Jens Gnisa über Justiz und Rechtsstaat: "Der Staat setzt das Recht oft nicht durch"

von Dr. Christian Rath

16.08.2017

Bei  "dieser Empörung, die ich gut verstehen kann", will er die Leute abholen. Am Donnerstag erscheint sein Buch "Das Ende der Gerechtigkeit – Ein Richter schlägt Alarm". Ein Gespräch mit dem Vorsitzenden des Deutschen Richterbundes.

LTO: Herr Gnisa, morgen erscheint Ihr Buch "Das Ende der Gerechtigkeit". Ist das eine private Veröffentlichung oder ein Buch des Deutschen Richterbundes (DRB)?

Gnisa: Das ist mein persönlicher Zwischenruf. Das Buch ist mit keinem Gremium des DRB abgesprochen. Aber natürlich nimmt man mich öffentlich vor allem als Vorsitzenden des Deutschen Richterbundes wahr. Das lässt sich nicht völlig trennen. Und es sind ja auch Forderungen des DRB eingeflossen.

LTO: Wollten Sie schon immer ein Buch über die Krise der Justiz schreiben?

Jens Gnisa

Gnisa: Nein. Es war auch gar nicht meine Idee, sondern die des Literaturagenten Stefan Linde. Ich hatte in Trier einen Vortrag über die "Erosion des Rechtsstaats" gehalten, er hatte davon erfahren und mich dann kontaktiert und überzeugt.

LTO: Im Nachwort des Buches danken Sie dem Herder-Verlag für den "Mut", dieses Buch zu veröffentlichen. Ist es in Deutschland gefährlich, über die Justiz zu publizieren?

Gnisa: Nein. Aber es ist ökonomisch mutig. Ich sage ganz offen, dass wir mit dem Buchprojekt auch Absagen erhalten haben. Es gab Verlage, die glauben, dass sich ein Buch über Rechtsstaat und Justiz nicht verkauft. Dabei ist es, soweit ich sehe, die erste umfassende Darstellung des Themas von einem Justiz-Insider.

LTO: Haben Sie das Buch absichtlich kurz vor der Bundestagswahl veröffentlicht?

Gnisa: Ja. So ein Debattenbuch muss in einer Phase auf den Markt kommen, in der verstärkt politisch diskutiert wird.

"Wenn man sofort im Juristendeutsch spricht, hört ja keiner zu"

LTO: Sehen Sie "Das Ende der Gerechtigkeit" als seriöses Sachbuch oder als Kampfschrift?

Gnisa: Es soll ein ebenso seriöses wie engagiertes Sachbuch sein. Es soll die Leute aber auch fesseln, sie sollen es gerne lesen.

LTO: Deshalb der reißerische Titel "Das Ende der Gerechtigkeit"?

Gnisa: Der Arbeitstitel war "Justiz - ein Nachruf". Das war zu negativ. Der jetzige Titel soll nicht bedeuten, dass alles ungerecht ist, sondern dass wir aufpassen müssen; die Gerechtigkeit könnte sonst Schaden nehmen.

LTO: Warum stellen Sie ausgerechnet die Gerechtigkeit heraus? Im Buch betonen sie mehrfach, dass man Recht und Gerechtigkeit klar unterscheiden müsse. Gerechtigkeit sei ein juristisch "unerhebliches" "moralisches Konstrukt"...

Gnisa: Man muss die Worte verwenden, die auch die Menschen verwenden. Wenn man sofort im Juristendeutsch spricht, hört ja keiner zu. Im Buch erkläre ich dann, dass Gerechtigkeit im Rechtsstaat immer über demokratisch legitimierte Gesetze definiert wird.

LTO: Auch sonst sind Sie nicht zimperlich: "Wie es aussieht, haben das Recht und seine sorgsame Pflege außerhalb der Justiz nur noch wenige Fürsprecher." Oder: "Ablehnung prägt den Umgang unserer Politiker mit dem Recht" Glauben Sie das wirklich?

Gnisa: Das sind Sätze aus der Einleitung, die versucht, den Finger in die Wunde zu legen. Es macht keinen Sinn, ein Sachbuch zu schreiben, das die Probleme zuschüttet.

LTO: Im ersten Teil geht es viel um Innenpolitik - Abschiebungen, Terror, kriminelle Familien-Clans - und weniger um die Justiz....

Gnisa: Es ist ja auch kein reines Justiz-Buch, sondern ein Buch über den Rechtsstaat. Und die Leute verlieren das Vertrauen in den Rechtsstaat, wenn sie das Gefühl haben, dass er hilflos ist und sie nicht mehr schützt. Bei dieser Empörung, die ich gut verstehen kann, will ich die Leute abholen.

Zitiervorschlag

Christian Rath, Jens Gnisa über Justiz und Rechtsstaat: . In: Legal Tribune Online, 16.08.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23977 (abgerufen am: 02.10.2024 )

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