Neue Untergruppe im djb: "Jurist oder Juristin mit Mig­ra­ti­ons­hin­ter­grund macht schon einen Unter­schied"

von Maryam Kamil Abdulsalam

12.06.2024

Juristinnen mit Migrationsgeschichte sind in der juristischen Branche besonders benachteiligt. Davon geht der djb aus. Ein neues Netzwerk innerhalb der Vereinigung soll Mehrfachdiskriminierung sichtbar machen und Gleichberechtigung fördern.

LTO: Frau Nasiriamini, der Deutschen Juristinnenbund (djb) hat das Netzwerk "Juristinnen mit Migrationsgeschichte" als eigene Unterorganisation gegründet. Warum?

Farnaz Nasiriamini: In Deutschland besteht noch immer eine Ungleichbehandlung von Frauen, besonders von Frauen mit Migrationsgeschichte. Wir möchten ein tieferes Verständnis für die Komplexität dieser Ungleichheiten und Machtstrukturen in der Gesellschaft entwickeln. Dazu wollen wir intersektional aufzeigen, wie soziale Kategorien, insbesondere Geschlecht und Herkunft, miteinander verflochten sind und zu Privilegien oder Diskriminierung führen. So möchten wir inklusivere Strategien im Kampf gegen Diskriminierung und für Gleichberechtigung entwickeln. Deshalb haben wir die Gruppe "Juristinnen mit Migrationsgeschichte" - wir kürzen das als JuMi ab gegründet.

Um das zu erreichen, wollen wir zunächst den rechtswissenschaftlichen Diskurs über das Thema voranbringen. Gleichzeitig wollen wir Juristinnen innerhalb des djb, die von Sexismus und Rassismus in der Gesellschaft betroffen sind, vernetzen und sichtbar machen. Die Gruppe soll zudem einen Raum bieten, sich über Bewältigungsstrategien von Diskriminierungserfahrung im Beruf und Alltag auszutauschen.  

Was bedeutet dabei "intersektional"?

Statt von einem "intersektionalen Ansatz" könnte man auch von einer komplexen Ungleichheitsanalyse sprechen. Dahinter steht der Ansatz, dass soziale Kategorien nicht isoliert wirken, sondern vielfältig miteinander verbunden sind und sich gegenseitig beeinflussen. So sind in einer Person oft mehrere Diskriminierungsmerkmale vereint, die sich überschneiden. Ein Beispiel ist eine lesbische Frau mit Migrationsgeschichte im Rollstuhl aus einer niedrigen sozialen Klasse, die sowohl Homophobie, Sexismus, Rassismus, Ableismus als auch Klassismus erfährt. Ein anderes Bespiel ist die Rechtsanwältin mit Migrationsgeschichte im Gerichtssaal, die für die Angeklagte gehalten und gefragt wird, wo ihr Anwalt bleibe.

Die Überschneidung dieser Diskriminierungsformen beeinflusst die Lebenserfahrungen und Möglichkeiten der Betroffenen. Die Analyse über den "intersektionalen Ansatz" soll diese komplexen und miteinander verflochtenen Formen von Diskriminierung und Unterdrückung aufzeigen.

Was hat Ihr Netzwerk konkret vor?

Wir werden in zwei Richtungen aktiv werden: nach außen und nach innen. 

Wir planen rechtspolitische Veranstaltungen und Bildungsangebote, zum Beispiel zu aktuellen Entwicklungen im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. Durch unsere rechtspolitische Arbeit wollen wir erreichen, dass sowohl Politik als auch Forschung sich verstärkt mit Mehrfachdiskriminierung befassen. Den juristischen Diskurs möchten wir durch die Veröffentlichung von Fachbeiträgen voranbringen. 

Auf dem letzten Bundeskongress des djb haben wir uns dazu bereits ein neues Leitbild gegeben, das wir nun verbandsintern mit Leben füllen möchten. Wir sorgen für eine bundesweite und lokale Vernetzung und Unterstützung von Juristinnen mit Migrationsgeschichte. In jeder Regionalgruppe und in jedem Landesverband soll es zukünftig eine Ansprechpartnerin des Jumi-Netzwerks geben, um vor Ort auf die Belange dieser Gruppe eingehen zu können. Der Bedarf ist offenbar da: In der Gruppe haben sich sehr schnell fast 100 Juristinnen mit Migrationsgeschichte zusammengefunden. 

"Mehr Perspektiven einbeziehen"

Es gibt bereits diverse Netzwerke für Juristen mit Migrationshintergrund – warum muss es noch eins sein?

Diese Frage zeigt bereits die Notwendigkeit unseres Netzwerkes. 

Das ist ähnlich wie bei der Gründung einer neuen Kanzlei: Niemand stellt die Frage, warum es noch eine weitere Kanzlei braucht. Es wird als selbstverständlich wahrgenommen, dass verschiedene Kanzleien unterschiedliche Schwerpunkte setzen und dadurch den gesamten Rechtsmarkt bereichern. Genauso verhält es sich mit unseren Netzwerken: Es geht darum, mehr Stimmen und Perspektiven einzubeziehen, um letztlich eine vielfältigere und inklusivere Rechtslandschaft und Gesellschaft zu schaffen. Übrigens stehen wir mit anderen Vereinigungen netzwerkübergreifend im Austausch und unterstützen uns gegenseitig.

Was unterscheidet Sie von den bestehenden Netzwerken?

Unser Netzwerk ist innerhalb eines bereits rechtspolitisch wirkenden Frauenverbands tätig. Wir wollen auf der Ebene der Rechtspolitik die Perspektive für Mehrfachdiskriminierung erweitern und damit eine tatsächliche Gleichstellung aller Frauen erreichen. 

Unsere konkrete Zielgruppe wird besonders oft übersehen. Es gibt bisher kein Netzwerk für Juristinnen, das sich gezielt mit der Schnittstelle von Geschlecht und rassistischen Diskriminierungserfahrungen auseinandersetzt. Genau diese will das Jumi-Netzwerk beleuchten: In einer vom Patriarchat geprägten Gesellschaft macht es einen Unterschied, Jurist mit Migrationsgeschichte oder Juristin mit Migrationsgeschichte zu sein.  

Andere Netzwerke haben einen anderen Fokus, wie zum Beispiel die Karriereförderung und das Networking untereinander.  

"Wenige Lehrstühle von Frauen mit Migrationshintergrund besetzt"

Wie steht es um die Gleichbehandlung von Frauen in der juristischen Ausbildung?

Es gibt dazu eine groß angelegte Studie, die von Andreas Glöckner (Fernuniversität Hagen), Emanuel Towfigh (EBS Universität Wiesbaden) und Christian Traxler (Hertie School of Governance) im Auftrag des nordrhein-westfälischen Justizministeriums durchgeführt wurde.

Das Ergebnis ist für alle Frauen erschütternd: Generell werden danach insgesamt Frauen – mit oder ohne Migrationshintergrund – in den juristischen Staatsexamina schlechter beurteilt als ihre männlichen Kollegen. Zudem hat die Studie gezeigt, dass Prüflinge mit Migrationshintergrund im Vergleich zu denen ohne Migrationshintergrund in den Staatsexamina regelmäßig schlechter bewertet werden. Am deutlichsten wird der Unterschied im Vergleich zwischen Prüflingen mit und ohne Migrationshintergrund die das gleiche Alter, die gleiche Abiturnote und den gleichen Prüfungszeitraum haben.

Eine ähnliche Untersuchung aus dem Jahr 2014 analysierte schon einmal Zahlenmaterial aus dem ersten Staatsexamen und kam zu vergleichbaren Ergebnissen. Es hat sich also wenig getan in den vergangenen zehn Jahren.

Für Frauen mit Migrationsgeschichte lässt sich aus der Glöckner-Studie der Rückschluss ziehen: Wenn sowohl die Gruppe der Frauen als auch die Gruppe von Menschen mit Migrationshintergrund jeweils Benachteiligungen erfahren, liegt es nahe, dass Frauen mit Migrationsgeschichte besonders stark betroffen sind.

Wie ist der Status-Quo für fertige Juristinnen mit Migrationsgeschichte?

Für die gesamte Jura-Branche ist die Studienlage bereits Teil des Problems: Es gibt kaum Zahlen oder Studien zu dieser Gruppe. Der Forschungsbedarf ist hier noch entsprechend groß.  

Es gibt aber noch ein paar allgemeine Zahlen zu Frauen insgesamt, aus denen wir erste Thesen ableiten können. So wissen wir, dass sich seit Jahren deutlich mehr Frauen als Männer für das Jurastudium entscheiden.  

Im Job verschieben sich die Zahlen, das zeigt eine Studie der London School of Economics and Political Science (LSE) in Kooperation mit dem Branchenverlag Juve: Der Anteil von Frauen unter den Associates in Wirtschaftskanzleien liegt nur bei etwa 40 Prozent, auf der nächsten Karrierestufe der Counsels liegt der Anteil bei 35 Prozent – in der Vollpartnerschaft bei 16 Prozent. Mit zunehmender Seniorität nimmt der Anteil an Anwältinnen also ab.  

Die Studie hat auch ein paar Zahlen zur Migration: Obwohl etwa 20 Prozent der Associates eine Migrationsgeschichte haben, schrumpft ihr Anteil in der Partnerschaft auf rund zehn Prozent.

Das ist in der Lehre ähnlich: Nur knapp 18 Prozent der juristischen Lehrstühle sind mit Frauen besetzt. Auf Grundlage dieser Zahlen, gehen wir davon aus, dass es noch weniger Frauen mit Migrationsgeschichte sind.

Selbst wenn man also davon ausgeht, dass die Rechtswissenschaften vor 20 Jahren ein männerdominiertes Studium waren, hätten Frauen längst in Führungsrollen "nachwachsen" können.  

Dieser geringe Anteil an Partnerinnen in den Kanzleien und Professorinnen an den Hochschulen bedeutet auf jeden Fall, dass Juristinnen, insbesondere solche mit Migrationsgeschichte, während ihrer juristischen Ausbildung und ihres Berufseinstiegs kaum Vorbilder haben, mit denen sie sich identifizieren können.

Frau Nasiriamini, vielen Dank für das Gespräch.

Die Interviewgeberin Farnaz Nasiriamini ist im Bundesvorstand des Deutschen Juristinnenbunds und Mitgründerin des Netzwerks. Sie ist Lehrbeauftragte im Sozial- und Antidiskriminierungsrecht an der Hochschule Hannover und Universität Oldenburg. Sie studierte Rechtswissenschaft sowie interdisziplinär Soziologie, Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre.

Zitiervorschlag

Neue Untergruppe im djb: . In: Legal Tribune Online, 12.06.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54751 (abgerufen am: 10.10.2024 )

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