Weil bei einem tödlichen US-Drohnenangriff im Jemen 2012 eine Militärbasis in Deutschland involviert war, zogen Angehörige bis vors BVerfG. Das unterstützende ECCHR hofft auf ein Grundsatzurteil zum Verhältnis Diplomatie vs. Völkerrecht.
LTO: Im August 2012 tötete das US-Militär mittels einer unbemannten bewaffneten Drohne im jemenitischen Dorf Khashamir mehrere Menschen. Faisal bin Ali Jaber verlor einen Schwager und einen Neffen. Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) unterstützt ihn und zwei weitere Angehörige bei einer Klage gegen die Bundesrepublik und nun auch bei einer Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Worum geht es den Angehörigen der Getöteten bei dem Verfahren?
Andreas Schüller: Den Betroffenen geht es nicht nur um den einen Drohnenangriff, sondern um die konstante Lebensgefahr, in der sie seit nunmehr über zwölf Jahren leben müssen. Das Drohnenprogramm ist Teil des von der US-Regierung ausgerufenen "Global War on Terror". Bewaffnete Drohnen wurden vor allem in Pakistan und dann zunehmend auch in Somalia und Jemen eingesetzt. Im Jemen geschieht dies losgelöst vom Krieg mit Saudi-Arabien. Zu Beginn der Drohnenangriffe existierte dieser Konflikt noch gar nicht.
Die Kläger wollen, dass die Drohnenüberflüge aufhören. Erst vor zwei Wochen haben ihren Berichten zufolge wieder Überflüge stattgefunden. Das löst immer wieder Ängste und psychologischen Druck aus. Sie fürchten weiterhin um ihr Leben. Sie wissen nicht – und können auch nicht abschätzen – wann und wo der nächste Angriff stattfinden wird.
Warum halten Sie die Drohnenangriffe für völkerrechtswidrig?
Das menschenrechtlich geschützte Recht auf Leben der Dorfbewohner ist gefährdet. Das Drohnenprogramm verstößt kontinuierlich gegen das Unterscheidungsgebot – eine zentrale Norm im Recht des bewaffneten Konflikts. Kombattanten darf man gezielt angreifen, Zivilisten nicht. Die US-Regierung legt unseres Erachtens die Voraussetzung der "unmittelbaren Teilnahme" am Kampfgeschehen zu weit aus und macht dadurch eine zu große Zahl von Zivilisten zu Kombattanten. Dadurch erhöht sich die Gefahr für viele weitere Menschen, sogenannte Kollateralschäden zu werden.
"Recht auf Leben der Zivilisten schützen"
Eine Klage in den USA scheiterte, ab 2014 versuchten Sie es mit einer Klage in Deutschland. Dabei werden die Drohnen doch aus den USA gesteuert.
Richtig ist, dass die Drohnenpiloten in den USA sitzen und dass die Drohnen in der Region, in der sie eingesetzt werden, losfliegen. Aber alles, was dazwischen passiert, läuft über Ramstein. Das ist zum einen die Datenweiterleitung über Kabel von den USA nach Ramstein und von dort via Satellit in den Luftraum über Jemen. Zum anderen gibt es in Ramstein ein Datenverteilungszentrum – das größte außerhalb der USA. Da sind Hunderte Analysten, die Satellitenbilder auswerten und den Drohnenpiloten sagen, was man darauf sieht, um ihre Einsätze zu unterstützen und vermeintliche Ziele zu finden. Ramstein ist ein zentraler Knotenpunkt für das gesamte Drohnenprogramm.
Vor den Verwaltungsgerichten haben Sie mit einer Leistungsklage versucht, die Einbindung Ramsteins in das Drohnenprogramm zu stoppen. Allerdings gibt es dafür keine einfachgesetzliche Regelung.
Richtig. Deshalb mussten wir den Anspruch schon beim Verwaltungsgericht unmittelbar auf das Grundgesetz (GG) stützen, genauer: auf das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2. Vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW hatten wir damit auch Erfolg. Nachdem das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) 2020 dessen Urteil aber wieder aufhob, rügen wir die Verletzung dieses Grundrechts nun mit der Verfassungsbeschwerde.
Also dienen deutsche Grundrechte dem Schutz von Zivilisten in einem ausländischen Krieg?
Ja. Deutsche Grundrechte stehen grundsätzlich auch Ausländern im Ausland zu, das hat das BVerfG 1999 bereits entschieden und zuletzt 2020 bekräftigt – dort allerdings in einer anderen Situation.
Noch offen ist, inwiefern man in dieser Auslandskonstellation aus der Grundrechtsgeltung auch Schutzpflichten ableiten kann. Bei Anhaltspunkten für wiederholte Völkerrechtsbrüche fragt sich konkret: Was muss die Bundesregierung tun, um das Recht auf Leben der Zivilisten zu schützen? Darauf erhoffen wir uns vom BVerfG grundsätzliche Aussagen. Außerdem wünschen wir uns eine Klarstellung dahingehend, ob die USA generell und mit der Art und Weise, wie sie die Drohneneinsätze ausführen, gegen Völkerrecht verstoßen.
"Ramstein ist die zentrale Infrastruktureinheit"
Worüber waren sich OVG NRW und BVerwG uneins? Was sind die juristischen Knackpunkte?
Also es sind im Wesentlichen zwei Punkte. Zunächst: Unter welchen Voraussetzungen greift eine Schutzpflicht für das Leben ein? Dass es eine solche gibt, hat auch das BVerwG im Grundsatz bejaht. Aber es hat dies unter zwei einschränkende Voraussetzungen gestellt: eine konkrete Gefahr von Völkerrechtsverletzungen in dem bewaffneten Konflikt und einen "qualifizierten Bezug" zum deutschen Staatsgebiet. Für das OVG war schon die Satelliten-Relaisstation hier Bezug genug.
Das BVerwG hatte jedoch Zweifel, hat es aber im Ergebnis offengelassen, weil es die Klage am zweiten Punkt scheitern ließ.
Der da wäre?
Wenn man eine Schutzpflicht gegenüber den ausländischen Zivilisten hier bejaht, lautet die Folgefrage: Welchen Inhalt haben diese Schutzpflichten? Also was muss die Bundesregierung bei begründeten Zweifeln an der Völkerrechtmäßigkeit tun? Da hat das BVerwG ein recht weites Ermessen eingeräumt. Dem Gericht reichte es, dass sich die Bundesregierung in einem ständigen Dialog mit der US-Regierung sah und dass Washington die Einhaltung des Völkerrechts zugesichert habe.
Das halten Sie für zu eng.
Ja, beide Punkte. Zum einen sehen wir – wie das OVG – einen ausreichenden Bezug zum deutschen Staatsgebiet. Der Knotenpunkt des Datenverteilzentrums in Ramstein ist das Wesentliche an diesem Drohnenprogramm. Es ist die zentrale Infrastruktureinheit. Das ergibt sich aus Dokumenten und das hören wir auch aus dem US-Militär.
"Könnten auch mit dem Urteilstenor des OVG Münster leben"
Was den Inhalt der Schutzpflichten angeht, würden Sie sagen: Da gesteht das BVerwG der Bundesregierung zu viel Ermessen zu?
Es gibt auf jede Anfrage bei der Bundesregierung die gleiche Antwort: Wir führen einen "vertrauensvollen und kontinuierlichen Dialog" mit der US-Regierung. Wir finden: Das reicht nicht. Natürlich sagen die USA, sie halten das Völkerrecht ein. Es gibt hier aber aus unserer Sicht genug Anhaltspunkte dafür, dass das nicht der Fall ist.
Daher reicht es hier nicht, bloß zu behaupten, im Dialog zu sein. Die Bundesregierung müsste eigentlich sagen: Wir denken, ihr haltet das Recht nicht ein, unterlasst das bitte. Nicht einmal das findet statt. Aber selbst, wenn die ausländische Regierung eine entsprechende Zusicherung macht, muss die Bundesregierung das natürlich weiter kritisch beobachten. Zur Not muss sie die Unterstützung einstellen.
Ein solches System an Prüf- und Eskalationsstufen ergibt sich – anders als bei der Rüstungskontrolle – nicht aus dem Gesetz. Soll das BVerfG das jetzt detailliert entwickeln?
Wir könnten auch mit dem Urteilstenor des OVG in Münster leben. Das hat gesagt, die Bundesregierung müsse "sich vergewissern", dass die Nutzung der Air Base im Einklang mit dem Völkerrecht steht, und notfalls "darauf hinwirken". Da bliebe der Bundesregierung immer noch diplomatischer Spielraum, wie sie das macht.
Mögliche Folgen für Waffenexporte?
Wenn das BVerfG tatsächlich in diesem Sinne entscheidet, hätte dies weitere Auswirkungen auf Klagen gegen militärische Unterstützung – abseits des US-Drohnenprogramms und der Air Base in Ramstein?
Das kommt nicht nur auf den Urteilstenor, sondern auch auf die Begründung an. Insbesondere auf die Ausführungen zur Reichweite grundrechtlicher Schutzpflichten im Ausland. Das hat potenziell Folgen für diverse Klagen, zum Beispiel im Bereich der Genehmigung von Waffenexporten an ausländische Kriegsparteien. Da gibt es auch Klagen von Einzelpersonen aus ausländischen Kriegsgebieten vor deutschen Gerichten.
Sie meinen die ebenfalls vom ECCHR unterstützten Klagen gegen deutsche Waffenexporte an Israel?
Unter anderem. Aber wir klagen auch gegen Waffenexporte an Saudi-Arabien – auch wegen des Jemen-Kriegs.
Im Fall der Lieferungen an Israel haben die Gerichte in Berlin und Frankfurt am Main die Eilanträge bislang zurückgewiesen. Könnte sich das mit einem BVerfG-Urteil in Ihrem Sinne ändern?
Es handelt sich bei Waffenlieferungen um eine etwas andere Situation. Hier besteht ein viel stärkerer Bezug zur deutschen Staatsgewalt als bei Ramstein: Die Exporte werden vom Bundessicherheitsrat, Bundeswirtschaftsministerium bzw. dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle formal genehmigt und dann von deutschem Gebiet ausgeliefert.
Zudem gelten hier andere, spezifischere Rechtsgrundlagen. Auf die kann man einen Anspruch auf Genehmigungsstopp womöglich stützen. Trotzdem spielt die Schutzpflicht gegenüber dem Recht auf Leben aber hier eine Rolle, deshalb haben die Kläger dort ihre Klage- bzw. Antragsbefugnis auch mit Art. 2 Abs. 2 GG begründet.
Russische Soldaten vor deutschen Gerichten?
Wenn Ihnen das BVerfG Recht gibt, könnte es dann nicht auch gefährlich sein, die Diplomatie derart einzuschränken?
Uns geht es um konkrete Völkerrechtsverletzungen, nicht um Außenpolitik allgemein. Eine Bundesregierung muss ihr Handeln auch am Völkerrecht messen lassen. Völkerrechtliche Verpflichtungen sollten auch durchsetzbar sein. Sie sind nicht Teil der diplomatischen Verhandlungsmasse.
Manche weisen auf das Risiko hin, dass solche Klagemöglichkeiten auch der Gegenseite der Kriegspartei, die Deutschland unterstützt, zustehen könnten. So könnten womöglich russische Soldaten gegen deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine vorgehen – mit der Begründung, dass auch die Ukraine im Krieg hier und dort das Völkerrecht bricht. So könnte sich hier der eindeutige Aggressor auf dem Rechtsweg einen militärischen Vorteil verschaffen. Auch für Deutschland selbst wäre das gefährlich.
Die Gefahr sehe ich nicht. Es könnte ja nicht jeder vor deutschen Gerichten klagen, sondern nur, wer geltend macht, durch völkerrechtswidrige Kriegshandlungen in seinem Recht auf Leben gefährdet zu sein. Für russische Soldaten würde das kaum gelten – die dürften als Kombattanten ja angegriffen werden, es sei denn sie sind außer Gefecht oder Kriegsgefangene.
Russische Zivilisten müssten darlegen, dass sie kontinuierlich ukrainischen Angriffen ausgesetzt sind, die ihrer Art und Weise nach gegen Völkerrecht verstoßen und mit von Deutschland gelieferten Waffenarten begangen oder ermöglicht werden. Einzelfälle, in denen humanitäres Völkerrecht verletzt wird, reichen nicht aus.
Haben Sie ein Gefühl für den Ausgang des Verfahrens?
Ich bewerte es erst einmal als positiv, dass eine mündliche Verhandlung stattfindet. Das gibt der Sache der Betroffenen die Chance, angehört zu werden. Es ist wichtig, die grundlegenden Fragen zur Reichweite der Schutzpflichten von Zivilisten im Ausland und zur Völkerrechtswidrigkeit des US-Drohnenprogramms mündlich zu erörtern. Das honorieren auch die Beschwerdeführer.
Vielen Dank das Gespräch!
Andreas Schüller ist Programmleiter für Völkerstraftaten und rechtliche Verantwortung beim ECCHR. Die Organisation ist auf Menschenrechtsklagen spezialisiert. Das Verfahren der drei Jemeniten gegen den US-Drohneneinsatz unterstützt das ECCHR zusammen mit der britischen NGO Reprieve seit 2014.
BVerfG verhandelt über US-Drohneneinsatz im Jemen: . In: Legal Tribune Online, 15.12.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56115 (abgerufen am: 16.01.2025 )
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