Justiz-Streit mit der EU: Polens Ver­fas­sungs­ge­richt setzt EU-Recht zurück

von Dr. Markus Sehl

07.10.2021

Der Europäische Gerichtshof dürfe keine Entscheidungen über die polnische Justiz treffen, das hat das Verfassungsgericht in Warschau entschieden. Ein weiterer Schritt in Richtung eines "rechtlichen Polexit"?

Der Europäische Gerichtshof dürfe keine Entscheidungen über die polnische Justiz treffen, das hat das polnische Verfassungsgericht am Donnerstagnachmittag entschieden (Verfahren K 3/21). Die Entscheidung ist ein klares Signal in Richtung der europäischen Rechtsgemeinschaft und verschärft Sorgen um einen "rechtlichen Polexit". 

"Der Versuch des Europäischen Gerichtshofs, sich in das polnische Justizwesen einzumischen, verstößt gegen (...) die Regel des Vorrangs der Verfassung und gegen die Regel, dass die Souveränität im Prozess der europäischen Integration bewahrt bleibt", urteilten die Richterinnen und Richter. Die Entscheidung ist mit Mehrheit der Stimmen im Großen Senat gefallen, es gab zwei abweichende Voten.

Der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki hatte das Verfassungsgericht (Trybunał Konstytucyjny - TK) gebeten, zu prüfen, ob EU-Recht im Einklang mit der Verfassung steht. Zugespitzt läuft es darauf hinaus, dass das polnische Verfassungsgericht klären musste, ob es dem nationalen Verfassungsrecht Vorrang vor dem europäischen Recht einräumen will. Denn mit Blick auf die umstrittenen Justizreformen in Polen kam es sozusagen zum Schwur: Die obersten EU-Richterinnen und Richter hatten festgestellt, dass EU-Recht die Mitgliedstaaten zwingen kann, einzelne Vorschriften im nationalen Recht außer Acht zu lassen – auch im nationalen Verfassungsrecht. 

Das polnische Verfassungsgericht hatte sich die Frage vorgenommen, ob die EuGH-Gefolgschaft auch dann noch in Einklang mit der eigenen Verfassung steht, wenn im Ergebnis das eigene Rechtsregime in so sensiblen Bereichen wie einer eigenen Justizreform zurücktritt.

Wann wird die Entscheidung rechtsverbindlich?

In den vergangenen Wochen waren angesetzte Auftakttermine beim TK zweimal verschoben worden - und die Verhandlung mehrfach Woche für Woche auf Fortsetzungstermine vertagt worden. Beobachter des Verfahrens hielten das für ein "Ausweichmanöver". Durch eine Verzögerung einer Entscheidung solle das Drohpotential eines Urteils gegenüber der EU aktiv gehalten werden.

Obwohl die Entscheidung aus Warschau nun mündlich in der Welt ist, wird sie nach polnischem Recht erst rechtsverbindlich, wenn das Urteil von der Regierung im Gesetzesblatt veröffentlicht wurde. Die Veröffentlichung einer Abtreibungsentscheidung des polnischen Verfassungsgerichts 2020 zog sich über Monate hin. Die Wirkung der Verkündung vor Veröffentlichung ist allerdings umstritten.

Kritische Beobachter verweisen auch immer wieder darauf, dass es zweifelhaft sei, ob es sich bei dem Verfassungsgericht noch um ein politisch unabhängiges Gericht in Polen handeln kann.

Zitiervorschlag

Justiz-Streit mit der EU: . In: Legal Tribune Online, 07.10.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46245 (abgerufen am: 11.11.2024 )

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