Plagiatsaffäre Annette Schavan: "Professoren müssen gute wissenschaftliche Praxis vorleben"

Interview mit Prof. Dr. Wolfgang Löwer

18.10.2012

"Wir müssen Studenten beibringen, richtig zu schreiben"

LTO: 1998 verfasste die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) Empfehlungen, wie die gute wissenschaftliche Praxis gesichert werden könnte. Darin forderte die DFG die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) auf, als zentrale Institution für die Hochschulen eine Muster-Verfahrensordnung zu erarbeiten, wie mit Fehlverhalten umzugehen sei. Dem kam die HRK noch im selben Jahr nach. Haben anschließend auch die Universitäten die Empfehlungen bzw. die Muster-Verfahrensordnung umgesetzt?

Löwer: Die Empfehlungen waren eine Reaktion auf den Fälschungsskandal in der Krebsforschung Herrmann/Brach und wurden von den Universitäten auch umgesetzt. Jede Universität muss einen Ombudsman oder eine Fehlverhaltenskommission haben, die wissenschaftlichem Versagen nachgehen kann. Da hat sich eine Menge getan. Ob genug, darüber kann man natürlich immer nachdenken. Aber das Problem ist jedenfalls seit Herrmann/Brach deutlich bekannt.

LTO: Was müsste sich Ihrer Meinung nach noch ändern?

Löwer: In den meisten Promotionsordnungen sind mittlerweile Ethikkodizes eingeführt worden. Der Philosophische Fakultätentag und die Staatsrechtslehrervereinigung haben ähnliche Papiere – letztere die 50 Leitsätze zur guten wissenschaftlichen Praxis – verfasst. Die Wissenschaft hat schon erkannt, dass sie um ihre Reputation kämpfen muss.

Die DFG verpflichtet dazu, bei Graduiertenschulen über die Ethikgrundsätze und Zitierregeln zu unterrichten. Die Regeln sind allerdings zum Teil auch nicht mehr so einfach und klar wie, "Du sollst nicht stehlen". Postdocs sind dazu aufgerufen, ihren Studenten und Mitarbeitern gute wissenschaftliche Praxis vorzuleben und es wäre schön, wenn Professoren das ebenfalls tun würden.

LTO: Sollte das richtige Zitieren auch im Jurastudium intensiver gelehrt werden?

Löwer: Wir müssen Studenten vor allem auch beibringen, wie man richtig schreibt. Unsere modernen Studienstrukturen sind da etwas schreibarm. Auf von den Studenten selbst gestaltete Arbeiten wird zu oft verzichtet. Auch bei den Juristen führt der Massenbetrieb dazu, weniger schriftliche Leistungen abzufragen, weil keiner die Vielzahl an Arbeiten korrigieren mag.

"zu Guttenberg hat sich nicht strafbar verhalten"

LTO: Welche Konsequenzen können falsche oder fehlende Zitate in einer Doktorarbeit haben?

Löwer: Ein nicht mehr durch Nachlässigkeit erklärbares gravierendes Plagiat, das zum Beispiel die zentrale These der Arbeit betrifft, oder eine durchgängige Textkollage haben die Entziehung des Titels zur Folge.

LTO: Das wäre dann die prüfungsrechtliche Konsequenz. Drohen auch strafrechtliche Sanktionen?

Löwer: Das kommt darauf an. Bei Plagiaten nicht so wirklich. Manche Ländergesetze und Promotionsordnungen sehen eine eidesstattliche Versicherung zur Bekräftigung der Wahrhaftigkeit der vorgelegten Arbeit vor. Dann kann der Plagiator ein Eidesdelikt begehen.

Auch im Urheberrecht gibt es einen Straftatbestand. Ich meine aber, dass dieser in solchen Fällen schon tatbestandlich nicht einschlägig ist. Aber das ist umstritten. Ich halte die Geldzahlung, die zu Guttenberg auferlegt wurde, damit das Verfahren gegen ihn eingestellt wurde, mangels strafbaren Verhaltens für rechtswidrig. Das war meines Wissens auch das einzige Mal, dass ein Strafverfahren überhaupt eingeleitet worden ist.

Bei Datenfälschungen können die strafrechtlichen Folgen dagegen härter ausfallen. Da kann beispielsweise Subventionsbetrug vorliegen, weil Zuwendungsbestimmungen verletzt worden sind. Der Bundesgerichtshof hat außerdem entschieden, dass § 264 Strafgesetzbuch – also Subventionsbetrug – ein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch ist (Urt. v. 13.12.1988, Az. VI ZR 235/87). Der Wissenschaftler macht sich dann also auch schadensersatzpflichtig gegenüber dem Subventionsgeber. Und wenn bei einem Großprojekt erst einmal 300.000 Euro verbraten sind, wird es unangenehm. Diese gesetzlichen Schranken sind hilfreicher als Geldbußen.

LTO: Können auch dienstrechtliche Konsequenzen drohen, wenn ein Plagiator noch an der Universität beschäftigt ist?

Löwer: Ja. Wenn etwa ein Postdoc bei seiner Doktorarbeit plagiiert hat, dann hat er sich auch seine Stellung erschlichen und muss gehen.

Demnächst wird ein Fall an einer deutschen Hochschule hochkommen, in dem ein Professor seine Dissertation plagiatorisch gefälscht haben könnte. Da wissen wir noch gar nicht abschließend, welche Konsequenzen das alles haben wird.

"Nach zehn bis zwölf Jahren sollte der Titelentzug verjähren"

LTO: Der Deutsche Hochschulverband hat den Gesetzgeber im August aufgefordert, einen Straftatbestand Wissenschaftsbetrug zu schaffen. Ghostwriting soll damit unter Strafe gestellt werden. Was halten Sie von dem Vorschlag?

Löwer: Ich halte davon nicht sehr viel, auch wenn ich als Landesverbandsvorsitzender gewissermaßen zu der Funktionärsriege des Deutschen Hochschulverbandes gehöre. Unserem System steht mit der Entziehung des Doktorgrades eine harsche Sanktion zur Verfügung, die vollkommen ausreicht. Und außerdem: Wie wollen Sie das denn beweisen? Die Beteiligten werden sich da immer vertraglich abgesichert haben. Zudem kann es durchaus in bestimmten Fällen eine zulässige Art von Ghostwriting geben, was in der jüngeren Vergangenheit auch Gegenstand obergerichtlicher Entscheidungen war.

LTO: Sie fordern, dass Plagiatsfälle verjähren sollten. Warum?

Löwer: Die Sanktionskompetenz sollte verjähren, nicht die Feststellungskompetenz. Das heißt, nach einer bestimmten Frist sollte der Doktorgrad nicht mehr entzogen werden können. Dass die Wissenschaft immer ein Interesse daran hat, fehlerhafte Urheberzurechnungen kenntlich zu machen, ist ein anderes Problem. Für viele Private wäre das hilfreich, ihre Verfahren sind ja nicht öffentlich. Politikern, die im Feuer der Öffentlichkeit stehen, nützt das natürlich nicht. Die brauchen die Prüfung der Plagiatsvorwürfe durch die Universitäten sogar eher als eine Art Selbstreinigung.

LTO: Tatsächlich gibt es in den Gesetzen zur Juristenausbildung teilweise Vorschriften, wonach das erste Staatsexamen zwar auch noch nach der Zeugnisübergabe für nicht bestanden erklärt werden kann; allerdings nur innerhalb einer Frist von fünf Jahren. Wann sollten Täuschungen bei Doktorarbeiten verjähren?

Löwer: Das muss der Gesetzgeber entscheiden. Im Strafrecht gelten für die meisten Vergehen fünf Jahre. Im Bundeszentralregister gibt es ebenfalls Tilgungsfristen, die sicherstellen, dass der soziale Geltungsanspruch, den sich jemand nach der Straftat erarbeitet hat, nicht Jahre später noch in Frage gestellt werden kann. Das sollte genauso bei einer gefälschten Doktorarbeit gelten. Anfangs mag ein Titel ja noch erhebliche Vorteile bringen. Je mehr Zeit vergeht desto weniger hängt der soziale Geltungsanspruch aber doch von einem Doktortitel ab. Das sollte nicht mehr durch eine Entziehung zerstört werden können.

Kurz darf die Verjährungsfrist allerdings nicht sein, weil die Entdeckungswege kompliziert sind. Bei der juristischen Ausbildung ist nach fünf Jahren alles vorbei. So kurz sollte die Frist nicht sein. Ich würde sagen, eine Größenordnung von zehn bis zwölf Jahren wäre zu überlegen.

In der Scientific Community ist dieser Vorschlag sehr umstritten. Ich bekomme immer böse Post, wenn ich mich dazu äußere. Heute hieß es, dann können Sie Ihren Titel doch gleich verkaufen.

LTO: Herr Professor Löwer, ich bedanke mich für das Gespräch.

Prof. Dr. Wolfgang Löwer ist Leiter der Abteilung Wissenschaftsrecht des Instituts für Öffentliches Recht an der Universität Bonn. Er ist zudem Sprecher des Ombudsmans für die Wissenschaft, einem Beratungsgremium für Fragen guter wissenschaftlicher Praxis, das die Deutsche Forschungsgemeinschaft 1999 einsetzte.

Die Fragen stellte Dr. Claudia Kornmeier.

Zitiervorschlag

Plagiatsaffäre Annette Schavan: . In: Legal Tribune Online, 18.10.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7340 (abgerufen am: 13.10.2024 )

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