Interview mit dem Herausgeber des GG-Magazins: "Span­nendes Design gegen die Blei­wüste"

Interview von Tanja Podolski

09.01.2019

Das anstehende Jubiläum hatte der Journalist Oliver Wurm nicht im Sinn, als er das Projekt des GG als Magazin startete. Es sei einfach an der Zeit gewesen, den Menschen ihre großartige Verfassung näherzubringen, erklärt er im Interview.

LTO: Herr Wurm, Sie haben das Grundgesetz (GG) als Magazin herausgebracht. Was soll das?

Oliver Wurm: Seit einigen Jahren habe ich zunehmend den Eindruck gewonnen, dass das GG immer häufiger zitiert wird und bei allen möglichen Themen als Referenz herhalten muss. Allerdings wusste ich selbst gar nicht mehr, was da alles darinsteht, weil es ewig lange her war, dass ich mich damit beschäftigt hatte. Eines Abends guckte ich dann die Talkshow "Markus Lanz", in der der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar regelrecht schwärmte vom deutschen GG und sagte, er würde jedem empfehlen, das zu lesen, es sei eine der schönsten Verfassungen der Welt. Das war für mich die Initialzündung, mir zunächst mal ein kostenloses Exemplar bei der Bundeszentrale für politische Bildung zu bestellen. Zu dem Zeitpunkt habe ich nicht mal ansatzweise daran gedacht, es selbst mal als Verleger heraus zu bringen.

Und dann haben Sie das GG durchgelesen?

© Oliver WurmJa, und war nach den ersten Artikeln schon entflammt. Ich habe aber auch mit Bedauern festgestellt, wie freudlos dieser kluge und visionäre Text optisch präsentiert ist. Es ist nun einmal ein Gesetzestext, also eine Bleiwüste ohne Bilder. Ich bin seit über 20 Jahren Magazin-Journalist. Da lag die Idee nahe, die Texte des GG einmal so spannend und zeitgemäß zu gestalten, dass es einfach mehr Spaß macht, darin zu lesen. Und wenn so eine Idee mal geboren ist, lässt sie mich nicht mehr los. Also haben wir uns an die Arbeit gemacht und das Projekt in rund 350 Stunden umgesetzt und bundesweit an den Kiosk gebracht.

GG-Jubiläum zunächst nicht im Sinn

Wer ist "wir"?

Der Designer Andreas Volleritsch, mit dem ich seit einigen Jahren eng zusammenarbeite, und ich. Wir haben 2011 nach einem ähnlichen Gestaltungsprinzip auch schon das Neue Testament als Magazin herausgebracht und seit der WM 2014 diverse Fußballhefte. Auch bei den Panini-Sammelheften von Städten wie Hamburg, Köln oder Düsseldorf, die ich mit meinem Partner Alex Böker unter der Marke Juststickit veröffentliche, verantwortet Andreas das Layout. Wir sind ein eingespieltes Team. Egal wie verrückt die Idee auch ist: Andreas kleidet sie in schönste Designs.

Das klingt so, als hätten Sie den 70. Geburtstag des GG im Mai 2019 gar nicht im Sinn gehabt?

Das ist richtig. Als ich angefangen habe, das GG zu lesen, hatte ich den 23. Mai 2019 überhaupt nicht im Kopf. Das änderte sich natürlich im Laufe der Zeit. Anfang September 2017 war ich dann in Chemnitz bei der Demonstration und dem "#wirsindmehr"-Konzert. Da hing an einer Hauswand ein Plakat des Kulturvereins Chemnitz mit dem Aufdruck „Die Würde des Menschen ist antastbar, Stand 27.8.2018“. Das hat bei mir irgendwie ein unwohles Gefühl ausgelöst und die Gewissheit, dass wir nicht mehr bis zum Jubiläum warten sollten, den Menschen das GG näher zu bringen. Mit zunehmender Beschäftigung mit dem Thema sind wir auch mehr und mehr zu Verfassungspatrioten geworden.

"Wir wollen eine Welle starten, die durch die Gesellschaft geht"

Wie groß ist die Herausforderung, ein solches Produkt an Leser zu bringen?

Für die kleinen Kioske ist es sehr schwierig, einen hochpreisigen Artikel mit Kosten um die zehn Euro zu vertreiben. Daher schicken kleine Kioske solche Produkte sehr oft sofort zurück an den Grossisten. Wir haben uns daher entschieden, mit dem GG zunächst schwerpunktmäßig an die Bahnhofskioske und Flughäfen zu gehen. Wir hatten eine Startauflage von 100.000 und liegen bei den Verkäufen im Bahnhofsbuchhandel nun bei über 75 Prozent, was ein wahnsinniger Erfolg ist. Jetzt erobern wir uns nach und nach die anderen Kioske – der richtige Roll-Out startet gerade. Wir haben bereits 60.000 Exemplare nachgedruckt. Und Ende Januar gehen weitere 100.000 auf die Druckrolle.

Haben Sie eine Vorstellung davon, wer das Magazin kauft?

Ja, denn wir haben in den ersten sechs Wochen allein online rund 4000 Hefte verkauft. Da waren etliche Bestellungen durch persönliche Zeilen ergänzt. Es waren Großeltern dabei, die es für ihre Enkel gekauft haben. Zudem ganz viele Studenten – darunter sehr viele Jurastudenten. Überhaupt: Aus vielen Unistädten – wie zuletzt aus Münster – kriegen wir Ausverkäufe gemeldet. Unter den Käufern sind zudem etliche Anwälte, die es in ihren Kanzleien auslegen oder Partnern oder Mandanten schenken. Neuerdings fragen auch Schulen an. Das ist großartig, denn wir wollen eine Welle starten, die quer durch die Gesellschaft gehen soll. Man muss das GG ja nicht gleich komplett lesen, aber mal reinschauen und sehen, was wir für eine großartige Regelung für unser Zusammenleben haben – das schadet sicher niemandem.

Wenn diese Welle weitergeht, macht Sie das reich?

(lacht) Wenn alle 82 Millionen Deutsche das Magazin kaufen würden, wären wir danach in der Tat wohlhabend. Aber das ist nicht der Antrieb. Ich bin 2018 als freier Journalist u.a. mit drei Fußballprojekten angetreten, eines davon war ein WM-Heft mit der Coverzeile "Mission Titelverteidigung", aufwändig gedruckt und mit einem Pokal-goldenen Umschlag. Das hat sich nach dem Theater um Mesut Özil und dem türkischen Staatspräsident Erdogan im Vorfeld der WM und dem frühen Ausscheiden unserer Mannschaft nicht gerade reißend verkauft, wie man sich vorstellen kann. Auch die zwei anderen Projekte liefen eher mäßig. Entsprechend hoch war auch das persönliche wirtschaftliche Risiko, bei der Ausgangslage dann noch einmal mit dem GG in die Vollen zu gehen. Ganz ohne einen Verlag im Rücken. Nun werden wir von allen Seiten gelobt und das ist fantastisch. Wir haben es geschafft, dass über das GG wieder geredet wird. Natürlich freut es uns, wenn wir nun bestenfalls auch ein paar Mal nachdrucken können.

70 Partnerunternehmen pro Ausgabe

Wie konnten Sie das Produkt finanziell umsetzen?

Bei so einem Projekt ist es wichtig, dass man auf ein tragfähiges Netzwerk zurückgreifen kann. Nur ein Beispiel: Ich arbeite seit vielen Jahren mit einer inhabergeführten Druckerei zusammen. Da ist über die Zeit sehr viel Vertrauen gewachsen. Der Chef selbst hat sich in dem Projekt "Grundgesetz als Magazin" total wiedergefunden und mir quasi ein zinsloses Darlehen gegeben, indem er die Rechnung erst geschickt hat, nachdem ich auch erste Einnahmen hatte. Das ist alles andere als marktüblich und entsprechend motivierend. Darüber hinaus habe ich mir ein sehr spezielles Vermarktungsprinzip ausgedacht. Für die erste Auflage von 100.000 Magazinen hatten wir alles in allem Kosten von ungefähr 125.000 Euro. Die haben wir auf viele Schultern verteilt. Das hat schon beim ersten Mal super geklappt – und wird mit dem jetzigen Verkaufs- und PR-Erfolg natürlich noch besser angenommen.

Und wie funktioniert das im Detail?

Wir suchen pro Druckausgabe 70 Unternehmen – vom Mittelständler bis zum DAX-Konzern, vom Start-Up bis zur Stiftung – die ein Logo an unserer Unterstützerwand im Heft buchen. Pro Druck auf 70 Partner limitiert, wegen 70 Jahre GG. Die bezahlen jeweils 1.949 Euro, ebenfalls symbolisch nach dem Jahr des Inkrafttretens des GG. Zusätzlich neben der Abbildung des Logos in den Heften erhält jeder Partner noch 195 Hefte – also im exakten Gegenwert seines finanziellen Engagements. Wenn die Druckauflage auf diese Art finanziert ist, kann ich die Hefte zum Beispiel günstiger an Schulen verkaufen oder auch mal an soziale Einrichtungen spenden. Der Preis ist bewusst klein gehalten, so dass sich wirklich jeder beteiligen kann. Übrigens: Wir hatten auch drei Anwaltskanzleien in der ersten Ausgabe mit an Bord.

"Begeisterungsfähigkeit der Juristen hat mich überrascht"

Haben Sie schon das nächste Projekt im Sinn?

Wir haben im Jahr 2019 viel vor mit dem GG-Magazin. Entsprechend werden wir unsere ganze Kraft auf dieses Projekt konzentrieren. Mit jedem Nachdruck wird es auch inhaltlich besser. Heribert Prantl (Rechtsjournalist der Süddeutschen Zeitung, Anm. d. Red.) schrieb in seiner fast hymnischen Rezension, dass ihn nur ein Punkt stören würde. Art. 19 Abs., 4 sei ihm nicht genug gewürdigt. Der Artikel sei für ihn ein Hammer, bei uns im Heft aber – rein optisch – "nur ein Hämmerchen". Wir haben die Passage in der Nachdruckausgabe nun entsprechend großzügig layoutet. Wenn man so will, atmet der Text. Wir freuen uns auf konstruktive Vorschläge der Experten. Eine Kritik bei den Optiken war zudem, dass wir im Schwerpunkt Westdeutschland zeigen – das stimmt auch. Wir haben Fotos des Astronauten Alexander Gerst verwendet, die er bei seiner Mission ins All von der ISS aus geschossen hatte. Erst nach Drucklegung kam in seinem Stream zum Beispiel eine Aufnahme von Leipzig. Die ist natürlich nun mit drin. Auch die Namen aller Mitglieder des Parlamentarischen Rates sind in der aktuellen Version erwähnt.

Sie sind selbst kein Jurist. Hat sich Ihr Bild von Juristen mit der Erstellung des Magazins verändert?

Die Begeisterungsfähigkeit speziell unter Juristen für das Magazin hat mich sehr überrascht und gefreut. Ich habe vor Verkaufsstart gedacht: Wenn es Kritik gibt, dann sicher von diesen Fachleuten. Aber das Gegenteil ist der Fall: aus Juristen-Kreisen erhalten wir das größte Lob – und übrigens auch die zahlenmäßig größten Bestellungen.

Zitiervorschlag

Interview mit dem Herausgeber des GG-Magazins: "Spannendes Design gegen die Bleiwüste" . In: Legal Tribune Online, 09.01.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/33107/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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