Auf einer staatlichen Internetseite sollen Verbraucher Produkte melden und öffentlich diskutieren können, von deren Kennzeichnung sie sich getäuscht fühlen. Angesichts massiver Kritik der Ernährungswirtschaft hat Bundesministerin Ilse Aigner das Konzept schon mehrfach überarbeitet. Die jüngste Änderung stößt wiederum den Verbaucherschützern sauer auf. Von Stephan Schäfer.
Der Geschäftsführer des Verbraucherschutzverbands "Foodwatch", Thilo Bode, poltert: Das aktuelle Konzept für die Konsumentenplattform zur Lebensmittelinformation stelle eine "absurde Abkehr" vom ursprünglichen Plan dar. Tatsächlich sollen auf dem Portal wohl in vielen Fällen Lebensmittel nicht unter ihrem Klarnamen und mit echtem Foto eingestellt werden, sondern nur Bilder anonymisierter "Dummys". Doch der Reihe nach.
Die von Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner propagierte Initiative "Klarheit und Wahrheit bei der Kennzeichnung und Aufmachung von Lebensmitteln" will Verbraucher dazu animieren, auf einer Homepage konkrete Lebensmittel zu melden, die aus seiner Sicht irreführend gekennzeichnet sind. Hierüber soll ein formalisierter, öffentlichen Dialog eingeleitet werden, der auch den Hersteller einbezieht.
Organisation und Betrieb der geplanten Webseite liegen in den Händen des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (vzbv), die ihrerseits die fachredaktionelle Arbeit auf die Verbraucherzentrale Hessen übertragen hat. Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) übernimmt die Finanzierung. Gerade das erregt Unmut in der Wirtschaft.
Verwirrung um "offensichtliche" und "nicht eindeutige" Rechtswidrigkeit
Nach einer Eingabe des Verbrauchers soll die Fachredaktion den Täuschungsvorwurf zunächst in rechtlicher Sicht prüfen und dann über das weitere Vorgehen entscheiden.
Umstritten sind dabei vor allem jene Eingaben zu Produkten, bei denen die Rechtswidrigkeit der Kennzeichnung auf den ersten Blick "nicht eindeutig" ist. Gerade auf diesen "Graubereich" zielt allerdings die Funktion des Portals ab; nur hier hält das BMELV einen Dialog zwischen Verbrauchern und Unternehmen für sinnvoll und notwendig
Wenn die Fachredaktion zu dem Schluss kommt, dass der Täuschungsvorwurf begründet sein könnte, soll sie dem Herstellerunternehmen Gelegenheit geben, sich dazu zu äußern. Sieben Tage nach dieser Aufforderung werden einige repräsentative Verbrauchermeinungen, die rechtliche Beurteilung des Täuschungsvorwurfs durch die Redaktion und, sofern vorhanden, die Stellungnahme des Unternehmens auf der Webseite veröffentlicht. Letztere ist allerdings keine zwingende Voraussetzung für eine Veröffentlichung des gesamten Dossiers. Mit Ablauf einer gewissen Zeitspanne wandert die Diskussion in einen Archivbereich, wo sie dauerhaft auffindbar bleibt.
Was Verbraucherschützer jetzt auf die Palme treibt, ist die Tatsache, dass der skizzierte "Graubereich" im aktuellen Entwurf des BMELV einen anderen Zuschnitt erhalten soll: Wenn die Aufmachung eines Lebensmittels mit den Kennzeichnungsvorschriften "offensichtlich" in Einklang steht, wird das Produkt eben nicht unter Nennung des Klarnamens, mit Foto sowie Herstellerangabe auf die Seite gestellt. Relevant werden könnte dies etwa bei Produkten, denen Hefeextrakt zugesetzt ist. Dieser verstärkt zwar den Geschmack, ist aber nach geltender Rechtslage kein Zusatzstoff der Klasse "Geschmacksverstärker" und daher auch nicht als solcher zu kennzeichnen.
Das BMELV plant, dass die Diskussion über den Täuschungscharakter solcher Kennzeichnungen anhand eines "Dummy-Produkts" an einer anderen Stelle des Forums geführt werden soll: Dabei soll das angegriffene Kennzeichnungselement in der Darstellung erhalten bleiben, die übrigen Elemente hingegen anonymisiert werden, sodass zumindest theoretisch kein Rückschluss auf das reale Produkt mehr möglich ist.
Wie unabhängig kann ein fachredaktionelles Gremium urteilen?
Ob diese Veränderung in der Ausgestaltung des Konzepts wirklich "absurd" ist oder eher der überfällige Versuch, das Portal rechtsstaatlich auf Linie zu bringen, erscheint tatsächlich diskutabel. Richtig ist wohl, dass die ursprüngliche Idee eines institutionalisierten direkten Dialogs zwischen Verbrauchern und Unternehmern jedenfalls nicht gefördert wird. Damit allerdings stellt sich mehr denn je die Frage der Zweckmäßigkeit des geplanten Portals.
Überdies sind Bedenken mit Blick auf die gebotene Bestimmtheit und Transparenz der vorgesehenen Ausgestaltung des Konzepts nicht von der Hand zu weisen: Es ist zumindest gewagt, die Bewertung, ob eine Kennzeichnung "offenkundig" rechtmäßig ist oder noch in den "Graubereich" fällt, in die Hände eines redaktionellen und damit weder demokratisch legitimierten noch rechtsstaatlichen Grundsätzen verpflichten Gremiums zu legen. Das gilt freilich auch für eine Beurteilung des Täuschungsvorwurfs durch diese Redaktion, die zugleich auch noch das Forum sachlich moderieren soll.
Damit das Ziel eines "sachlichen Dialogs" kein Lippenbekenntnis bleibt, müssten die inhaltlichen Anforderungen an eine Aufmachung, die "offenkundig" mit Kennzeichnungsrecht in Einklang steht, exakt formuliert sein. Sinnvoll erscheint auch eine institutionelle Trennung von Moderation und rechtlicher Bewertung bei Täuschungsvorwürfen. Wenn schon gefühlte Täuschungen Maßstabswirkung haben sollen, müssen die Unternehmen auch effektive Möglichkeiten haben, sich gegen Missbrauch zu schützen. Die Stärkung der Anhörungsrechte der betroffenen Lebensmittelunternehmer ist daher eine unumgängliche rechtsstaatliche Anforderung - sonst droht die "Grauzone" ganz schnell zu einer verfassungsrechtlichen "GAU-zone" zu werden.
Stephan Schäfer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Forschungsstelle für Deutsches und Europäisches Lebensmittelrecht der Universität Bayreuth und promoviert bei Prof. Dr. Stefan Leible zum Verbraucherschutz in Italien.
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Stephan Schäfer, Irreführende Kennzeichnung von Lebensmitteln: . In: Legal Tribune Online, 02.02.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2464 (abgerufen am: 12.10.2024 )
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