem ersten Schritt ein "Staatstrojaner" auf einem Laptop oder auf ein Telefon aufgespielt. Mit Hilfe dieser Software können dann Nachrichten mitgelesen werden, und zwar bevor sie verschlüsselt werden, sozusagen  an der Quelle. Der Polizei steht das Instrument bereits seit 2017 über § 100 a Strafprozessordnung (StPO) als Ermittlungswerkzeug zur Verfügung. Eingesetzt wird das von der Polizei aber nach Recherchen des WDR  äußerst selten – zu groß sollen die technischen Hürden sein.

Die Reform für die Geheimdienste war in der Koalition sehr umstritten. Ein erster Entwurf war den anderen Ministerien bereits im März 2019 zur Stellungnahme übersandt worden. Damals sah er für die Geheimdienste auch noch die Erlaubnis für die sogenannten "Online-Durchsuchungen" vor. Diese Befugnis sieht der Entwurf nun nicht mehr vor. Eine Änderung, die die SPD für sich verbuchen möchte.

Quellen-TKÜ nur nach richterlicher Anordnung

Die Online-Durchsuchung ist eine noch tiefgreifendere Maßnahme als die Quellen-TKÜ. Dabei wird ein Computersystem umfassend oder gezielt durchsucht, also können nicht nur Kommunikationsdaten, sondern sämtliche in der Vergangenheit gespeicherten Daten betrachtet werden. Aus längst vergangenen Chatverläufen, Fotos, Notizen und Webseitenbesuchen lässt sich ein sehr umfassendes Bild einer Person zusammensetzen.

Anders als in der StPO soll der Einsatz der Quellen-TKÜ für die Geheimdienste nicht schon nach einer richterlicher Anordnung erfolgen können, sondern erst nach einer Genehmigung durch die G10-Kommission im Bundestag.* Um die Kontrolle der Überwachungsmaßnahmen zu verbessern, wird die Zahl der Mitglieder der für ihre Genehmigung zuständigen G10-Kommission erhöht. Außerdem soll der Kommission ein technischer Berater an die Seite gestellt werden.

Der Entwurf aus dem Bundesinnenministerium sieht außerdem einen erweiterten Austausch von Informationen zwischen dem MAD und den Verfassungsschutzbehörden vor. Auch werden die Hürden für die Beobachtung von Einzelpersonen durch den Verfassungsschutz gesenkt.

Damit will die Bundesregierung Konsequenzen aus den rechtextrem motivierten Terroranschlägen in Halle und Hanau ziehen. Beide Anschläge waren von Tätern verübt worden, die nach bisherigen Erkenntnissen keiner Gruppierung angehörten.

Staatstrojaner im Tausch gegen Rassismusstudie?

In der Amtszeit von Bundesjustizministern Katarina Barley hatte das BMJV das Vorhaben hartnäckig blockiert . Die SPD hatte sich lange gegen die Pläne von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) gesperrt. Vor allem die neue Parteichefin und Digitalpolitikerin Saskia Esken hatte sich ausdrücklich gegen die Trojanerbefugnisse gestellt. Nun ist der Widerstand eingebrochen. Die Opposition im Bundestag vermutet dahinter einen Deal: Wenn die SPD dem Staatstrojaner für die Nachrichtendienste zustimme, wird im Gegenzug der Innenminister die Rassismusvorwürfe in den Reihen der Polizei untersuchen lassen. "Der jetzige Deal, Studie gegen Staatstrojaner-Einsatz kommt einem – auch vor allem rechtspolitischen – Offenbarungseid gleich", sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen und Rechtspolitiker Konstantin von Notz.

Ein Sprecher des SPD-geführten Bundesjustizministeriums sagte, es handele sich insgesamt um eine "maßvolle Kompetenzerweiterung" bei einer gleichzeitigen Stärkung der parlamentarischen Kontrolle. Genauso flexibel war es als Plan im Koalitionsvertrag formuliert.

"Wir brauchen einen Verfassungsschutz, der auch im digitalen Zeitalter sehen und hören kann. Nur so können wir den extremistischen Geschwüren in unserer Gesellschaft etwas entgegensetzen", sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). Die FDP kritisierte das Vorhaben. "Dass nun auch die Nachrichtendienste den Staatstrojaner einsetzen dürfen sollen, gleicht einem Ausverkauf der Bürgerrechte. Es überrascht sehr, dass Bundesjustizministerin Lambrecht (SPD) als Verfassungsministerin diesen Schritt hin zum gläsernen Bürger als Ideal konservativer Sicherheitspolitik mitgeht", sagte der FDP-Vizefraktionschef Stephan Thomae der dpa. "Die Überwachung verschlüsselter Kommunikation, also die Quellen-TKÜ, ist der kleine Bruder der Online-Durchsuchung und stellt ebenso einen massiven Grundrechtseingriff dar." Beide hätten bei den verdeckt und im Gefahrenvorfeld agierenden Nachrichtendiensten "nichts verloren.

Auch die Oppositionspolitiker der Grünen und Linken befürchten schon seit längerer Zeit eine Verschiebung im Sicherheitsrecht. Rechtswissenschaftler beobachten eine "Verpolizeilichung des Nachrichtendienstes" und eine "Vernachrichtendienstlichung der Polizei", also ein Verwischen der Grenzen zwischen den Sicherheitsbehörden. Letzteres lässt sich im neuen Bayerischen Polizeigesetz aus 2018 erkennen, wenn dort die Polizei ein ganzes Arsenal an Überwachungsmaßnahmen schon bei "drohender Gefahr", also im Vorfeld der klassischen Eingriffsschwelle, einsetzen darf.

Die Union hatte lange auf die neue Regelung gedrungen. "Es ist gut und wichtig, dass die Anpassung des Verfassungsschutzgesetzes nun endlich auf den Weg gegeben wird", sagte ihr innenpolitischer Fraktionssprecher Mathias Middelberg (CDU). Nur so könne der Inlandsgeheimdienst auch im digitalen Zeitalter seine Rolle als Frühwarnsystem weiter ausüben.

BVerfG soll noch über Staatstrojaner entscheiden

Seit Sommer 2018 liegen gleich mehrere Beschwerden  gegen den Staatstrojanereinsatz beim Bundesverfassungsgericht. Den Bürgerrechtlern zufolge beeinträchtige der Trojanereinsatz die Cybersicherheit weltweit. Denn um Staatstrojaner einzuschleusen, dürften die Behörden auch Sicherheitslücken in Soft- und Hardware ausnutzen, die den jeweiligen Herstellern noch unbekannt sind. Das schaffe Anreize, ein "Arsenal von Sicherheitslücken" aufzubauen, um im Fall des Falles eine Zielperson angreifen zu können. Die Befürchtung der Bürgerrechtler: Jede einzelne Lücke in einer solchen elektronischen Waffenkammer könne nicht nur von Behörden für Hacks von Handys und Computern ausgenutzt werden, sondern auch von Kriminellen. So könne das staatliche Arsenal selbst zum Ziel von Hackerangriffen werden.

"Statt die Entscheidung der Karlsruher Richter abzuwarten, weitete man das umstrittene Instrument nun einfach auf den Geheimdienstbereich aus", sagte am Mittwoch von Notz, der auch zu den Klägern gegen die StPO-Änderung gehört. Er kritisiert weiter, dass die Regierung damit an dem Handel mit Sicherheitslücken festhalte, Eingriffsschwellen für den Trojaner-Einsatz nicht erhöht habe, und auch nicht die Kontrolle und Transparenz verbessert.

Nach der Kabinettsentscheidung erreicht der Entwurf nun den Bundestag, der das Gesetz auch noch beschließen muss.

Mit Material der dpa

Anm. d. Red.: präzisiert am 21.10.2020, 22.57 Uhr. 

Zitiervorschlag

Kabinett will Geheimdiensten Quellen-TKÜ erlauben: Tausche Staatstrojaner gegen Rassismusstudie . In: Legal Tribune Online, 21.10.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43177/ (abgerufen am: 23.04.2024 )

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