Interview mit "Kiffen und Kriminalität"-Autor Müller: "Der Glaube an die Macht der Strafe ist die Sozial­ro­mantik der Kon­ser­va­tiven"

2/2: "Seit ich Richter bin, habe ich zähneknirschend mit dem Kiffen aufgehört"

LTO: Wie sieht Ihr eigenes Verhältnis zu Drogen aus?

Müller: Ich bin ein Suchtmensch, das heißt, ich neige dazu, Dinge mit einer Intensität zu betreiben, die über das gesunde Maß hinausgeht. Das gilt für meine Arbeit und es gilt für Teile meines Privatlebens. Ich habe meinen Drogenkonsum deshalb immer sorgfältig im Zaum halten müssen, was mir aber gut gelungen ist, zumal es an abschreckenden Beispielen im nächsten Umfeld ja nicht mangelte. Früher, das heißt als Student und Referendar, habe ich Cannabis gewissermaßen als Gegengewicht zu Alkohol genutzt: Wenn ich den Eindruck hatte, dass ich zu viel trinke, habe ich das reduziert und stattdessen mal gekifft. Mit meinem Berufsstart als Richter habe ich damit aufgehört, allerdings zähneknirschend und nicht aus innerer Überzeugung. Im Gegenteil denke ich, dass es mir heute persönlich besser ginge, wenn ich die Möglichkeit hätte, gelegentlich legal Cannabis zu konsumieren.

LTO: Die Möglichkeit hätten dann aber nicht nur Sie, sondern auch alle andere Menschen, die ihr Verhalten vielleicht weniger gut unter Kontrolle haben.

Müller: Deshalb bin ich auch für ein klar reguliertes und vor allem jugendschützendes Abgabesystem – mit staatlichem Anbau und Qualitätssicherung, Verkauf nur durch zugelassene und nachweislich seriöse Gewerbebetriebe, Verbot jeglicher Werbung und selbstverständlich keinerlei Abgabe an Minderjährige.

"Gerichte lehnen Strafe teils wegen übergesetzlichen Notstandes ab"

LTO: Ein reguliertes Abgabesystem gibt es auch heute schon – auf ärztliche Verschreibung können Bedürftige Cannabis beziehen.

Müller: Nach einem Erlaubnisverfahren, das sich über mehrere Jahre ziehen kann, und zum Preis von etwa 400 bis 800 Euro monatlich ohne Übernahme durch die Krankenkassen, und bisher nur für etwa 500 Personen. Psychopharmaka jeder Art und mit oftmals schwereren Nebenwirkungen kriegen Sie derweil ohne größere Umstände. Das derzeitige Abgabesystem für Cannabis ist ein Skandal, der kranke Menschen durch übermäßige Bürokratie und überzogene Preise in die Illegalität treibt. Es ist so unzumutbar, dass inzwischen mehrere Strafgerichte Angeklagte freigesprochen haben, die unerlaubterweise zum medizinischen Eigenbedarf Cannabispflanzen angebaut haben – wegen übergesetzlichen Notstandes.

LTO: Löst da die Justiz, was die Politik versäumt?

Müller: Ja und nein. Viele Strafrichter schöpfen, so wie ich, den Strafrahmen bei Cannabisdelikten nach unten hin aus, und viele Staatsanwälte stellen ohnehin gleich ein, weil auch die Besseres zu tun haben. Andererseits gibt es Kollegen, die jahrzehntelang hart gegen Betäubungsmittel-Straftäter geurteilt haben, und sich jetzt nicht eingestehen können oder wollen, dass sie viele Menschen kriminalisiert haben, die das eigentlich nicht verdienten – also kriminalisieren sie eben weiter..

Am Ende muss die Antwort aber von der Politik und nicht von der Justiz kommen. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber vor 22 Jahren einen weiten Beurteilungsspielraum bei der Behandlung von Cannabis eingeräumt, meine eigenen Vorlagebeschluss gegen das Verbot hat es vor 13 Jahren nicht zur Entscheidung angenommen, und ich denke, dass eine weitere Vorlage auch heute erfolglos bleiben würde. Andererseits glaube ich aber, dass wir in nicht allzu ferner Zukunft ein Umdenken des Gesetzgebers erleben werden.

"An der CDU wird die Legalisierung nicht scheitern"

LTO: Mit der CDU als stärkster Partei?

Müller: An ihr wird es nicht scheitern. In den letzten Jahren hat sich vor allem die SPD gegen eine Legalisierung gesträubt, die CDU hat sich für das Thema bloß einfach nicht interessiert. Inzwischen äußern aber auch Haushaltpolitiker der CDU, dass es doch besser wäre, mit legalem Verkauf Steuereinnahmen zu generieren, statt mit wirkungsloser Strafverfolgung Unsummen zu verschwenden.

Die Öffentlichkeit ist da ohnehin viel weiter: Seit dem Umdenken in den USA berichten hierzulande selbst konservative Medien wohlwollend über das Anliegen der Legalisierung, eminente Strafrechtler rufen Petitionen dafür ins Leben, und gerade unter jüngeren Leuten ist das Meinungsbild ziemlich eindeutig. Politische Veränderungsprozesse brauchen ihre Zeit. Ich glaube aber, dieser ist bald an seinem Ende angelangt.

Andreas Müller ist Jugendrichter in Bernau bei Berlin. Sein Buch "Kiffen und Kriminalität" erscheint am 11. September im Herder Verlag.

Das Interview führte Constantin Baron van Lijnden.

Zitiervorschlag

Constantin Baron van Lijnden, Interview mit "Kiffen und Kriminalität"-Autor Müller: . In: Legal Tribune Online, 11.09.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16880 (abgerufen am: 13.12.2024 )

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