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Strache-Video auf Ibiza: Was durfte ver­öf­f­ent­licht werden?

Interview von Dr. Markus Sehl

20.05.2019

FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache

picture alliance/APA/picturedesk.com

"Kriminelles Unrecht" oder "Sternstunde des Journalismus": Wegen der Veröffentlichung des Strache-Videos ging es heute auch juristisch in der Diskussion ziemlich drunter und drüber: Die wichtigsten Fragen erläutert Nima Mafi-Gudarzi.

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Am Freitagabend veröffentlichten Spiegel und Süddeutsche Zeitung (SZ) Beiträge zu einem inszenierten Treffen des Ex-Vizekanzlers und Ex-FPÖ-Chefs Heinz-Christian Strache 2017 auf Ibiza. Die FPÖ hat Strafanzeige angekündigt, ein deutscher Landesdatenschutzbeauftragter sieht die Privatsphäre verletzt und "kriminelles Unrecht" begangen. Vorbehaltlich des einschlägigen Rechts – wäre diese Aktion in Deutschland erlaubt gewesen?

Man muss hier klar zwei Ebenen trennen. Zum einen die Aufnahme auf Ibiza durch bislang unbekannte Personen selbst und auf der anderen Seite die Verbreitung des Videos und die Berichterstattung dazu. Was die erste Ebene der heimlichen Herstellung der Videoaufnahmen angeht, da haben die Überlegungen des Landesdatenschutzbeauftragten Stefan Brink ihre Berechtigung. Zivilrechtlich gesehen könnte man nämlich annehmen, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt sein könnte – ganz offensichtlich gab es keine Zustimmung der Runde aus Strache, Gudenus und Gudenus' Frau. Sie seien, wie es heißt, in "eine Falle getappt". Man könnte also an einen Verstoß gegen Art. 6 der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) denken, aber auch an §§ 1004, 823 II Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in Verbindung mit dem Kunsturhebergesetz (KUG).

Und aus strafrechtlicher Sicht?

Wenn es um kriminelles Unrecht gehen soll, kann man insbesondere über § 201a Strafgesetzbuch (StGB), die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen, nachdenken. Nach dem bislang bekannten und öffentlich gezeigten Filmmaterial dürfte es aber an einem ausschlaggebendem Tatbestandsmerkmal fehlen. Nämlich dem Element der "Höchstpersönlichkeit". Die Strafrechtsnorm gerät an dieser Stelle in Kollision mit den Grundrechten der Presse- und Meinungsfreiheit. Deshalb ist sie eng auszulegen. Gemeint ist damit die sogenannte Intimsphäre, der unantastbare Kernbereich privater Lebensführung der abgebildeten Personen.

Das heißt, unabhängig davon, in welchem räumlichen Umfeld die Aufnahmen erfolgt sind, hätte es für eine Strafbarkeit der Aufnahme einen inhaltlichen Bezug zu den besonders geschützten Themenbereichen der Sexualität, zum Gesundheitszustand oder zu der inneren Gedanken- und Gefühlswelt der Personen gebraucht. Die Aufnahmen zeigen aber einen sehr starken Bezug nicht zur Intimsphäre, sondern zur Privats- und Sozialsphäre der Betroffenen. Denn die veröffentlichen Teile des Gesprächs zielten auf geschäftliche und politische Lebensbereiche und die Verquickungen zwischen beiden.

Die Aufnahmen sollen insgesamt eine Dauer von sechs Stunden haben, angeblich soll es in manchen Passagen um Inhalte gegangen sein, die intimere Themen betroffen habe, sexuelle Beziehungen, Drogen.

Sofern es entsprechende Aufnahmen gegeben hat, und sich die Medien bei ihrer Verbreitung möglicherweise deshalb hätten strafbar machen können, haben sie sich jedenfalls wohlweislich dagegen entschieden, eben diese Szenen zu veröffentlichen.

Damit zur zweiten Ebene: Durften also SZ UND SPIEGEL, selbst wenn die Aufnahmen rechtswidrig hergestellt worden sind, diese veröffentlichen?

Die kurze Antwort: Ja. Die lange: Es ist eine Abwägung nötig. Auf der einen Seite steht das Allgemeine Persönlichkeitsrecht, auf der anderen die Pressefreiheit nach Art 5 Grundgesetz (GG) bzw. Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), die übrigens in Österreich im Rang der Verfassung steht. Die Pressefreiheit erstreckt sich von der Beschaffung bis zur Veröffentlichung der Information. Drei Kriterien sind bei der Abwägung entscheidend: Was ist das Mittel, was ist die Art und was ist der Zweck der Veröffentlichung. Vor einem Jahr hatte der BGH diese verfassungsrechtlichen Grundsätze nochmal bestätigt. In dem Fall ging es um unerlaubte Aufnahmen aus einem Bio-Hühnerstall.

Zur Frage des Mittels und dem Problem illegal beschaffter Informationen hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in der Wallraff-Entscheidung 1984 deutliche Aussagen getroffen. Auch die rechtswidrig beschaffte Information fällt in den Schutzbereich der Pressefreiheit von Art. 5 GG, die Rechtswidrigkeit der Aufnahme an sich schlägt nicht durch auf die Verbreitung.

Wenn es um die Art der Veröffentlichung geht, das zweite Kriterium, dann geht es darum: Prangere ich in besonderer Weise an oder verzerre ich die Informationen? Soweit ich es beurteilen kann, haben sich die beiden Medien aber bei ihrer Berichterstattung sehr zurückgehalten, sie haben objektiv berichtet, und die Veröffentlichung auf wenige Original-Mitschnitte beschränkt. Und die sind letztlich auch wichtig, um die Authentizität der Berichterstattung zu untermauen.

Und der Zweck?

Die Rechtmäßigkeit steht und fällt letztlich mit dem Zweck der Berichterstattung. Je schwerer das Gewicht und je mehr die Veröffentlichung zum geistigen Meinungskampf beiträgt, der die Öffentlichkeit wesentlich berührt, desto mehr müssen die persönlichen Interessen des Betroffenen zurückstehen.

Im Kern geht es hier um sehr gewichtige Themen für Gesellschaft und Demokratie, insbesondere das Verhältnis von Staat und Medien, das Verhältnis von Österreich zu Russland, also auch zu auswärtigen Mächten, die Verflechtung parteilicher und wirtschaftlicher Interessen, um Korruptionsvorwürfe. Dieser Zweck der Veröffentlichung heiligt die Mittel der Berichterstattung.

Der § 201 StGB stellt die Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes unter Strafe, er hat eine andere Stoßrichtung als § 201a StGB.

Die Produzenten könnten sich nach § 201 Abs. 1 Nr. 1 strafbar gemacht haben, indem sie unbefugt das gesprochene Wort auf einem Tonträger aufgenommen haben. Für die Medien käme dann die Strafbarkeit nach Abs. 2* Nr. 2 in Frage, insofern gibt es aber eine Ausschluss nach Abs. 2 S. 3, auch danach müsste wieder eine Abwägung vorgenommen werden, wie sie aus der Rechtsprechung des BVerfG bekannt ist. Sie würde hier wegen überwiegender Interessen zugunsten der Pressefreiheit ausfallen.

Wir haben jetzt schon viel über deutsche Normen gesprochen, wo dürfte der Fall überhaupt rechtlich spielen – in Spanien, Österreich oder Deutschland?

Deutsches Recht ist auf jeden Fall einschlägig, weil die Videoaufnahmen in Deutschland verbreitet wurden. Über den Ort der Informationsbeschaffung durch die Medien weiß man bislang nichts Genaueres. 

In den Zeitungen und auf Social Media wird seit dem Wochenende viel diskutiert. Der Landesdatenschutzbeauftragte in Baden-Württemberg Stefan Brink sprach von "kriminellem Unrecht" – ergeben sich Unterschiede durch eine datenschutzrechtliche Perspektive?

Die Informanten könnten sich nach § 42 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) strafbar gemacht haben, wenn sie gewerbsmäßig oder gegen Entgelt die Aufnahmen weitergegeben haben. SZ und Spiegel haben beteuert, dass sie kein Geld gezahlt haben. Eine eigene Strafbarkeit der Medien bzw. der Verleger kommt nach dem Gesagten nicht in Betracht. Auch für eine Strafbarkeit nach § 33 KUG müsste wieder die verfassungsrechtliche Abwägung angestellt werden.

Der Ex-BND-Präsident August Hanning forderte heute in der Bild, Spiegel und SZ sollten den Sicherheitsbehörden "aufgrund der Dimension des Falls" die Quellen offenlegen – ist der Informantenschutz von der politischen Tragweite abhängig?

Eindeutig nein. Es geht beim Informantenschutz nur um die Frage, ob es um einen Beitrag zur journalistisch-redaktionellen Arbeit ging. Ohne Schutz der Informanten könnte die Presse ihre Funktion nicht effektiv wahrnehmen. Informanten werden nur dann Hinweise und Material zutragen, wenn sie darauf vertrauen können, dass ihre Identität geschützt bleibt. Anderenfalls würden wir alle viel weniger erfahren als es nötig wäre für unseren demokratischen Meinungsbildungsprozess.

Nima Mafi-Gudarzi, LL.M., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medienrecht und Kommunikationsrecht an der Universität zu Köln.

 

Anm. d. Red.: Zunächst hieß es hier wegen eines Zahlendrehers Abs. 1, korrigiert 21.05.2019, 15.00 Uhr.

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Strache-Video auf Ibiza: Was durfte veröffentlicht werden? . In: Legal Tribune Online, 20.05.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35485/ (abgerufen am: 29.09.2023 )

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