2014 brachte der Fall eines rechtsextremen bayerischen Richters den Stein ins Rollen: Der Freistaat lässt Richter künftig vor Amtsantritt vom Verfassungsschutz prüfen. Walter Groß, Vorsitzender des BRV, im LTO-Interview zu den Neuerungen.
LTO: Herr Groß, halten Sie die Gesetzesänderung der bayerischen Regierung für sinnvoll, künftig neue Richter vor Amtsantritt durch den Verfassungsschutz überprüfen zu lassen?
Walter Groß: Im Ergebnis halte ich diese Neuerung für sinnvoll. Es ist genau genommen auch keine Prüfung, sondern eine Regelanfrage an den Verfassungsschutz, ob entsprechende Erkenntnisse vorliegen. Wer nach einem Auswahlgespräch als Richter in Betracht kommt, wird aufgefordert, seine Zustimmung zu dieser Anfrage zu erteilen. Verweigert er diese, ist eine Einstellung nicht möglich.
LTO: Wie ist das weitere Prozedere, wenn der Verfassungsschutz eine Auskunft erteilt, die den Bewerber belastet?
Groß: Wenn Zweifel an der Eignung des Bewerbers bestehen, wird er schriftlich davon in Kenntnis gesetzt und kann dazu Stellung nehmen.
LTO: Ist es dann überhaupt noch realistisch, dass ein solcher Bewerber in den Dienst des Freistaats übernommen wird?
Groß: Können die Zweifel an der Verfassungstreue nicht ausgeräumt werden, wird der Bewerber nicht in den richterlichen Dienst übernommen werden. Ob dies zu Recht geschehen ist, kann er dann gerichtlich überprüfen lassen. Er wurde ja zunächst, wie die Einladung zum Vorstellungsgespräch zeigt, grundsätzlich als fachlich und persönlich geeigneter Bewerber eingeschätzt.
"Die Neuerung hat auch eine gewisse prophylaktische Wirkung"
LTO: Bereits heute gibt es staatlicherseits eine Prüfung der Verfassungstreue von Bewerbern. Wie unterscheidet sich diese von der Regelanfrage?
Groß: Diese staatliche "Prüfung" besteht darin, dass Bewerber im Bewerbungsprozess schriftlich gefragt werden, ob sie einer verfassungsfeindlichen Organisation angehören. Die entsprechenden Organisationen sind auf einer Liste, die der Bewerber erhält, aufgeführt.
LTO: War die Neuerung überhaupt nötig?
Groß: Man hat jetzt noch einmal eine zusätzliche Sicherung eingebaut, da die Stellung der Richter aufgrund ihrer Weisungsfreiheit und Funktion eine besondere ist. Diese Sicherung greift vor einer Einstellung als Richter. Einmal im Dienst, ist es ungleich schwerer, jemanden aus diesem wieder zu entfernen.
LTO: War es dann nicht kurzsichtig seitens der Politik jetzt erst zu handeln? Wie machtvoll die Position eines Richters ist, ist ja schon seit jeher bekannt.
Groß: Da müssen Sie die Politik fragen. Die Bundesregierung Brandt hat die Regelanfrage damals eingeführt, Bayern hat diese als letztes Bundesland abgeschafft. Die jetzige Wiedereinführung ist eine politische Entscheidung. Meiner persönlichen Einschätzung nach reagiert man damit auf den Vorgang von 2014, als sich herausstellte, dass ein bayerischer Richter Mitglied einer rechtsextremen Musikgruppe war.
LTO: Halten Sie die Neuregelung angesichts dieses Einzelfalles für übertrieben?
Groß: Nun ja, es gab den einen Fall und jeder so geartete Fall ist einer zu viel. Die Neuerung hat auch eine gewisse prophylaktische Wirkung. Extremisten wissen nun, dass sie sich gar nicht zu bewerben brauchen.
2/2: "Alle Richter zu prüfen, würde bedeuten, sie unter Generalverdacht zu stellen"
LTO: Wenn Sie von Prophylaxe sprechen, kommen wir vorher noch einmal auf die bisherige Praxis zurück. War die Aufhebung des Radikalenerlasses also ein Fehler, da eine Prophylaxe bei der Einstellung wegfiel?
Groß: Am sogenannten Radikalenerlass, der für alle Staatsdienstbewerber galt, gab es vor seiner Aufhebung sehr viel Kritik. So sah man etwa ganze Generationen unter Generalverdacht gestellt. Die damalige Aufhebung war meiner Meinung nach richtig. Zur begrenzten Wiedereinführung muss man nun sagen, dass - wie auch im privaten Leben - Handlungsimpulse immer durch Erlebtes gesetzt werden. Dann setzt das Nachdenken ein, wie man ein negatives Ereignis künftig verhindern kann.
LTO: Wäre es nicht ein logischer Schritt, auch die bereits eingestellten Richter zu überprüfen?
Groß: Alle Richter zu prüfen, würde bedeuten, sie unter Generalverdacht zu stellen. Da hätten wir als Bayerischer Richterverein im Anhörungsverfahren vor der Neuregelung nicht zugestimmt. Die Neuregelung gilt ausdrücklich nicht für alle, die schon mindestens drei Jahre im Dienst sind. Hier geht man zu Recht davon aus, dass etwaige extremistische Einstellungen oder Handlungen in dieser Zeit aufgefallen wären.
Für uns als Richterverein waren drei Dinge maßgeblich für unsere Zustimmung: Erstens, dass die Regelanfrage im jetzigen Sinne hinsichtlich des Personenkreises beschränkt ist und dass zweitens die Betroffenen über etwaige negative Ergebnisse der Anfrage schriftlich informiert werden sowie ihnen drittens die Gelegenheit gegeben wird, Stellung zu den Vorwürfen zu nehmen. Es ist zum Beispiel auch denkbar, dass ein Fehler seitens des Verfassungsschutzes vorliegt, etwa durch eine Verwechslung oder Ähnliches.
LTO: Sind Sie schon einmal einem Kollegen begegnet, bei dem Sie durch Wort oder Tat Zweifel an der Verfassungstreue hatten?
Groß: Nein, das ist mir noch nie passiert. Nach unserem Selbstverständnis ist klar, dass Extremisten keinen Platz in der Richterschaft haben.
"Ich bin erstaunt, welche Aufmerksamkeit dieser Schritt hervorruft"
LTO: Halten Sie es für möglich, dass Extremisten versuchen, unser Rechtssystem zu unterwandern, oder ist das praktisch nicht machbar?
Groß: Wer unsere freiheitlich demokratische Grundordnung ablehnt, wird in der Regel kein Interesse haben, Richter oder Staatsanwalt zu werden. Er muss damit rechnen, über kurz oder lang aufzufallen, etwa in der täglichen Zusammenarbeit, spätestens in seinen Entscheidungsbegründungen. Wer sich bewirbt, weiß, dass er verfassungstreu sein muss.
LTO: Wie erklären Sie sich dann den eben angesprochenen Fall des bayerischen Richters, der Mitglied einer rechtsextremen Band war?
Groß: Was den Betroffen bewogen hat, dennoch zu versuchen, im bayerischen Justizdienst unterzukommen, weiß ich nicht. Da müssten Sie ihn persönlich befragen.
LTO: Wäre es sinnvoll, Verfassungstreue im Studium stärker zu thematisieren, um bereits hier prophylaktisch tätig zu werden?
Groß: Es ist schon heute so, dass die Studenten sich mit den Grundrechten und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts intensiv beschäftigen müssen. Auch Rechtsgeschichte und Rechtsphilosophie werden an den Universitäten gelehrt, spielen aber später in den Prüfungen keine große Rolle mehr.
LTO: Sollte man das ändern?
Groß: Das halte ich nicht für erforderlich.
LTO: Haben Sie die über Bayern hinausgehenden Reaktionen der Öffentlichkeit auf die Neuregelung so erwartet?
Groß: Ich bin erstaunt, welche Aufmerksamkeit dieser Schritt hervorruft. Ich hätte gedacht, dass es als selbstverständlich erachtet wird, den Zugang zum Richteramt auf diese Weise abzusichern. Gerade in Zeiten, in denen der politische Diskurs heftiger geworden ist und eine Radikalisierung und Spaltung unserer Gesellschaft droht.
LTO: Vielen Dank für das Gespräch.
Walter Groß ist Vorsitzender des Bayerischen Richtervereins (BRV) und Direktor des Amtsgerichts Fürth.
Die Fragen stellte Till Mattes.
Till Mattes, BRV-Vorsitzender zu Verfassungsschutz-Prüfung für Richteramt: "Extremisten wissen nun, dass sie sich nicht zu bewerben brauchen" . In: Legal Tribune Online, 17.10.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20884/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
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