Yashar G. soll Informationen an eine Kokain-Bande verkauft haben - dafür steht der auf Drogenverfahren spezialisierte Staatsanwalt in Hannover vor Gericht. G. gibt sich kämpferisch. Es zeichnet sich ab, wie heikel der Prozess werden könnte.
Was der Vertreter der Staatsanwaltschaft im Landgericht (LG) Hannover am Mittwochmorgen als Anklagvorwurf in der Sache Az. 99 KLs 3/25 verliest, klingt erst einmal nicht besonders interessant. Dem Angeklagten Yashar G. werden 14 Fälle von Bestechlichkeit, Verletzung von Dienstgeheimnissen und Strafvereitelung im Amt zur Last gelegt. Alles in einem Zeitraum von einem guten halben Jahr, von Sommer 2020 bis Frühjahr 2021. Alles recht überschaubar.
Dem Staatsanwalt gegenüber sitzt Yashar G., der Angeklagte. Und der fixiert ihn mit seinem Blick. G. ist selbst Staatsanwalt, hat eben hier in Hannover gearbeitet, in einem Dezernat gegen Drogenkriminalität. Nicht zuletzt in einem der größten Kokainschmuggelprozesse Europas leitete er die Ermittlungen. In der Anklageschrift ist die Rede von einem "beliebten, engagierten und kompetenten Staatsanwalt".
Aber im Herbst 2024 wurde der 39-jährige Deutsch-Iraner G. verhaftet, sitzt seitdem in Untersuchungshaft und steht nun selbst in Hannover vor Gericht. Was ihm vorgeworfen wird, dürfte in der deutschen Justizgeschichte beispiellos sein. Er soll Informationen aus laufenden Ermittlungsverfahren an eine Kokainbande verkauft haben. Unter anderem soll er führende Köpfe im Frühjahr 2021 vor einer bevorstehenden Razzia gewarnt haben. Einigen gelang die Flucht ins Ausland, nach Dubai und die Türkei.
Die Technizität der aufgerufenen Straftatbestände (§ 332, 353b, 258a Strafgesetzbuch) täuscht über die Dimension des ungeheuren Vorwurfs: Ist es der internationalen Kokainmafia gelungen, an einer Schlüsselstelle in der deutschen Justiz einen Informanten zu gewinnen?
"Für Sie immer noch 'Herr'" – Staatsanwalt G. gibt sich kämpferisch
Während der Anklageverlesung schüttelt G. immer wieder ungläubig den Kopf, schmunzelt in den Saal, sucht Blickkontakt mit den Zuschauern. Als sei das alles ein großes Missverständnis, als warte er nur darauf, seine Version der Geschichte endlich loszuwerden. Sein Blick wandert selbstbewusst über die bis auf den letzten Platz besetzen Zuschauerreihen im Saal 127 des Landgerichts.
Kurz vor Ende des ersten Verhandlungstages ergreift er selbst noch das Wort. Eins wolle er mal vorab klarstellen, sagt G. scharf in Richtung der beiden Vertreter der Staatsanwaltschaft. Für die beiden sei er immer noch "Herr" G. oder der "Angeklagte" – und nicht einfach nur G.
Der angeklagte Herr G. streitet alle Vorwürfe gegen ihn ab. An das Gericht gewandt sagt er: "Verstehen sie mich bitte nicht falsch, ich beabsichtige nicht, das Verfahren mit Anträgen zu verschleppen." Er brauche jetzt nur weitere Akteneinsicht, will entschlüsselte Chatnachrichten, auf die sich Ermittler und Staatsanwaltschaft als Beweise stützen, als Rohmaterial haben. Denn er traue Landeskriminalamt und Staatsanwaltschaft nicht. "Ich bin froh, dass es endlich losgeht", sagt G., "und dass das Gericht den Fall aufklärt."
Ermittler und Staatsanwaltschaft haben gegen G. offenbar vor allem die Chatnachrichten und bei ihm aufgefundene abfotografierte Behördendokumente in der Hand. In der Kommunikation der Kokainbande, die von Niedersachsen aus agierte, ist wiederholt die Rede von einem "SA", einem "Cop" und einem "Coach" gewesen. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft soll G. der "Cop" gewesen sein. Was G. am Mittwoch vor Gericht allerdings noch einmal bestritt.
Verrat von Haftbefehlen und Observationen für jeweils 5.000 Euro?
Der "Coach" soll Amir-Houman F. gewesen sein. Er ist in Hannover mitangeklagt, sitzt am Mittwoch neben G. Dem Deutsch-Iraner gehört eine Kampfsportschule im Norden Hannovers, dort soll auch G. Mitglied gewesen sein. Und eben dort soll sich G. mit F. und anderen Mittelsmännern der Kokainbande ausgetauscht haben. Mal kamen konkrete Fragen, mal soll auch G. von sich aus interessante Infos gegen Geld angeboten haben.
Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass er von der Bande eine Grundvergütung von monatlich 5.000 Euro in bar erhalten hat. Zusätzlich für einzelne Tipps zu Haftbefehlen, Observationen oder Telekommunikationsüberwachung jeweils nochmal 5.000 Euro. So sollen insgesamt 65.000 Euro in den knapp 9 Monaten ab Mitte 2020 an G. geflossen sein. 65.000 Euro sind als Zuverdienst zum Staatsanwaltsgehalt eine Menge Geld. Aber auch so viel, dass ein Staatsanwalt, der so exponiert Drogen-Prozesse führt, wirklich seine Existenz für Tranchen von 5.000 Euro riskiert?
In Hamburg wurden kürzlich zwei Hafenmitarbeiter verurteilt, die Container mit geschmuggeltem Kokain für die Abholer günstig platzieren sollten. Sie bekamen dafür 2.000 Euro pro Kilo Kokain versprochen. Geschmuggelt werden sollten 480 Kilogramm, also knapp eine Millionen Euro wert für die Helfer im Hafen. Ein Staatsanwalt als Maulwurf platziert in der zuständigen Drogenabteilung dürfte ein deutlich wertvolleres Kaliber sein.
In G.s Fall wird es für die Beweisfragen absehbar auf die kleinteilige Auswertung und Interpretation der Chatnachrichten und des bei G. sichergestellten internen Materials ankommen.
Vorsitzende Richterin hatte sich selbst für befangen erklärt – und muss doch ran
G.'s Verteidiger, der Hannoveraner Strafrechtsanwalt Timo Rahn äußerte Zweifel, ob das Gerichtsverfahren in dieser Besetzung auf der Richterbank zu Ende gehen werde. Er sprach die Vorsitzende Richterin der 20. Großen Strafkammer Jana Bader direkt an. Die hatte im Vorfeld der Verhandlung per Selbstanzeige ihre Befangenheit erklärt. Nicht nur G. und sie kennen sich aus dem Gerichtssaal; Bader soll als Richterin außerdem auch mit einem der Hinweisgeber gegen G. zu tun gehabt haben.
Dass Bader den Vorsitz der Kammer auch in diesem Verfahren behält, liegt an ihren niedersächsischen Kollegen: Erst das Landgericht Hannover, dann das Oberlandesgericht Celle teilte ihre Bedenken nicht. Sie verwarfen die Befangenheitsanzeigen. Verteidiger Rahn sprach davon, Bader sei zu diesem Prozess "gezwungen" worden. Er brachte ins Spiel, ob nicht die Richterin selbst als Zeugin gehört werden müsste. Gleichzeitig im Zeugenstand und auf der Richterbank sitzen kann sie natürlich nicht.
Hat die Justiz im Umgang mit dem Fall G. Fehler gemacht?
Keine Rolle spielten am ersten Verhandlungstag die Abläufe bei der Justiz in diesem Verfahren. Wer hatte wann was zum Verdacht gegen G. gewusst? Sind im Umgang Fehler gemacht worden? Die Parlamentarische Geschäftsführerin der oppositionellen CDU-Landtagsfraktion, Carina Hermann, hatte von einem "Justizskandal" gesprochen.
Klar ist: Nicht bei jedem Verdacht, den ein Angeklagter gegen einen gegen ihn ermittelnden Staatsanwalt äußert, kann der vom Prozess oder gar aus seinem Zuständigkeitsbereich abgezogen werden. Auf die Qualität des Verdachts hatte auch der Bundesgerichtshof abgestellt, der kürzlich über einen Revisionsfall aus dem Drogenschmuggel-Komplex zu entscheiden hatte. Aber ab welchem Verdachtsgrad muss die Justiz mit vorläufigen Maßnahmen reagieren?
Im Fall von G. kam offenbar auch noch Zeitdruck hinzu. Denn schon einmal im November 2022 kam es nach Hinweisen und Ermittlungen gegen. G. zu einer ersten Durchsuchung bei ihm – aber die Zeit drängte. Denn für nur Anfang Dezember war bereits die Eröffnung des Hauptverfahren in einem wichtigen Kokain-Prozess geplant, G. hatte die Anklage geschrieben, sollte das Verfahren für die Staatsanwaltschaft führen. Damals entschied die Staatsanwaltschaft Hannover, dass G. an Bord bleiben darf. Und so konnte er trotz des schwebenden Verdachts weitermachen, auch das Verfahren gegen ihn lief im Hintergrund weiter. Zwischenzeitlich wurde es eingestellt, weil sich der Verdacht nicht erhärtet hatte. Dann im Sommer 2024 tauchten offenbar neue Beweise auf, die Ermittlungen gegen G. liefen wieder an – bis er schließlich im Oktober verhaftet wurde.
Letztlich hat der Fall auch eine politische Dimension: Die Verantwortungsfrage für den Umgang mit dem Fall reicht von der Staatsanwaltschaft, über die Generalstaatsanwaltschaft bis zum Justizministerium Niedersachsen. Auch überall dort wird man den Prozess gegen G. und seine weiteren Enthüllungen aufmerksam verfolgen. Derzeit sind Termine bis September angesetzt.
Als die Vorsitzende Richterin Bader am Mittwoch den ersten Sitzungstag beendet, wirkt es so, als hätte G. gerne noch weitergeredet. Bader muss ihm regelrecht das Wort abschneiden. Schon in der nächsten Sitzung am 12. Mai will G. sich ausführlich zu den Vorwürfen äußern.
Prozessauftakt in Hannover: . In: Legal Tribune Online, 23.04.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/57052 (abgerufen am: 14.05.2025 )
Infos zum Zitiervorschlag