Der Westen hat sich im Atomstreit mit dem Iran geeinigt. Gerade für die deutsche Exportwirtschaft bietet die Einigung Grund zur Hoffnung, aber keinen Freifahrtschein, meint Viktor Winkler.
Politiker neigen zur Übertreibung. Historisch soll sein, was jetzt beschlossen worden ist; ein Symbol für die Kraft der Diplomatie; ein Markstein der Hoffnung, ja des Weltfriedens. Ein wenig die Augen reiben darf man sich auch, wenn das Auswärtige Amt in seiner amtlichen Pressemitteilung zur Einigung mit dem Iran den Gemütszustand von Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit den Worten widergibt, das alles sei "auch für mich persönlich ein großartiger Moment".
Dieser Moment inniger Selbstzufriedenheit sei dem Minister gegönnt. Kühlere Beobachter sehen die Einigung nüchterner. Juristen haben hier gewisse Vorteile. Sie können die Einigung zunächst auf das reduzieren, was sie ist: Eine Vereinbarung zwischen Regierungsvertretern. Völkerrecht also.
Völkerrecht ist kein Recht
"International law is no law at all", weiß man in den USA. Zynisch, aber zutreffend hat der renommierte Völkerrechtler Hans Kelsen schon vor 80 Jahren beschrieben, wie völkerrechtliche Verträge ihre Rechtsqualität allein daraus beziehen können, dass sie mit Sanktionen und notfalls sogar Krieg durchgesetzt werden. Das wird hier nicht anders sein. Schon jetzt wird allenthalben darauf hingewiesen: Sobald der Iran von Teilen des Abkommens abweicht, werden die Sanktionen reaktiviert.
Die Sanktionen gegen den Iran sind der Dreh- und Angelpunkt der Vereinbarung. Um sie geht es Israel bei seiner scharfen Kritik und sie sind der Grund für Straßenfeste in Teheran. Wer sich mit Wirtschaftssanktionen und Embargos auskennt, weiß, dass die vermeintlich klaren nationalen Verbote und Beschränkungen auf den zweiten Blick gar nicht mehr so klar, sondern, wie man neudeutsch sagt, sehr "tricky" sind. Die deutsche Wirtschaft war bei Zielländern, die von Embargos betroffen waren, in den vergangenen Jahrzehnten denn auch meist nicht zu unvorsichtig, sondern zu vorsichtig: Gewisse Länder werden gänzlich als Absatzmarkt gemieden, ohne dass das Embargorecht dies in solcher Radikalität erfordert.
Banken hatten sich aus dem Iran zurückgezogen
Iran war dafür bislang ein Paradebeispiel. Vor allem die Finanztransaktions-Beschränkungen führten dazu, dass Banken sich hier vollständig zurückgezogen haben und/oder Transaktionen mit iranischen Partnern auf der Finanzseite zu kostspielig wurden, obwohl kein pauschales Verbot von Transaktionen bestand.
Das war nicht nur ökonomisch unsinnig. Denn breitgemacht haben sich im Iran dadurch andere Länder mit weniger politischen Rücksichten, wie etwa China. Auch vom Standpunkt eines Rechtsstaates ist es nur schwer hinnehmbar, dass Bürger auf Freiheiten so vollständig verzichten, dass von diesen Freiheiten nichts übrig bleibt: In weiten Teilen gerade der mittelständigen Wirtschaft wurde der Iran so behandelt als bestehe ein deutsches oder europäisches Totalembargo – das nie bestand.
Absatzmärkte im Iran bieten enormes Potenzial
Heißt es jetzt also: Freie Fahrt für Exporte in den Iran? Nicht ganz. Richtig ist, dass das Land einen enormen Investitions- und Modernisierungsstau aufzuholen hat. Nicht nur die Infrastruktur liegt brach. Alle Absatzmärkte bieten enormes Potenzial. Deutsche Unternehmen wird dies notwendigerweise zahlreiche Aufträge ermöglichen. Die Aufhebung der Finanzsanktionen wird all dies jetzt zudem antreiben können. Manche erwarten eine Vervierfachung des Exportvolumens.
Bei dieser Erschließung des "neuen" iranischen Marktes sollte jedoch Sorgfalt und nicht Euphorie die Management-Entscheidungen in der deutschen Wirtschaft leiten. Denn zum einen sollen die Hürden nicht sofort und nicht sämtlich fallen.
Die Sanktionen sollen generell erst Anfang 2016 aufgehoben werden, nämlich sobald die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) bestätigt, dass der Iran die Auflagen erfüllt. Für fünf weitere Jahre aufrechterhalten bleibt zudem das sogenannte Waffenembargo gegen den Iran, die Sanktionen hinsichtlich des Raketenprogramms sogar weitere acht Jahre.
Das hat nicht nur für den Kreis der Rüstungsunternehmen Bedeutung. Auch für so genannte Dual-Use-Waren, also solche, die sowohl zivilen als auch militärischen Zwecken dienen können, kann es weiterhin Einschränkungen geben. Dies vor allem deshalb, weil jetzt so viel Aufmerksamkeit auf den Iran gelenkt ist – so etwas schärft die prüfenden Blicke der Behörden.
Zustimmung vom US-Kongress steht aus
Zum anderen ist der Unsicherheitsfaktor USA zu beachten. Unsicher deshalb, weil dort die Zustimmung des Kongresses aussteht. Deswegen hat US-Präsident Barack Obama noch am Tag der Einigung so lang und pathetisch die Einigung kommentiert. Zwar lässt sich ein Nein des Kongresses zur Ratifizierung durch ein Veto des Präsidenten überwinden. Hiergegen könnte das Parlament aber seinerseits mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit vorgehen. Obama hat hierzu immerhin bereits mit einem Gesetz vorgesorgt, das eine Frist von 60 Tagen für eine Ablehnung durch den Kongress setzt.
Allerdings ist sogar das Festhalten an dem Abkommen ohne Ratifizierung denkbar, frühere Präsidenten haben das vorgemacht - so etwa Carter 1979 mit SALT II.
Sanktionsmaßnahmen national abzuschaffen
Vor allem führt die völkerrechtliche Natur der Vereinbarung dazu, dass die Nationalstaaten ihre – teilweise sehr unterschiedlichen – Sanktionsmaßnahmen selbstständig abschaffen müssen. Jedenfalls die USA wird hier erhebliche innenpolitische Kämpfe ausstehen müssen. Das werden auch deutsche Unternehmen sehr genau zu beobachten haben. Denn das Exportkontrollrecht der USA hat bekanntlich extraterritoriale Wirkung: Bereits minimale Berührungspunkte mit den USA genügen, damit das US-Recht mit allen Konsequenzen Anwendung findet. In der Praxis relevant wird das etwa bei deutschen Exportwaren, die US-Produkte verwenden bzw. verarbeiten".
Die Sanktionen werden also erst schrittweise und mit unterschiedlichen Fließgeschwindigkeiten nachlassen. Die vielfältigen Regelungen zu den Sanktionen müssen besonders sorgfältig beachtet und analysiert werden – insbesondere angesichts der erheblichen Zeitspannen, die Vertragsverhandlungen und Projektausführung beanspruchen können. Das Recht bleibt also der Taktgeber, trotz allem politischen Pathos – vielleicht liegt darin die wichtigere Bedeutung der jetzt gefundenen Einigung.
Der Autor Dr. Viktor Winkler LL.M. (Harvard) ist Rechtsanwalt in der international tätigen Kanzlei Bird & Bird und spezialisiert auf die Bereiche Sicherheit/Verteidigung, Exportkontrolle sowie Vergabe- und Europarecht.
Einigung im Atomstreit mit Iran: . In: Legal Tribune Online, 15.07.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16239 (abgerufen am: 30.11.2024 )
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