Fünf Jahre nach dem Gesetz zur Verbesserung der Dopingbekämpfung im Sport zieht die Regierung eine positive Bilanz. Der Strafrechtler und wissenschaftliche Sachverständige des Evaluationsberichts Matthias Jahn erklärt im LTO-Interview, wieso es noch zu wenig spezifische Zahlen gibt, was die neuen Schwerpunktstaatsanwaltschaften leisten und warum schon der Erwerb von Dopingmitteln strafbar werden muss.
LTO: Herr Professor Jahn, die federführenden Ministerien des Innern und für Gesundheit ziehen nach dem Evaluationsbericht zu fünf Jahren Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung des Doping im Sport (DBVG) ein grundsätzlich positives Fazit. Teilen Sie diese Auffassung? Wie geht es der Dopingbekämpfung in Deutschland?
Jahn: Ich habe die Evaluation im Auftrag der beiden Ministerien und des Deutschen Bundestages wissenschaftlich begleitet, will mich also mit einer eigenen Bewertung zurückhalten. Ich denke aber, die vorgelegten Zahlen zeigen, dass die Aktivitäten des Gesetzgebers gegriffen haben.
Selbst engagierte Kritiker der Anti-Doping-Regelungen im geltenden Strafrecht haben nach der Veröffentlichung des Berichts Ende Oktober eingeräumt, dass sie positiv überrascht waren und Erfolge in der Dopingverfolgung nur schwer bestreitbar sind.
"Nur zum Teil valide Vergleichszahlen"
LTO: Ihre Annahme, dass das Gesetz vom 1. November 2007 Doping tatsächlich effektiver bekämpft, stützen die Minister vor allem darauf, dass wesentlich mehr Ermittlungsverfahren durchgeführt würden, die Zahl der Strafurteile habe sich sogar fast verzwölffacht. Auf welche Zahlen nehmen diese Werte Bezug? Schließlich werden Dopingdelikte erst seit der Reform in der Polizeilichen Kriminalstatistik überhaupt als solche ausgewiesen.
Jahn: Ausgewertet wurden Zahlen aus der Praxis zu Ermittlungs- und Strafverfahren auf der Grundlage der einschlägigen Normen des Arzneimittelgesetzes. Dabei hat man sich vor allem auf Statistiken der Staatsanwaltschaften einschließlich der Zentralstellen zur Bekämpfung von Betäubungsmittelkriminalität, der Landesjustizverwaltungen und der Bundes- und Landespolizeibehörden gestützt, insbesondere solche des Bundeskriminalamts und des Zollkriminalamts.
Dazu traten dann noch einzelne Fallanalysen, zum Beispiel zu den Berührungspunkten von Dopingkriminalität und organisierter Bandenkriminalität, sowie Interviews mit Experten, etwa von der Schwerpunktstaatsanwaltschaft in München und der Generalstaatsanwaltschaft in Frankfurt am Main. Dieser Sachverstand hat uns gerade bei besonders interpretationsbedürftigen Zahlen sehr geholfen.
Zum Teil haben Sie aber leider Recht: Die landgerichtlichen Staatsanwaltschaften konnten häufig noch keine detaillierten Auskünfte geben, da eine gesonderte Strafverfolgungsstatistik für Doping-Verstöße entweder nicht geführt wurde oder in einzelnen Bundesländern, zum Beispiel in Berlin, erst so spät implementiert wurde, dass ein Durchschlagen auf das Zahlenwerk erst ab 2010 möglich war. Hier fordert der Evaluationsbericht deshalb weitere Anstrengungen, die übrigens technisch leicht umzusetzen sind.
"Besitzkann ausreichen: Auch der Sportler selbst kann sich strafbar machen"
LTO: Welche der 2007 in Kraft getretenen Änderungen waren aus Ihrer Sicht die wichtigsten?
Jahn: Der Schwerpunkt lag auf der Eindämmung krimineller Strukturen, die vielfach international vernetzt und über Grenzen hinweg operieren. Das Gesetz verstärkte deshalb unter anderem die staatlichen Ermittlungsbefugnisse in Fällen des organisierten ungesetzlichen Handels mit Dopingmitteln.
Daneben wurde eine so genannte Besitzstrafbarkeit für den Umgang mit besonders gefährlichen Dopingmitteln in nicht geringer Menge eingeführt. Damit kann man nun auch den Sportler selbst zum Beschuldigten eines Strafverfahrens machen. In besonders schweren Fällen droht das Gesetz immerhin Freiheitsstrafen von bis zu zehn Jahren an.
LTO: Liegen denn insoweit schon Zahlen vor?
Jahn: Eines geht aus dem Report klar hervor: Im Evaluationszeitraum ist nicht nur die Zahl der Ermittlungsverfahren signifikant gestiegen, auch die Effektivität der Strafverfolgung im Ganzen hat sich drastisch verbessert, etwa was die Abschöpfung der Gewinne aus illegalem Dopinghandel angeht. Während bei den eingebundenen Staatsanwaltschaften noch in den Jahren 2007 und 2008 lediglich 280 Strafverfahren wegen banden- oder gewerbsmäßiger Dopingstraftaten und der nun neu geregelten Besitzstrafbarkeit geführt wurden, stieg diese Zahl bis 2011 kontinuierlich auf 1.592 an.
Innerhalb des Berichtszeitraums, das heißt in weniger als fünf Jahren, hat sich die Zahl der Verfahren also auf das 5,5-Fache erhöht. Allein bei der Münchener Schwerpunktstaatsanwaltschaft wurden 459 Doping-Verfahren geführt.
Schwerpunktstaatsanwaltschaften: "Aktive Ermittlungsarbeit, sensibilisierte Polizei"
LTO: Was berichten die Kollegen denn zum Beispiel bei der neu eingerichteten Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Dopingstraftaten in München? Wie viele solcher spezialisierten Staatsanwaltschaften gibt es inzwischen?
Jahn: Mittlerweile gibt es neben der Münchener Schwerpunktstaatsanwaltschaft seit dem 1. April 2012 auch ein Pendant in Freiburg – das ist ein guter Anfang. Der faktische Schwerpunkt der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren der spezialisierten Strafverfolger in München liegt seit Aufnahme ihrer Tätigkeit zum 1. März 2009 im Bereich des illegalen Arzneimittelhandels und der damit einhergehenden Besitzfälle aus dem Umfeld des Bodybuilding und Kraftsports.
Dabei stiegen die Eingänge der AMG-Verfahren mit Dopingmittelbezug, insbesondere seit Beginn des Jahres 2011, rapide an. Diesen Zuwachs führen die Münchener Schwerpunktstaatsanwälte maßgeblich nicht nur auf die aktive Ermittlungsarbeit, sondern auch auf die von ihnen erreichte Sensibilisierung der bayerischen Polizeidienststellen zurück. Eine wesentliche Rolle spielt ihrer Ansicht nach auch, dass Aufgriffe von Dopingmittelhändlern oft zu umfangreichen Verfahrenskomplexen mit einer Vielzahl von Beschuldigten führten.
2/2: "Schon der Erwerb von Dopingmitteln muss strafbar werden"
LTO: Wie geht es jetzt voran? Die Bundesregierung plant weitere Maßnahmen.
Jahn: Zunächst einmal muss man heute die Diskussionen und Beschlussfassungen im Sportausschuss des Deutschen Bundestages abwarten, denn immerhin hat der Gesetzgeber selbst aus guten Gründen eine Evaluierung des DBVG gewollt. Die Bundesregierung hat den Bericht schon positiv aufgenommen. Sie hat zugesagt – soweit die Umsetzung der von uns vorgeschlagenen Maßnahmen in die Zuständigkeit des Bundes fällt –, dies zügig anzugehen.
LTO: Und was steht auf der Agenda?
Jahn: Der Evaluierungsbericht schlägt einige Maßnahmen vor, die von Bund und Ländern noch umzusetzen sind. So sollte zum Beispiel auch der Erwerb von Dopingmitteln eine Tathandlung im Sinne des Arzneimittelgesetzes werden. Das ist vor allem aus Beweisgründen notwendig.
LTO: Inwiefern schafft eine Erwerbsstrafbarkeit eine bessere Beweisbarkeit?
Jahn: Es geht vor allem um so genannte Posteinfuhrfälle. Wenn Lieferungen verbotener Dopingmittel vom Zoll abgefangen werden, so dass sie den Erwerber gar nicht erreichen können, erlangt dieser nie Besitz an den Substanzen. Seine Bestrafung nur wegen des Versuchs der Dopingstraftat gestaltet sich in der Praxis dann bislang recht kompliziert.
"Doping-Ermittlungsverfahren müssen einheitlich behandelt werden"
LTO: Auch formal empfiehlt der Bericht noch einige Veränderungen.
Jahn: Die institutionelle Zusammenarbeit mit der NADA (Anm. d. Red: Nationale Anti Doping Agentur Deutschland) sollte in die Arbeitsanleitungen für Staatsanwälte, die Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren, aufgenommen werden. Das würde die Informationsflüsse deutlich verbessern.
Außerdem müssen Doping-Ermittlungsverfahren bei den Staatsanwaltschaften einheitlich behandelt werden. Hier gibt es noch große Unterschiede, manchmal sogar innerhalb derselben Behörde, etwa bei der Frage, ob man wegen des Auffindens einer geringen Menge auf den Besitz einer nicht-geringen Menge schließen darf. Auf der politischen Agenda steht weiterhin auch die Forderung an die Bundesländer, noch mehr hochspezialisierte Schwerpunktstaatsanwaltschaften einzurichten.
LTO: Die Bundesregierung will auch noch die Erweiterung des Vortatenkatalogs des Geldwäschetatbestandes (§ 261 StGB) mit Blick auf schwere Dopingdelikte prüfen. Worum geht es dabei? Und was halten Sie von dieser kontrovers diskutierten Forderung?
Jahn: Das kann man durchaus kritisch sehen – deshalb ist hier auch nur ein Prüfauftrag erteilt worden. Ich persönlich meine, dass es eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers ist, es dem Bundeskriminalamt nicht zu gestatten, seine eigene Strafverfolgungskompetenz auf AMG-Verstöße als Vortaten der Geldwäsche gem. § 261 StGB auszudehnen. Es handelt sich nicht um ein Redaktionsversehen oder ähnliches.
"Strafrecht in der Praxis ist immer Sisyphusarbeit"
LTO: Inwieweit können nationale Regelungen überhaupt weiterhelfen? Der Sport ist international und interessiert sich nicht für Landesgrenzen. Wen erfassen die deutschen Regelungen?
Jahn: Da gelten zunächst einmal die allgemeinen Regeln des Strafrechts: Liegt der Tatort im Inland, ist jedermann als Beschuldigter erfasst. In der Diskussion wird aber nicht aufmerksam genug registriert, dass dies auch für ausländische Sportler gilt, die sich zum Training oder Wettkampf in Deutschland aufhalten. Da der Tatort in diesen Fällen im Inland liegt § 9 StGB, können die Strafverfolgungsbehörden schon jetzt aktiv werden, wenn sie auch nur einen einfachen Auffindeverdacht haben.
Aber natürlich gibt es in den Randzonen schwierige Abgrenzungsfragen, denken Sie an das eben geschilderte Problem der Posteinfuhrfälle. Deshalb schlägt der Evaluationsbericht hier auch Änderungen vor.
LTO: Das klingt insgesamt, als bliebe noch viel zu tun. Ist der Kampf gegen das Doping im Sport nicht am Ende eine Sisyphusarbeit – immer begleitet von der ernüchternden Erkenntnis, dass das Strafrecht letztlich der sich stetig weiter entwickelnden Wissenschaft hinterher hinkt, die ihm stets einen Schritt voraus ist?
Jahn: Strafrecht in der Praxis ist immer Sisyphusarbeit, da macht die Verfolgung von Dopingkriminalität keine Ausnahme. Der Evaluierungsbericht zeigt jedenfalls deutlich, was die bereits normierten Anti-Doping-Regelungen in Deutschland zu leisten im Stande sind.
Die zusätzlichen Maßnahmen, die wir angeregt haben, sollten ihr Übriges tun. Dass man, wie dies noch vor einigen Jahren üblich war, die strafrechtlichen Regeln gegen Doping als "totes" – also in der Praxis kaum angewandtes – Recht bezeichnet, sollte jedenfalls der Vergangenheit angehören.
LTO: Herr Professor Jahn, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Prof. Dr. Matthias Jahn ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht und Wirtschaftsstrafrecht an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und Richter in einem OLG-Strafsenat. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist das Sportstrafrecht. Er ist u.a. wissenschaftlicher Sachverständiger der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages für den Evaluationsbericht über das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung des Dopings im Sport.
Die Fragen stellte Pia Lorenz.
Matthias Jahn, Dopingbekämpfung im Sport: "Schon lange kein totes Recht mehr" . In: Legal Tribune Online, 28.11.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7658/ (abgerufen am: 24.04.2024 )
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