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Strafverteidigung am Beispiel des Falls Veysel K.: "Verteidiger müssen mehr sein als nur Verurteilungsbegleiter"

Interview mit Jens Mader

30.05.2013

Handschellen

© Aleksey Dmetsov - Fotolia.com

Veysel K. soll seine Geliebte beim Sex umgebracht haben. Im Jahr 2010 wurde er zu neun Jahren Haft verurteilt. In einem zweiten Prozess hat ihn das LG Cottbus nun frei gesprochen. LTO sprach mit seinem Strafverteidiger Jens Mader über Vorverurteilungen, einseitige Sachverständigengutachten und die Rolle des Verteidigers bei der Suche nach der Wahrheit.

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"Eine schallende Ohrfeige für das Landgericht"

LTO: Herr Mader, was bedeutet der Freispruch vor dem Landgericht für Ihren Mandanten, Veysel K.?

Mader: Noch ist der Freispruch nicht rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft hat gegen das Urteil des Landgerichts (LG) Cottbus vom 11. April 2013 (Az. 22 Ks 3/10) Revision eingelegt. Die schriftlichen Gründe liegen auch noch nicht vor. Es ist also noch zu früh für eine endgültige Bewertung des Verfahrens.

Allerdings hat schon die faire Verhandlungsführung in der Hauptverhandlung dieses Gerichts meinem Mandanten den Glauben an den deutschen Rechtsstaat zurückgegeben. Der war ihm in den 19 Verhandlungstagen 2009/2010 abhanden gekommen – und nicht nur ihm. Herr K. kann nun Hoffnung schöpfen, dass er zumindest materiell in bescheidenem Maße für den Verlust seiner wirtschaftlichen Existenz entschädigt wird.

"Das BGH-Urteil war eine schallende Ohrfeige für das Landgericht"

LTO: Dem Freispruch war vor drei Jahren ein Schuldspruch vorangegangen. Welche Auswirkungen hatte dieser?

Rechtsanwalt Jens MaderMader: Den ersten öffentlichen Schuldspruch lieferten nicht die Gerichte, sondern Bild-Zeitung und Lausitzer Rundschau. Unmittelbar nachdem die Leiche der Geliebten meines Mandanten gefunden wurde, gaben sie die Parole der "Fahndung nach dem Mörder" aus. Auch die Staatsanwaltschaft Cottbus hat sich an den Vorverurteilungen beteiligt, statt ihre ohnehin äußerst knappen Ressourcen in die Ermittlung der Todesursache zu investieren.

Dort, wo mein Mandant bis Anfang März 2009 lange Jahre arbeitete und lebte, ist seine bürgerliche Existenz von heute auf morgen zerstört worden. Nach Aufhebung des Haftbefehls Ende August 2010 musste er wieder ganz von vorn anfangen. In Deutschland war das nicht mehr möglich. Er lebt mittlerweile wieder in der Türkei.

LTO: Warum hat der BGH das erste Urteil aufgehoben?

Mader: Die Generalbundesanwaltschaft hat schon im Revisionsverfahren vor dem 5. Strafsenat in Leipzig die Aufhebung des Urteils gefordert. Dort konnte man nicht nachvollziehen, wie das Landgericht Cottbus darauf kam, dass Veysel K. seine Geliebte getötet haben soll.

Als Verteidigung sind wir noch einen Schritt weiter gegangen. Schon im Schwurgerichtsverfahren haben wir rechtsmedizinische Stellungnahmen eingeholt. In der Revision haben wir dann weitere Kurzgutachten namhafter Rechtsmediziner vorgelegt. Aus diesen ergab sich, dass die plausibelste Todesursache eine Luftembolie, also ein Unfall beim Liebesakt, sein muss. Damit aber hätte sich die Mordanklage in Luft aufgelöst. Die Cottbusser Schwurgerichtskammer hielt schon im November 2009 den Fall für "durchschnittlich schwierig" und die Todesursache "Ersticken in Kombination mit Verbluten" für bewiesen.

Der BGH schloss sich der Kritik am rechtsmedizinischen Gutachten an, hob das Urteil mit allen Feststellungen auf und empfahl für das neue Verfahren eine zügige Neuermittlung der Todesursache unter Hinzuziehung anderer Sachverständiger. Auch ein Tötungsmotiv vermochte der BGH den Feststellungen des Landgerichts nicht zu entnehmen. Eine schallende Ohrfeige für das Landgericht.

"Vorverurteilung, unprofessionelle Verteidigung, fehlendes Gutachten"

2/2: "Gefehlt haben zuerst ein professioneller Verteidiger und ein weiterer Sachverständiger"

LTO: Welche Fehler wurden aus Ihrer Sicht während des Verfahrens gemacht?

Mader: Das Beispiel meines Mandanten zeigt zuallererst, dass sich die Staatsanwaltschaft an öffentlichen Spekulationen in laufenden Ermittlungsverfahren nicht beteiligen darf. Sie erhöht damit den Druck auf alle Beteiligten, das Verfahren mit einem Schuldspruch enden zu lassen.

Veysel K. war zudem in der entscheidenden Frühphase des Verfahrens nicht durch einen Fachanwalt für Strafrecht vertreten. Bei so erheblichen Vorwürfen ist ein Beschuldigter den Ermittlern dann fast schutzlos ausgeliefert.

Rechtsanwälte, die nur sporadisch oder gar nie zuvor verteidigt haben, kennen das Recht oft nicht, zu den Vorwürfen schweigen zu dürfen. Das hat hier unter anderem dazu geführt, dass mein Mandant den Geschlechtsakt noch einmal nachstellen musste und dabei gefilmt wurde. Ein unglaublicher und erniedrigender Vorgang, bei dem die Verteidigung hätte einschreiten müssen.

Im konkreten Fall hat sich das LG Cottbus in der ersten Hauptverhandlung stoisch geweigert, einen zweiten notwendigen Verteidiger mit Fachanwaltsqualifikation beizuordnen. Dass das bitter nötig gewesen wäre, hat der BGH bestätigt, als er die Ermittlung der Todesursache als besonders schwierig bezeichnet hat. Aber das Landgericht wollte keine professionelle Kontrolle. Was hier fehlt, ist eine gesetzliche Regelung für Verfahren, in denen zur Gewährleistung der Waffengleichheit ein zweiter notwendiger Verteidiger beigeordnet werden muss.

Schließlich zeigt das Verfahren ein strukturelles Problem: Die Richter sind in entscheidendem Maße vom Sachverständigen abhängig. Auf dessen Gutachten und Einschätzungen basieren die Urteile letztlich. Das gilt besonders, wenn es um rechtsmedizinische Fragen geht. Deshalb brauchen wir klarere Regelungen, die der Verteidigung in Zweifelsfällen das Recht auf einen weiteren Sachverständigen eröffnen.

"Die Rechtsmedizin wird kontinuierlich kaputtgespart"

LTO: Wie ist es in Deutschland um die Rechtsmedizin insgesamt bestellt?

Mader: Leider wird die Rechtsmedizin durch die Politik in Deutschland kontinuierlich kaputtgespart. Das wird Ihnen ausnahmslos jeder Rechtsmediziner bestätigen. Trauriger Höhepunkt für uns in Brandenburg ist der von Politikern im Landtag ernsthaft geäußerte Gedanke, das Brandenburgische Landesinstitut für Rechtsmedizin zu schließen. Es wird dann noch weniger aufgeklärte Todesfälle geben als heute ohnehin schon. Das bezahlen nicht nur Menschen wie mein Mandant mit ihrer Freiheit, sondern auch die Allgemeinheit, die mit einer wachsenden Zahl unerkannter Täter leben muss.

Als rechtsmedizinscher Laie habe ich in diesem Verfahren gelernt, dass man keine Berührungsängste vor den großen Namen dieses Fachs haben muss und diese ihr Wissen auch Verteidigern bereitwillig zur Verfügung stellen, ohne dass die finanziellen Mittel des Mandanten eine Rolle spielen.

LTO: Was muss sich hier ändern? Welche Vorbilder gibt es dafür?

Mader: Die Obduktion in Fällen toter Kinder und in Todesfällen älterer Menschen sollte eher die Regel als die Ausnahme sein. Hier ist die Dunkelziffer nicht entdeckter Straftaten besonders hoch. In Brandenburg hat man 1991 durch Fusion der ehemaligen Bezirksinstitute für Gerichtliche Medizin Potsdam und Frankfurt/ Oder die Mitarbeiterschaft auf 40 Prozent des vormaligen Personalbestandes reduziert.

Dabei wäre das überlegene Leichenschau- und Sektionsrecht der DDR unbedingt erhaltenswert gewesen, weil es eine Sektionsquote von cirka 35 Prozent erreichte. Das war keine Erfindung eines Unrechtsstaats, sondern schlicht die Übernahme des österreichischen Modells.

"Wer mit den Fähigkeiten aus Studium und Referendariat verteidigen will, hat schon verloren"

LTO: Wird die Zusammenarbeit mit privaten Ermittlern deshalb wichtiger?

Mader: Juristen lernen im Studium, nicht am Sachverhalt "fummeln zu dürfen". Sie bewerten einen fertigen vorgegebenen Sachverhalt aus juristischer Sicht. Wer diesen abändert, fällt durch. Auch im Referendariat lernt man so gut wie nichts über die kriminalistischen Wissenschaften, sondern bewertet einen scheinbar ausermittelten Sachverhalt. Phantasiefördernd ist das nicht gerade, eher Erziehung nach dem preußischen Obrigkeitsstaatsmodell.

Wer mit diesen Fähigkeiten aus Studium und Referendariat verteidigen will, hat schon verloren und degradiert sich selbst zum Statisten und Verurteilungsbegleiter. Ich habe das Verteidigen bei erfahrenen Praktikern und im Fachanwaltskurs Strafrecht gelernt, nicht aber im Studium oder Referendariat. Die unkritischen Anwälte ohne Fachkenntnis sind bei der Pflichtverteidigerbeiordnung durch Gerichte sehr begehrt. Ist eine Anklage erst einmal erhoben, ist es das natürliche Ziel des Richters, diese von ihm zugelassene Anklage auch zum "Erfolg" einer Verurteilung zu führen.

Strafverteidigung ist etwas anderes. Sie hat die Aufgabe, schon den Sachverhalt, wie ihn die Ermittlungsakte suggeriert, hinsichtlich Vollständigkeit und Richtigkeit zu bezweifeln. Daher muss der Strafverteidiger möglichst frühzeitig aktiv am Ermittlungsverfahren mitwirken können. Er muss sehr oft auch selbst ermitteln, seien es Zeugen, Sachverständige oder eigene Besichtigungen des Ereignisortes. Dazu ist professionelle Hilfe notwendig, die ein privater Ermittler mit kriminalistischer Ausbildung und praktischer Erfahrung leisten kann.

Im Fall meines Mandanten hatten wir die professionelle Unterstützung des in Mordsachen sehr praxiserfahrenen privaten Ermittlers Mario Arndt. Ohne seinen Einsatz hätte ich wohl irgendwann kapituliert. Er war es, der über die eigentliche Aufgabe der Verteidigung hinaus akribisch nach der wirklichen Todesursache suchte. Die Professoren Bernd Brinkmann und Rüdiger Rauskolb haben später aus rechtsmedizinischer und gynäkologischer Sicht bestätigt, dass Todesursache nur die Luftembolie gewesen sein kann. Mario Arndt hatte das von Anfang an vermutet.

Jens Mader ist Fachanwalt für Strafrecht bei Barthel & Wolf Rechtsanwälte in Strausberg.

Das Interview führte Christopher Hauss.

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Jens Mader, Strafverteidigung am Beispiel des Falls Veysel K.: "Verteidiger müssen mehr sein als nur Verurteilungsbegleiter" . In: Legal Tribune Online, 30.05.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8830/ (abgerufen am: 01.07.2022 )

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