Der Entwurf einer europäischen Verordnung zum Internationalen Erb- und Erbverfahrensrecht liegt vor. Er soll die Zuständigkeit bei grenzüberschreitenden Erbfällen vereinfachen und ein europäisches Nachlasszeugnis als Nachweis einführen. Zahlreiche Fragen bleiben aber offen. Außerdem können nahe Angehörige bei größeren Vermögen durch eine geschickte Gestaltung "ausgetrickst" werden.
450.000 grenzüberschreitende Erbfälle pro Jahr mit einem geschätzten Vermögen von insgesamt mehr als 120 Milliarden Euro zeigen, dass das internationale Erbrecht in der Europäischen Union längst zum Alltagsproblem geworden ist.
Verstirbt ein Deutscher, der in München eine Eigentumswohnung und auf Teneriffa ein Ferienapartment besitzt, ist auf diesen Erbfall zunächst deutsches Recht anwendbar. Die deutsche Rechtsordnung knüpft nämlich hinsichtlich des auf Erbfälle anwendbaren Rechts an die Staatsangehörigkeit des Erblassers an (Art. 25 EGBGB). Auch das spanische Erbrecht bestimmt (Art. 9.8 CC), dass die Rechtsnachfolge von Todes wegen sich nach dem Heimatrecht des Erblassers richtet und zwar unabhängig von der Art der Güter und dem Land, in dem sie sich befinden. Während allerdings in Deutschland der Erbe automatisch mit dem Erbfall Rechtsnachfolger des Verstorbenen wird ("Vonselbsterwerb") und nur eine Grundbuchberichtigung auf formlosen Antrag gegen Erbnachweis erfolgt, ist in Spanien zur Umschreibung von Grundbesitz eine Erbschaftsannahmeerklärung zwingend erforderlich.
Hätte sich dagegen die Ferienwohnung auf der französischen Insel Korsika befunden, würde eine Nachlassspaltung eintreten. Nach französischem Recht werden nämlich Immobilien nach der lex rei sitae, dem Recht des Belegenheitsortes, vererbt. Das in Deutschland befindliche Vermögen und das bewegliche Vermögen in Frankreich (zum Beispiel Mobiliar) werden dagegen nach deutschem Erbrecht vererbt. Dies soll nun durch eine Vereinheitlichung der unterschiedlichen Kollisionsrechte der Mitgliedstaaten einfacher werden.
Eine Behörde, ein Recht – der Grundsatz der Nachlasseinheit
Der von der EG-Kommission nun vorgelegte Entwurf einer europäischen Verordnung zum Internationalen Erb- und Erbverfahrensrecht sieht vor, dass in grenzübergreifenden Nachlassfällen nur noch eine Behörde zuständig ist und für das anwendbare Recht ein einziges Kriterium maßgebend ist, nämlich der letzte gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers.
Damit wird das gesamte Vermögen ohne Rücksicht auf die Art der Nachlassgüter, also bewegliche und unbewegliche Vermögensgegenstände, und den Ort, an dem sie sich befinden, einer Rechtsordnung unterstellt. Maßgeblich ist das Recht des Staates, in dem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hatte. Es kommt somit zu keiner Nachlassspaltung mehr.
Beim gewöhnlichen Aufenthaltsort handelt es sich um den Daseinsmittelpunkt, also denjenigen Ort, an dem sich der Schwerpunkt der familiären, sozialen und beruflichen Beziehungen befindet. Die Dauer, die Regelmäßigkeit und die Umstände des Aufenthalts spielen dabei eine Rolle. Probleme können sich bei Diplomaten, Grenzgängern, Studierenden, zeitlich begrenzt im Ausland Arbeitenden, Gefängnisinsassen und "Jet-Set-Rentnern" ergeben.
Da das materielle Erbrecht der einzelnen Mitgliedstaaten unberührt bleibt, richten sich die Fragen, wer Erbe wird, wie hoch die Erbquoten sind und wem Pflichtteilsrechte zustehen, weiterhin nach dem einzelstaatlichen Recht. Gleiches gilt für das Erbschaftsteuerrecht. Da sich die nationalen Erbrechtsordnungen stark voneinander unterscheiden, können mit dem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts gravierende erbrechtliche Folgen verbunden sein.
Besondere Bedeutung hat dies im Hinblick auf das Pflichtteils -beziehungsweise Noterbrecht. Der Erblasser kann durch die Anknüpfung an das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts zu einem ihm genehmen Recht wechseln, das beispielsweise wie das englische Recht keine Pflichtteilsansprüche kennt. Dies ist jedenfalls aus Sicht des deutschen Rechts derzeit nur durch einen Staatsangehörigkeitswechsel möglich.
Die Option für das Heimatrecht
Durch den Wechsel des Aufenthaltsortes kann nach der Reform ein vom bisherigen Erbstatut abweichendes gelten. Dadurch kann eine Nachlassplanung vor allem durch ein Testament überholt sein oder sogar unwirksam werden.
Besonders tragisch ist das in Fällen, In denen der Erblasser wegen fehlender Testierfähigkeit nicht mehr in der Lage ist, seine Verfügung an das nun geltende Erbrecht anzupassen. Der Kommissionsvorschlag sieht aus Gründen des Vertrauensschutzes die Möglichkeit einer Rechtswahl in einem Testament vor.
Der Erblasser kann für sein Heimatrecht optieren. Für den Sonderfall des Erbvertrages ist ohnehin dieses Erbstatut maßgeblich. Der Erblasser kann jedoch nicht irgendein Erbrecht wählen. Er kann vielmehr seinen gesamten Nachlass nur dem Recht desjenigen Staates unterstellen, dessen Staatsangehörigkeit er zum Zeitpunkt der Rechtswahl besitzt. Bei einem späteren Staatsangehörigkeitswechsel muss eine neue Rechtswahl getroffen werden, wenn dies der Testator wünscht. Die Rechtswahl kann in einer Verfügung von Todes wegen zum Beispiel im Zusammenhang mit einer Erbeinsetzung oder einem Vermächtnis erfolgen, sie kann aber auch isoliert getroffen werden. In diesem Fall gilt sie dann für die gesetzliche Erbfolge.
Das europäische Nachlasszeugnis
Einen Erbschein zum Nachweis der Erbfolge, wie ihn das deutsche Recht vorsieht, kennen nur wenige Staaten der Europäischen Union. Aus deutscher Sicht wird deshalb die Einführung eines europäischen Nachlasszeugnisses begrüßt, mit dessen Hilfe die Stellung als Erbe, Vermächtnisnehmer, Nachlassverwalter oder Testamentsvollstrecker nachgewiesen werden kann.
Das Zeugnis soll mittels eines Standardformulars erteilt werden und Auskunft geben über das anwendbare Recht, die Art und Weise der Berufung , die Person des Erben, Erbquoten und die dem Nachlassberechtigten zustehenden Vermögenswerte geben. Es betrifft nur grenzüberschreitende Sachverhalte und kann neben dem nationalen Erbschein beantragt werden.
Das Nachlasszeugnis kann zur Eintragung in öffentliche Register wie zum Beispiel das Grundbuch verwendet werden. Zudem dient es bis zum Beweis des Gegenteils als Nachweis für die Stellung als Erbe, Nachlassverwalter oder Testamentsvollstrecker. Wer an eine im Nachlasszeugnis genannte Person eine Leistung erbringt, wird ferner in seinem guten Glauben an die Richtigkeit des Zeugnisses geschützt. Nach dem bisherigen Vorschlag hat das Zeugnis allerdings nur eine Geltungsdauer von drei Monaten; dies ist für die Praxis der Nachlassabwicklung zu kurz.
Unterschiedliche Formen und Gerechtigkeitsvorstellungen
Der Entwurf unterstellt auch die Wirksamkeit von Annahme und Ausschlagung der Erbschaft sowie die Beschränkung der Erben- und Vermächtnisnehmerhaftung dem Recht des letzten gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers. Die Formgültigkeit einer Verfügung von Todes wegen bestimmt sich dagegen weiterhin nach dem nationalen Recht. Dementsprechend kann in einem Mitgliedstaat eine Verfügung für wirksam erachtet werden, die in einem anderen für formunwirksam gehalten wird. Insofern kann es bei einem Erbfall trotz der Reform weiterhin zu unterschiedlichen rechtlichen Beurteilungen kommen. Die Parole "ein Nachlass - ein Recht" trifft deshalb nur beschränkt zu.
Auch für den Rentner mit einer Wohnung in München und auf Teneriffa wird es möglicherweise nicht einfacher, sondern komplizierter. Ist sein gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland und auf Teneriffa, wenn er sich im Sommer in Münchener Biergärten aufhält und im Winter auf Golfplätzen der spanischen Insel? Muss er die Tage der jeweiligen Ortsanwesenheit gleichsam mittels eines erbrechtlichen Fahrtenbuchs zählen?
Oder muss dies später der Richter nachholen? Was ist, wenn ein Mann in zwei Ländern jeweils eine Frau und ein Kind hat, bei denen er sich abwechselnd aufhält? Hatte der Erblasser das Apartment auf Korsika, in dem er sich zwei Drittel des Jahres aufhält, und wählt er sein Heimatrecht, müssen die französischen Gerichte nach deutschem Erbrecht entscheiden, und zwar auch über sein in Deutschland befindliches wesentliches Vermögen. Ohne Rechtswahl würde das Grundbuchamt in München das Schwabinger Grundstück nach französischem Erbrecht beurteilen und gleichzeitig aufgrund deutscher Grundbuchvorschriften umschreiben.
Der Vereinfachungseffekt ist nicht unmittelbar erkennbar.
Der ordre-public-Vorbehalt und seine Ausnahmen
Der Kommissionsvorschlag enthält ferner einen ordre public-Vorbehalt. Nationale Gerichte können in Fällen von Auslandsberührung das aufgrund des letzten gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers anwendbare Recht bei einem Widerspruch zu eigenen wesentlichen Rechtsgrundsätzen für unanwendbar erklären. Bedeutung hat dies vor allem dann, wenn ein Erblasser sein Heimatrecht wählt und das aufgrund des Aufenthaltsortes zuständige Gericht dieses für unvereinbar mit der eigenen Rechtsordnung ansieht.
Eine wichtige Ausnahme enthält allerdings bereits der Reformvorschlag: Eine Berufung auf nationale Wertvorstellungen ist ausgeschlossen, wenn das aufgrund des Aufenthaltsortes zur Anwendung kommende Erbstatut das Pflichtteils- oder Noterbrecht anders regelt als das am Ort des angerufenen Gerichts geltende Recht. Erhalten danach nahe Angehörige lediglich einen Geldanspruch, wie dies im deutschen Recht der Fall ist, kann dies unter Hinweis auf die sonst geltende dingliche Berechtigung nicht für unanwendbar erklärt werden.
Der ordre public-Vorbehalt führt wegen der in der Europäischen Union weiterhin bestehenden unterschiedlichen Wertvorstellungen gerade im Erbrecht dazu, dass trotz der Anknüpfung an den Aufenthaltsort eine übereinstimmende Beurteilung der Rechtslage kaum gewährleistet ist, wenn nicht ein Gericht des Staates mit dem anwendbaren Recht zuständig ist. Ohne eine Vereinheitlichung des materiellen Erbrechts und, noch drängender, der grundlegenden Rechtsprinzipien dürfte eine europäische Regelung zum Erbverfahrensrecht kaum zu der gewünschten Vereinheitlichung und Vereinfachung führen.
Der Autor Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz ist Notar in Regen/Zwiesel und Mitherausgeber des Praktikerhandbuchs Erbrecht und des Handkommentars Pflichtteilsrecht.
Herbert Grziwotz, Internationales Erbrecht: . In: Legal Tribune Online, 04.01.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2264 (abgerufen am: 03.11.2024 )
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