Wegen des unzulässigen Einsatzes von V-Leuten wurde Deutschland bereits mehrfach vom EGMR verurteilt. Jetzt hat die Bundesregierung strengere Regeln beschlossen. Ob diese reichen?
Der Einsatz von Vertrauenspersonen (V-Leute) und der Umgang mit der Tatprovokation wird erstmals in Deutschland in einem Gesetz geregelt. Den entsprechenden Entwurf beschloss das Bundeskabinett am Mittwoch. Deutschland war vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) wegen Verstoßes gegen das Gebot eines fairen Verfahrens aus Art. 6 Abs. 1 S. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zuletzt im Jahr 2020 verurteilt worden (Urt. v. 15.10.2020, Az. 40495/15, 40913/15 und 37273/15). Der Grund: zwei strafrechtliche Verurteilungen wegen Drogenhandels, obwohl diesen eine rechtswidrige Tatprovokation vorangegangen war.
Der am Mittwoch im Kabinett beschlossene Entwurf konkretisiert nunmehr erstmals die Rahmenbedingungen für den Einsatz von Vertrauenspersonen. Das Gesetz umfasst dabei sowohl staatliche verdeckte Ermittler als auch (private) V-Leute, die "undercover" arbeiten. Dies sind in der Regel Szene-Angehörige, die meist gegen Geld Informationen über ihr Umfeld verraten. Ihre Einsätze würden nun einer effektiven, richterlichen Kontrolle zugänglich gemacht, erklärte das Bundesministerium für Justiz (BMJ).
Explizit zulässig sein soll der Einsatz von V-Personen künftig nur bei bestimmten Straftaten von erheblicher Bedeutung wie etwa bei Drogenkriminalität, Waffenhandel und Staatsschutzdelikten. Ihr Einsatz darf zudem nur erfolgen, wenn die Aufklärung durch andere Maßnahmen nicht möglich oder ausreichend erfolgsversprechend ist.
Richtervorbehalt und Berichtspflichten
Auch regelt der Regierungsentwurf, welche Personen nicht als staatliche Spitzel eingesetzt werden dürfen: Das gilt für solche, die aus der Szene raus wollen und bereits an einem Aussteigerprogramm teilnehmen. Auch Personen, für die eine Tätigkeit als V-Person die wirtschaftliche Lebensgrundlage darstellen würde, kommen nicht in Betracht. Verboten wäre es auch Parlamentarier, z.B. Bundestagsabgeordnete, anzuheuern. Schließlich können Einsätze über zu lange Zeiträume ("kumulative aktive Einsatzzeit mehr als zehn Jahre") einem Einsatz entgegenstehen.
Eine frühere Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe steht hingegen einem Einsatz nicht entgegen. Allerdings fordert das Gesetz, dass bei diesen Personen die Zuverlässigkeit besonders begründet werden muss. Ansonsten gilt: "Die Zuverlässigkeit der Vertrauensperson ist vom Einsatz an fortlaufend zu überprüfen."
Eine der wichtigsten Neuerungen im Vergleich zum aktuell-ungeregelten Zustand ist, dass Einsätze von V-Personen künftig unter einem Richtervorbehalt stehen und einer regelmäßigen richterlichen Kontrolle unterstellt werden. "Damit wird ein Gleichklang zu anderen verdeckten Maßnahmen hergestellt, bei denen im Regelfall ebenfalls eine Prüfung durch eine unabhängige Instanz vorgesehen ist", erläutert das BMJ. Zur Gewährleistung einer höheren Transparenz werden für Einsätze Verdeckter Ermittler und von V-Personen Berichtspflichten eingeführt.
Neues Auskunftsverweigerungsrecht für V-Leute
Im Vergleich zum Referentenentwurf, den LTO seinerzeit vorgestellt hatte, enthält der Regierungsentwurf nur eine wesentliche Veränderung: So soll es ein neues, spezielles Auskunftsverweigerungsrecht für V-Leute geben. Ihre Einführung als Zeugen in eine Hauptverhandlung scheitert aktuell oft daran, dass sie vom zuständigen Ministerium vollständig gesperrt werden.
Seitens des BMJ erhofft man sich nun von einem neuen § 69 Abs.4 StPO, V-Leute künftig häufiger unmittelbar im Gericht zu vernehmen. In der Begründung des Regierungsentwurfs heißt es, die Regelung diene auch dem Zweck, "dass der gefährdete Zeuge überhaupt vernommen werden kann und nicht auf Beweissurrogate zurückgegriffen werden muss".
Kritik aus der Justiz
Da also auf Strafverfolger und Gerichte u.a. durch Berichtspflichten und Richtervorbehalt Arbeit zukommt, ist es wenig verwunderlich, dass ihre Organisationen das Gesetz ablehnen oder ihm massiv kritisch gegenüberstehen.
Heftige Kritik an der Einführung eines Richtervorbehaltes übten etwa die Generalstaatsanwälte. Die Prüfung durch ein Gericht sei rechtsstaatlich nicht geboten und in der Praxis nicht zielführend. Die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden würde erschwert und die Gefahr der Aufdeckung der Vertrauenspersonen würde erhöht. Im Übrigen sei die Rechtsgrundlage für den Einsatz von V-Leuten in der Ermittlungsgeneralklausel, § 163 Abs. 1 S. 2 Strafprozessordnung (StPO), ausreichend geregelt und durch die Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) ausreichend konkretisiert.
Der Deutsche Richterbund monierte, das Gesetz stelle Anforderungen an Vertrauenspersonen, die der Realität nicht entsprächen. Zudem schaffe es für die V-Leute selbst Risiken, die ihren Einsatz erschwerten oder gar gefährden könnten.
Zuspruch von Strafverteidigern
Zuspruch erhält die Bundesregierung dagegen für Ihr Vorhaben von den Anwaltsverbänden. Auf dem 45. Strafverteidigertag in Hamburg Anfang März signalisierten die Strafrechtler ihre grundsätzliche Zustimmung zu dem Vorhaben. Obwohl für die Verteidigerzunft "der Teufel" in einigen Details der am Mittwoch beschlossenen Gesetzes steckt, überwiegt ihre Erleichterung, dass mit dem Gesetz endlich ein rechtsstaatliches Gerüst für den Einsatz von V-Leuten geschaffen werde. Mit dem Verweis auf bestehende Ermittlungsgeneralklauseln könne der mit dem V-Leute-Einsatz einhergehende Grundrechtseingriff jedenfalls nicht gerechtfertigt werden. "Eine gesetzliche Regelung ist unabdingbar und kann nicht mit dem Glauben an die Vertrauenswürdigkeit der Ermittlungsbehörden abgetan werden", heißt es in der Abschlusserklärung.
Auch der Deutsche Anwaltverein (DAV) begrüßte das Gesetz am Mittwoch im Grundsatz: "Dass der Einsatz privater Vertrauenspersonen erstmals einen gesetzlichen Rahmen erhalten soll, ist wichtig und gut", sagte Rechtsanwältin Gül Pinar, Mitglied im Strafrechtsauschuss des DAV. Zu begrüßen sei, dass der Richtervorbehalt für den Einsatz ungeachtet der irritierenden Kritik aus Justiz- und Polizeikreisen unangetastet geblieben sei. "V-Personen sind keine Polizisten. Ihr Einsatz muss deshalb einer besonders strengen Kontrolle und klaren gesetzlichen Regeln unterliegen", so Pinar.
Verleitung zu Straftaten erlaubt
Allerdings dürfte auch für die Strafrechts-Anwälte ein Regelungskomplex im Regierungsentwurf nur schwer zu verdauen sein. So sieht der Gesetzentwurf in einem neu gefassten § 100c StPO erstmals eine gesetzliche Regelung zur rechtsstaatswidrigen Tatprovokation vor. "Die Regelung orientiert sich an der bisherigen Rechtsprechung und stellt klar, dass eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis nach sich zieht", so das BMJ.
In der Vorschrift wird allerdings auch klargestellt, unter welchen Voraussetzungen Dritte zur Begehung von Straftaten zulässigerweise animiert werden dürfen. Ob es der Bundesregierung insoweit gelungen ist, die deutsche Rechtslage fortan mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) bzw. der Rechtsprechung des EGMR in Einklang zu bringen und Verurteilungen zu vermeiden, ist zumindest fraglich.
Auf dem Strafverteidigertag wurden hier Zweifel laut: Knackpunkt ist die Formulierung, wonach V-Leute einen Beschuldigten – wenn auch in Grenzen – zu Straftaten "verleiten" dürfen. Einige Strafrechtler glauben, dass das in der Formulierung zum Ausdruck kommende aktive Einwirken auf einen Dritten über das vom EGMR erlaubte Maß hinaus geht. "Die staatliche Tatprovokation ist der Sündenfall des Rechtsstaats; sie muss in jeder Form unzulässig sein", hieß es dazu in der Abschlusserklärung der Strafverteidiger.
DAV-Strafrechtlerin Pinar kritisierte, dass laut Regierungsentwurf auch V-Leute mit krimineller Biografie eingesetzt werden dürfen. "Eine Vorstrafenbelastung sollte ein Tabu sein", so die Anwältin.
Abstimmungsprozess zwischen BMJ und BMI
Über den Beschluss des Bundeskabinetts freute sich jedenfalls am Mittwoch der Bundesjustizminister. Mit dem Gesetz gebe man den Ermittlern die nötige Rechtssicherheit und zeige zugleich die Grenzen des Rechtsstaats auf. "Mit unserem Entwurf wird deutlich: Klare Regelungen für den Einsatz von V-Personen sind möglich, ohne die Effektivität der Ermittlungen zu schmälern", so Marco Buschmann.
Der Verständigung auf einen Regierungsentwurf war ein längerer Abstimmungsprozess zwischen dem FDP-geführten BMJ und dem Bundesinnenministerium (BMI) vorausgegangen. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte sich dafür eingesetzt, den Einsatz von V-Leuten nicht zu stark einzuengen.
Gesetz zum Einsatz von V-Personen und Lockspitzeln: . In: Legal Tribune Online, 13.03.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54097 (abgerufen am: 13.11.2024 )
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