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Drohende Austrittswelle am IStGH: Das Ende der Legiti­mität?

von Dr. Eike Fesefeldt

11.01.2016

Ein Mix aus internationalen Flaggen (Symbolbild)

© Hero - Fotolia.com

Die Gründung des IStGH 2002 war ein Meilenstein des Völkerstrafrechts. Heute zählt er 123 Mitglieder, doch drei bereiten derzeit ihren Austritt vor. Gehen sie, könnten weitere folgen, fürchtet Eike Fesefeldt.

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Im Gegensatz zum Internationalen Gerichtshof (IGH) oder den Internationalen Strafgerichtshöfen für Ruanda (RStGH) bzw. für das ehemalige Jugoslawien (JStGH) ist der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) kein Organ der Vereinten Nationen, sondern eine eigene Internationale Organisation. Im Januar 2016 haben 123 Staaten das Rom-Statut ratifiziert und sind damit der Internationalen Organisation IStGH beigetreten, unter ihnen allerdings weder China noch Russland oder die USA.

Ein wesentlicher Grund für die Rechtskonstruktion als Internationale Organisation war, dass die Schöpfer dem Gerichtshof eine besonders hohe Legitimität verleihen wollten. Denn anders als der RStGH oder JStGH, die durch eine Resolution des Sicherheitsrats erschaffen worden sind, beruht der IStGH vollständig auf einem unabhängigen völkerrechtlichen Vertrag. Das bedeutet allerdings auch, dass Mitglieder den Vertrag aufkündigen und aus der Organisation aussteigen können.

Kritik afrikanischer Staaten

Während der IStGH in den ersten Jahren seiner Existenz als große Erfolgsgeschichte aufgefasst wurde, kamen insbesondere ab 2013 die ersten kritischen Stimmen aus Afrika auf. Sie kritisieren den Gerichtshof als "farbenblind", weil offizielle Untersuchungen im Rahmen dortiger Verfahren bis heute nur in Afrika stattgefunden haben (mittlerweile gibt es allerdings inoffizielle Voruntersuchungen in asiatischen Staaten und mit den Vorermittlungen in der Ukraine auch in Europa).

Den afrikanischen Staaten waren insbesondere diejenigen Anklagen, die sich gegen ihre amtierenden Staatsoberhäupter richteten, ein Dorn im Auge, weshalb die Afrikanische Union (AU) versuchte, auf eine Immunitätsklausel im Rom-Statut hinzuwirken. Die Höhepunkte in der mittlerweile seit mehreren Jahren anhaltenden Diskussion bildeten dabei die folgenden beiden Vorfälle.

Zunächst sah sich 2013 der amtierende kenianische Präsident Kenyatta wegen Vorfällen bei den Präsidentschaftswahlen im Dezember 2007 einer Anklage ausgesetzt. Manche afrikanische Staaten erhoben diesbezüglich den Vorwurf, dass der Westen den IStGH  benutze, um unliebsame Politiker gegen andere auszutauschen. Mittlerweile wurde die Anklage gegen Kenyatta aus Mangel an Beweisen fallengelassen. Medienwirksam war der nächste große Skandal im Juni 2015, als der sudanesische Staatschef Omar al-Baschir, der u.a. wegen Völkermordes per internationalem Haftbefehl gesucht wird, nach Südafrika reiste. Das Land wäre nach dem IStGH-Statut, das sogar in die dortige Verfassung inkorporiert ist, verpflichtet gewesen, al-Baschir umgehend festzunehmen und an den Strafgerichtshof auszuliefern. Stattdessen ließ man ihn, trotz politischen Drucks und medialer Kritik, zurück in den Sudan fliegen.

Schon drei Austrittskandidaten für 2016

Die Farce um al-Baschir ist gerade deswegen bemerkenswert, weil Südafrika bis dahin stets als ein Verfechter des IStGH galt. Während die Afrikanische Union 2013 bereits auf einen geschlossenen Austritt drängte, stellte die Regierung von Südafrika sich den Austrittsplänen entgegen. Heute ist Südafrika einer derjenigen Staaten, die den Austritt aus dem IStGH konkret vorbereiten. Zweiter Kandidat dafür ist Kenia, was angesichts der fortdauernden Präsidentschaft von Kenyatta - trotz der Einstellung seines Verfahrens am IStGH - wenig überraschend ist.

Bemerkenswert und besorgniserregend ist, dass auch das bislang völlig unbeteiligte Namibia ernsthafte politische Schritte unternommen hat, seine Mitgliedschaft beim IStGH aufzugeben. Nachdem dies von der regierenden Partei Swapo angeregt wurde, hat die namibische Regierung den Austritt im November 2015 beschlossen. Als Hauptargument wird erneut darauf hingewiesen, dass bislang nur gegen afrikanische Staaten offiziell ermittelt werde und andere Kontinente ignoriert werden.

Eine einfache Austrittsprozedur

Bislang ist noch kein Staat, der dem IStGH beigetreten ist, wieder ausgetreten. Doch der Austritt eines Mitgliedstaats aus dem IStGH gestaltet sich sogar unkomplizierter als die Scheidung einer Ehe in Deutschland. Das Statut des IStGH regelt als völkerrechtlicher Vertrag in Art. 127 Abs. 1 des Rom-Statuts die wenigen Voraussetzungen, bei deren Erfüllung ein Staat die Internationale Organisation IStGH wieder verlassen kann. Demnach muss er lediglich ein Schreiben mit seinem Austrittsgesuch an das Generalsekretariat der Vereinten Nationen aufsetzen, dieses abgeben und ein Jahr abwarten.

Danach gibt es keine weitere Prüfung mehr, ein Austrittsgrund muss nicht genannt werden, und die Gerichtsbarkeit des Weltstrafgerichts ist beendet. Schwieriger dürfte es gegebenenfalls auf nationaler Ebene sein, bis es in den drei genannten Ländern dazu kommt, dass ein solcher Schriftsatz tatsächlich beim Generalsekretariat eingereicht wird.

Das Ende der Legitimität?

Gefragt sind jetzt die internationale Staatengemeinschaft und die Verantwortlichen des IStGH, dafür Sorge zu tragen, dass keiner der drei Austrittskandidaten tatsächlich von der Möglichkeit des Art. 127 Abs. 1 des Rom-Statuts Gebrauch macht. Natürlich können bis zum Ende des Austritts noch Verbrechen verfolgt und angeklagt werden, und auch danach ist es in bestimmten Einzelfällen möglich, selbst in ausgetretenen Staaten zu ermitteln (die Ukraine ist zum Beispiel kein Mitgliedsstaat, dennoch gibt es wie beschrieben Vorermittlungen).

Besorgniserregend ist allerdings der Dominoeffekt, den ein Austritt von Ländern wie Südafrika oder Namibia mit sich bringen könnte. Von den 123 Mitgliedsstaaten stellt Afrika mit 34 Ländern die größte Gruppe. Wie erwähnt, sind drei der politisch und wirtschaftlich stärksten Nationen (USA, Russland und China) dem IStGH ohnehin nicht beigetreten. Seine Akzeptanz lebt aber von der Zahl seiner Mitglieder. Falls sich weitere, insbesondere afrikanische Staaten der beginnenden "Austrittswelle" anschließen,  könnte das gravierende Auswirkungen auf die Legitimität des Weltstrafgerichts haben.

Der Autor Dr. Eike Fesefeldt ist Richter in einer Großen Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht Stuttgart.

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Dr. Eike Fesefeldt, Drohende Austrittswelle am IStGH: Das Ende der Legitimität? . In: Legal Tribune Online, 11.01.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18089/ (abgerufen am: 07.12.2023 )

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