1,06 Milliarden Euro – eine so hohe Geldbuße wie gegen den US-amerikanischen Mikroprozessorhersteller Intel hat die EU-Kommission noch gegen kein anderes Unternehmen wegen eines Verstoßes gegen das Kartellrecht verhängt. Stefan Meßmer und Jochen Bernhard erklären, warum das so viel gar nicht ist, das dicke Ende für Intel noch kommen kann und was die Entscheidung für andere Unternehmen bedeutet.
LTO: Das Gericht der Europäischen Union (EuG) hat die Strafe für Intel wegen kartellrechtswidriger Exklusivitäts- und Treuerabatte vor zwei Wochen bestätigt: 1,06 Milliarden Euro. Halten Sie die Höhe der Strafe für angemessen?
Meßmer: Absolut betrachtet ist diese Zahl natürlich überwältigend. Schaut man sich aber an, wofür die Kommission diese Strafe verhängt hat – Intel hat offenbar den Plan verfolgt, Wettbewerber vom Markt fernzuhalten –, dann liegt ein Bußgeld in Höhe von vier Prozent des weltweiten Konzern-Jahresumsatzes doch eher im mittleren Bereich.
LTO: Wird das hohe Bußgeld andere Unternehmen abschrecken?
Meßmer: Schon allein wegen der Prominenz des Falles und der Aufmerksamkeit, die er erlangt hat, werden sich andere Unternehmen jetzt ganz genau überlegen, ob sie ihre Praktiken wie bisher fortführen können oder ob Handlungsbedarf besteht.
Bernhard: Es wäre außerdem etwas kurz geschlossen, bei einer rein wirtschaftlichen Berechnung, ob sich rechtswidriges Verhalten lohnt oder nicht, nur das Bußgeld zu berücksichtigen. Denn man weiß ja nicht, ob vielleicht noch eine Schadensersatzklage eines Konkurrenten folgt. Im Fall von Intel könnte etwa der Wettbewerber Advanced Micro Devices (AMD) einen Anspruch auf entgangenen Gewinn haben.
LTO: Rechnen Sie mit einer solchen Klage?
Bernhard: In Deutschland ist das in einem anderen Fall bereits geschehen. Da ging es um die Werbezeitenvermarktung von Fernsehsendern. Das Oberlandesgericht (OLG) München hat die Klage allerdings abgewiesen (Urt. v. 21.02.2013, Az. U 5006/11 Kart). AMD wird vielleicht eher in den USA klagen, wo die Verfahren aufgrund des geringeren Prozesskostenrisikos etwas klägerfreundlicher ablaufen.
"Unternehmen dürfen das Strafrecht nicht vergessen"
LTO: Zurück zur inhaltlichen Entscheidung der Kommission. An welcher Stelle haben die europäischen Wettbewerbshüter gesagt, was Intel da macht, das ist rechtswidrig?
Meßmer: Intel hat zum einen den Computerherstellern Dell, Lenovo, HP und NEC Rabatte gewährt, und diese an die Bedingung geknüpft, dass sie nahezu alle benötigten Prozessoren bei Intel kaufen. Zum anderen hat Intel Zahlungen an Media-Saturn geleistet, die an die Bedingung geknüpft waren, dass nur Computer mit Intel-Prozessoren verkauft werden. Es wurden also Exklusivitäts- bzw. Treuerabatte sowohl auf der Vertriebsebene als auch auf Ebene der Computerhersteller gewährt.
Bernhard: Dabei hat Intel seine Marktmacht ausgenutzt, um andere Wettbewerber durch diese Rabattgestaltung vom Markt zu drängen. Das heißt zum einen, dass Rabatte unter anderen Bedingungen durchaus zulässig gewesen wären – etwa als Gegenleistung für guten Kundendienst oder besonders lange Servicezeiten. Zum anderen ergibt sich aus der Entscheidung, dass Unternehmen, die nicht marktbeherrschend sind, weiter auch solche Rabatte gewähren dürfen, die bei Intel beanstandet wurden. Allerdings darf man das Strafrecht nicht vergessen. In Deutschland ist Bestechung im Geschäftsverkehr nach § 299 Strafgesetzbuch (StGB) strafbar.
LTO: Haben sich denn Verantwortliche bei Intel strafbar gemacht?
Bernhard: Das EuG erörtert das nicht, das ist auch nicht seine Aufgabe. Ob die kartellrechtswidrigen Handlungen nach deutschem Recht strafbar sind, richtet sich danach, ob eine Zahlung oder ein Rabatt für Unternehmensangestellte im Hinblick auf den Abschluss eines konkreten Geschäfts geleistet wurden. Geldflüsse an Verhandlungspartner vor Abschluss eines langfristigen Exklusivvertrages etwa könnten strafrechtlich relevant sein. Bisher ist uns aber nicht bekannt, dass ermittelt wird.
"Das Urteil kann auch ein Argument in Rabattverhandlungen sein"
LTO: Die EU-Kommission hätte gar keine Einzelfall-Würdigung vornehmen müssen, um nachzuweisen, dass die Rabatte von Intel Wettbewerber aus dem Markt gedrängt haben, heißt es in der Entscheidung. Exklusivitätsrabatte eines marktbeherrschenden Unternehmens sind vielmehr bereits ihrer Art nach geeignet, den Wettbewerb zu beschränken. Wieso hat die Kommission trotz dieser ständigen europäischen Rechtsprechung eine entsprechende ökonomische Analyse durchgeführt?
Bernhard: Diese Verwaltungspraxis zielt darauf ab, Streitigkeiten wie diese nach Möglichkeit zu vermeiden. Außerdem sichert sich die Kommission damit zusätzlich ab.
Meßmer: Das EuG sagt dagegen, dass es auf eine ökonomische Analyse nicht ankommt. Das europäische Kartellrecht ist kein Verbraucherschutzrecht, sondern ein Wettbewerbsschutzrecht. Wenn Wettbewerber durch Rabatte bewusst aus dem Markt rausgehalten wurden, dann ist das nach dieser Logik per se kartellrechtswidrig.
LTO: Welche Auswirkungen wird das Urteil auf andere Unternehmen haben?
Meßmer: Rabatte- und Kundenbindungssysteme sind in der Praxis sehr wichtig. Deshalb müssen andere Unternehmen ihre Verträge vor allem bei Produkten mit hohen Marktanteilen unter die Lupe nehmen. Gerade für besonders erfolgreiche Produkte sind Treuerabatte tabu. Die Entscheidung kann aber natürlich auch Argument in Vertragsverhandlungen sein, wenn man bestimmte Rabatte nicht mehr gewähren will.
"Preise für Prozessoren könnten sich wegen der Rabatte günstiger entwickelt haben"
LTO: Haben die Rabatte denn den End-Verbrauchern geschadet? Werden sie die Auswirkungen der EuG-Entscheidung spüren?
Bernhard: Es gibt diesen Spruch, "Rabatt, Rabatt, das lass' dir sagen, wird immer vorher aufgeschlagen". In diesem Sinne könnte man davon ausgehen, dass das Preisniveau für Mikroprozessoren zwischen 2003 und 2007 höher war, als es bei einem funktionierenden Wettbewerb gewesen wäre. Wenn es mehrere Wettbewerber gibt, sinken die Preise nämlich in der Regel. Im Intel-Fall ist allerdings nicht auszuschließen, dass sich die Preise aufgrund der Rabatte sogar günstiger entwickelt haben.
Meßmer: Außerdem steht natürlich immer im Raum, ob sich eine Technologie möglicherweise schneller und besser entwickelt hätte, wenn es mehrere leistungsfähige Wettbewerber gegeben hätte.
LTO: Vielen Dank für das Gespräch.
Dr. Stefan Meßmer ist Partner, Dr. Jochen Bernhard ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Menold Bezler Rechtsanwälte in Stuttgart. Beide beraten im Kartell- und Beihilfenrecht.
Das Interview führte Claudia Kornmeier.
Stefan Meßmer und Jochen Bernhard, Nach der Rekord-Geldbuße für Intel: . In: Legal Tribune Online, 27.06.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12372 (abgerufen am: 09.11.2024 )
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