Wer per internationalem Haftbefehl des IStGH gesucht wird, der hat 120 Staaten gegen sich – theoretisch. Zuletzt konnte ein mutmaßlicher Völkermörder unbehelligt in der VIP-Loge das Fußball-WM-Finale anschauen.
Als das Finale der Fußballweltmeisterschaft 2018 zwischen Kroatien und Frankreich angepfiffen wurde, verfolgte Omar Al-Bashir das Spiel von der VIP-Loge aus, der Sudanese besuchte als Ehrengast das Moskauer Luschniki-Stadion. Von dem Besuch beim Finale existieren zwar keine bekannten Fotos, andere Aufnahmen zeigen den 74-jährigen Diktator händeschüttelnd und freudig lachend mit Präsident Putin.
Dabei wird Omar Al-Bashir als mutmaßlicher Völkermörder mit internationalem Haftbefehl verfolgt. Und kaum einer ist der internationalen Strafverfolgung so häufig entgangen wie der Mann, der oft in militärischen Uniformen auftritt, sich 2015 einen Palast errichten ließ und in einem der ärmsten Länder der Welt über ein geschätztes Reinvermögen von einer Milliarde US-Dollar verfügen soll.
Die internationale Fahndung nach ihm begann mit einem möglicherweise folgenschweren Fehler. Am 14. Juli 2008 kündigte der damalige Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) äußerst medienwirksam an, dass er einen Haftbefehl gegen Al-Bashir beantragt.
Der ehemalige Offizier Al-Bashir kam durch einen Putsch im Jahr 1989 an die Macht und ist seit 1993 Staatspräsident des Sudan. Ihm wird durch einige staatliche Stellen und NGOs eine Hauptschuld am sogenannten Darfur-Konflikt gegeben. Er soll als de jure und de facto Präsident und Oberbefehlshaber der Sudanesischen Armee verschiedene Völkermordshandlungen an insgesamt drei Ethnien zu verantworten haben, insbesondere Tötungen, schwere körperliche und psychische Schädigungen und die bewusste Schaffung von Lebensbedingungen, die die Zerstörung der Stämme zum Ziel hatten.
Ankündigung des Haftbefehls sorgt für internationale Aufmerksamkeit
Dem Antrag auf den Haftbefehl folgte die Vorverfahrenskammer des IStGH in den Jahren 2009 und 2010, indem sie zwei Haftbefehle gegen Al-Bashir, u.a. wegen des Vorwurfs des Völkermords, erließ. Auch über diese Entscheidungen und damit zusammenhängende Unstimmigkeiten innerhalb der Vereinten Nationen berichtete die internationale Presse über Wochen. Insbesondere Länder der Arabischen Liga und der Afrikanischen Union, aber auch China und Russland sprachen sich gegen den internationalen Haftbefehl aus, da er die Situation in Darfur politisch wieder verschärfen könnte.
Die rechtlichen Grundlagen für den Erlass eines Haftbefehls finden sich in Art. 58 IStGH-Statut, der ähnliche Voraussetzungen normiert, wie sie auch in der deutschen Strafprozessordnung zu finden sind. Danach muss zunächst ein "begründeter Verdacht" eines Völkerstrafrechtsverbrechens bestehen und zweitens ein Haftgrund der Fluchtgefahr, der Flucht oder der Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr.
Zur Durchsetzung der Haftbefehle kann der IStGH rechtlich gesehen auf die Mithilfe aller Staaten vertrauen, welche das Statut unterzeichnet haben. Dies sind momentan immerhin mehr als 120 Länder auf allen Kontinenten. Die Kooperationsverpflichtungen der Staaten sind dabei in den Artt. 86 ff. IStGH-Statut niedergeschrieben. Art. 89 des Statuts bestimmt eindeutig, dass die Mitgliedsstaaten Beschuldigte, gegen die ein Haftbefehl vorliegt, auf Verlangen festnehmen und überstellen müssen. Im Fall von Al-Bashir ist das immer wieder missglückt. Sein Fall zeigt prägnant die Rechtswirklichkeit, die in scharfem Gegensatz zur theoretischen Rechtslage steht.
Fehlgeschlagene Festnahme in Südafrika
Im Sommer 2015 sorgte die Causa Al-Bashir für einen der größten Skandale der Geschichte des IStGH. Al-Bashir war im Juni 2015 für ein Gipfeltreffen nach Südafrika gereist, wovon auch der IStGH erfahren hatte. Schnell wurde ein Festnahme-Ersuchen nach Pretoria geschickt und am 14. Juni 2015 entschied der zuständige High Court, dass der Gesuchte das Land vorerst nicht verlassen dürfe.
Allerdings reiste Al-Bashir bereits am nächsten Tag mit südafrikanischer Polizeieskorte ungehindert und unter direkter Missachtung der gerichtlichen Anordnung des High Court und dem Auslieferungsgesuch des IStGH in den Sudan aus.
Später stellte der IStGH in einem Beschluss klar, dass die südafrikanische Regierung gegen ihre Pflichten nach den Artt. 86 ff. IStGH-Statut verstoßen hatte. Auch der südafrikanische Supreme Court of Appeal entschied im Jahr 2016, dass Al-Bashir hätte verhaftet werden müssen und bezeichnete die Nichtfestnahme im Urteilstext als "Schande". Dieser günstige Moment zur Festnahme aber war verstrichen.
Eine Geschichte des Scheiterns
Die nicht erfolgte Festnahme in Südafrika war nur der Höhepunkt einer Geschichte des Scheiterns. Schon im Juli 2009 hatte die Afrikanische Union eine Resolution verabschiedet, wonach der Haftbefehl missachtet werden sollte. Seitdem führt der IStGH Buch über die bekannt gewordenen Reiseaktivitäten von Al-Bashir, welche auch auf der Internetseite des Gerichts verfolgt werden können.
So reiste Al-Bashir etwa im Jahr 2013 ungehindert nach China, in den Iran, nach Äthiopien oder Nigeria. Dabei ist Nigeria Mitgliedsstaat erster Stunde und auch Iran hat das Statut zwar unterzeichnet, bislang aber nicht ratifiziert. Diese fehlende Kooperationsbereitschaft führte schließlich dazu, dass die Chefanklägerin des IStGH im Dezember 2014 für eine Weile die Ermittlungen in diesem Fall einstellte. Berühmt geworden ist ihr zynischer Kommentar zu den nicht enden wollenden Rückschlägen: Es sei, "[…] als fahnde man nach Al Capone – aber bloß mit der höflichen Bitte an Capone, ob er sich nicht selbst stellen wolle […]".
Die jüngsten Reiseaktivitäten von Al-Bashir werden kaum noch von der Weltöffentlichkeit beachtet. So reiste der Diktator Ende Juni/Anfang Juli 2018 ohne Komplikationen nach Djibouti, Uganda, Mauretanien und in die Türkei (die ersten beiden Länder sind Mitgliedsstaaten des IStGH). In Djibouti nahm Al-Bashir am 04. Juli 2018 etwa trotz förmlichen Protests der Europäischen Union an der Eröffnungsfeier für eine Freihandelszone teil.
Wenige Tage später reiste Al-Bashir laut einem Pressebericht der sudanesischen Nachrichtenagentur nach Russland, traf sich mit Präsident Putin und verfolgte am 15.07.2018 das WM-Endspiel zwischen Frankreich und Kroatien. Die Fifa lehnte eine Stellungnahme zu diesem Vorkommnis ab. Auch von russischer Seite ist keine Erklärung bekannt. Als Nichtmitglied des IStGH wäre Russland nicht zu einer Festnahme verpflichtet gewesen, hatte 2005 als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrat aber dafür gestimmt, dass die Anklagebehörde des IStGH überhaupt die Ermittlungen im Darfur-Konflikt aufgenommen hatte. Der russische Vertreter hatte damals erklärt: "Alle Verantwortlichen für diese schwerwiegenden Verbrechen müssen bestraft werden".
Erfolgreiche Fahndungen mit geheimen Haftbefehl
In der Vergangenheit war es hingegen auch Internationalen Gerichtshöfen möglich, völkerstrafrechtliche Haftbefehle zu vollstrecken. Diese Haftbefehle wurden zu den Zeiten der Suchaktionen meistens geheim gehalten; viele Beschuldigte wussten nicht, dass nach ihnen gefahndet wurde.
Filmreif war etwa die Festnahme des ehemaligen serbischen Generals Momir Talić im Jahr 1999 in Wien, dem durch die Anklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien (JIStGH) Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Bosnienkonflikts zur Last gelegt wurden. Dieser war von der – nicht eingeweihten – OSZE in die österreichische Hauptstadt zu einer Konferenz eingeladen worden und sollte einen Vortrag halten. Das österreichische Justizministerium dagegen wusste sowohl über den geheimen Haftbefehl und die Anreise von Talić Bescheid, ließ ihn noch am Flughafen verhaften und nach Den Haag ausliefern.
Ebenso abenteuerlich gestaltete sich die Festnahme des Gefängnisleiters Dragan Nicolić, der ebenfalls vom JIStGH gesucht wurde. Am 20. April 2000 wurde er, als er sich im ehemaligen Jugoslawien aufhielt, von bis heute unbekannten Personen gewaltsam in einen Autokofferraum gesteckt und nach Bosnien und Herzegowina verbracht. Dort wurde er von dort stationierten Nato-Streitkräften festgenommen und ebenfalls nach Den Haag ausgeliefert. Das Tribunal kam zwar zum Schluss, dass die Festnahme illegal war, verurteilte ihn aber dennoch zu einer Haftstrafe von 20 Jahren, da in diesem Fall der Strafvollstreckung mehr Gewicht zugemessen wurde als der Rechtswidrigkeit der Festnahme.
Auch nach dem kürzlich freigesprochenen Jean-Pierre Bemba, dem ehemaligen kongolesischen Vize-Präsidenten, fahndete der IStGH mit einem geheimen Haftbefehl. Im Jahr 2008 lebte Bemba zumeist im Exil in Portugal, wurde dann aber am 24. Mai 2008 sehr überraschend in einem Vorort von Brüssel festgenommen.
Kur- und Klinikaufenthalte in Mitteleuropa als Chance
Natürlich kann man die Fälle von Bemba, Talić und Nicolić nicht mit dem von Al-Bashir vergleichen. Al-Bashir als amtierender Präsident eines Landes spielt in einer ganz anderen Liga als ein ehemaliger Politiker, General oder Gefängnisleiter. Dennoch muss sich die Anklagebehörde des IStGH die Frage gefallen lassen, wieso die Beantragung und am Ende der Erlass des Haftbefehls gegen Al-Bashir derart öffentlichkeitswirksam geschehen musste. Es drängt sich geradezu auf, dass die Anklagebehörde sich aus anderen Gründen – etwa zur Selbstprofilierung – in die Mitte der Weltaufmerksamkeit stellen wollte.
Wenn man sich andere Beispiele der Völkerstrafgeschichte anschaut, muss sich die Anklagebehörde insoweit zweitens die Frage gefallen lassen, ob es nicht klüger gewesen wäre, den Haftbefehl völlig geheim zu lassen. Es ist zum Beispiel nicht ungewöhnlich, dass afrikanische Despoten für Kur- und Klinikaufenthalte nach Mitteleuropa reisen und hier wäre es wohl nicht schwer gewesen, ambitionierte Staatsanwälte und Polizisten zu finden, die Al-Bashir ohne mit der Wimper zu zucken festgenommen hätten.
Der Autor Dr. Eike Fesefeldt ist Staatsanwalt aus Stuttgart.
Suche per internationalem Haftbefehl besser geheim?: . In: Legal Tribune Online, 07.09.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30363 (abgerufen am: 06.10.2024 )
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