Sanierung von Unternehmen, Restschuldbefreiung von Verbrauchern und Konzerninsolvenzen – der Gesetzgeber hat sich eine umfassende Reform des Insolvenzrechts vorgenommen. Die erste Stufe ist nun seit zwei Jahren in Kraft. Der Insolvenzrechtler Johan Schneider erklärt, warum die Reform zu mehr Planbarkeit für Schuldner geführt hat und er sich ein nicht-öffentliches Sanierungsverfahren wünscht.
LTO: Vor zwei Jahren trat die erste Stufe der Insolvenzrechtsreform in Kraft. Der Gesetzgeber wollte damit die Sanierung von Unternehmen erleichtern. Ist ihm das gelungen?
Schneider: Ja, in weiten Teilen. Vor allem ist es gelungen, die Eigenverwaltung und das Insolvenzplanverfahren zu stärken. Vieles erleichtert hat vor allem die Einführung des Schutzschirmverfahrens, das eingeleitet werden kann, wenn das Unternehmen noch zahlungsfähig ist. Mit diesem Verfahren können Sanierungsinstrumente wie der Insolvenzplan oder die Eigenverwaltung, die es auch früher schon gab, einfacher angewandt werden.
LTO: Ist dadurch tatsächlich häufiger als zuvor eine Rettung möglich?
Schneider: Das lässt sich derzeit statistisch noch nicht sagen. Sicherlich gibt es Beispiele für erfolgreiche Schutzschirmverfahren. Wie die nach altem Recht gelaufen wären, ist aber schwer zu beurteilen.
Auf jeden Fall sind die Verfahren planbarer geworden, weil der Insolvenzverwalter nicht mehr alleine vom Gericht ausgewählt und eingesetzt wird. Im Schutzschirmverfahren kann der Schuldner selbst einen Sachwalter vorschlagen. Das Gericht kann davon nur abweichen, wenn es Zweifel an der Unabhängigkeit oder Eignung des Sachwalters hat.
Bei Regelinsolvenzverfahren haben die Gläubiger ab einer bestimmten Größenordnung außerdem mehr Mitspracherechte bei der Auswahl der Insolvenzverwalter. Wenn sich etwa ein vorläufiger Gläubigerausschuss einstimmig für einen bestimmten Verwalter entscheidet, darf das Gericht diesen nur aus den genannten Gründen ablehnen.
"Keine Kungelei bei der Auswahl der Sachwalter"
LTO: Führt die Beteiligung von Schuldner und Gläubiger an der Auswahl des Sachwalters nicht zwangsläufig zu Zweifeln an dessen Unabhängigkeit?
Schneider: Es wird durchaus befürchtet, dass da gekungelt werden könnte. Meine Erfahrungen aus der Praxis bestätigen das allerdings nicht. Es ist vielmehr von Vorteil, wenn die Zusammenarbeit zwischen dem Geschäftsführer des Schuldnerunternehmens und dem Sachwalter gut funktioniert. Reibungsverluste bei der Zusammenarbeit sind schlecht für die Sanierung – Kommunikation ist der entscheidende Faktor. Es ist daher wichtig, dass man sich sein Team selbst zusammenstellen kann.
Bei einem Schutzschirmverfahren bildet in der Regel ein Restrukturierungskonzept die Grundlage: Man muss eine Idee haben, wie das Unternehmen saniert werden kann. Dafür braucht man einen Sachwalter, der dieses Sanierungskonzept mitträgt, statt eigene Ideen durchzusetzen, die dann im Fall der Fälle im Gegensatz zum Sanierungskonzept stehen. Früher hatten viele Unternehmen unter anderem deshalb Hemmungen, einen Insolvenzantrag zu stellen, weil sie nicht wussten, wen das Gericht als Insolvenzverwalter bestimmen würde.
Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass auch der vom Schuldner ausgewählte Sachwalter eine Aufsichtsfunktion hat. Die muss er wahrnehmen, denn er hat vor allem die Interessen der Gläubiger zu berücksichtigen.
"Ein nicht-öffentliches Sanierungsverfahren außerhalb der Insolvenz wäre gut"
LTO: Sie haben gesagt, dem Gesetzgeber sei die Reform des Insolvenzrechts nur in Teilen gelungen. Was hätte er noch besser machen können?
Schneider: Ein nicht-öffentliches Sanierungsverfahren außerhalb der Insolvenz wäre gut. Denn auch ein Schutzschirmverfahren ist ein Insolvenzverfahren. Die Unternehmen kommunizieren dies zwar als Sanierungsverfahren oder Gläubigerschutz. Aber es bleibt dabei: Ein Insolvenzantrag muss gestellt werden. In der Regel nach drei Monaten wird dann das Insolvenzverfahren eröffnet. Und dieses Verfahren ist öffentlich.
Das führt in der Regel dazu, dass Lieferanten zurückhaltend werden und Vorkassen verlangen. Kunden werden ebenfalls vorsichtig und bezahlen etwa mit Verzögerung. Das ist alles in Ordnung, solange das Unternehmen finanziell gut ausgestattet ist, also mit einem gewissen Liquiditätspuffer in das Verfahren geht. Wenn das nicht der Fall ist, bricht der Finanzierungskreislauf zusammen – und das schadet der Sanierung.
"Dauerbaustelle InsO Grund für die Reform"
LTO: Die Reform des Insolvenzrechts besteht insgesamt aus drei Stufen. 2013 wurde die Reform der Verbraucherinsolvenz verabschiedet, im dritten Teil wird es um Konzerninsolvenzen gehen. Was hat den Gesetzgeber zu einer solch ausführlichen Überarbeitung veranlasst?
Schneider: Vor allem Verbesserungsvorschläge und Kritik aus der Praxis. 1999 gab es eine grundlegende Reform: Aus der Konkursordnung wurde die Insolvenzordnung. An dieser ist seitdem immer wieder gearbeitet worden. Man hat da schon von der "Dauerbaustelle InsO" gesprochen. Im ESUG, dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen, hat der Gesetzgeber die gesamten Verbesserungsvorschläge und die Kritik der vergangenen Jahre aufgegriffen.
Im Unternehmensinsolvenzrecht ging es darum, Instrumente, die das Insolvenzrecht bereits vorsah, attraktiver zu gestalten, damit sie häufiger genutzt werden und Unternehmen etwa früher einen Insolvenzantrag stellen.
Bei der Verbraucherinsolvenz wollte der Gesetzgeber das Verfahren an andere europäische Länder angleichen. In England und Frankreich galten nämlich kürzere Fristen für eine Restschuldbefreiung. Das hat zu einem Insolvenztourismus in Europa geführt, den eine Anpassung der Fristen nun vermeiden soll.
Beim Konzerninsolvenzrecht sind die Probleme sowohl nationaler als auch grenzüberschreitender Natur. Bei Konzernen bestehen häufig unterschiedliche Gerichtsstände. Das führt zum Teil dazu, dass für jede Gesellschaft ein eigener Insolvenzverwalter bestellt wird, womöglich noch aus unterschiedlichen Kanzleien. Und jeder hat dann andere Ideen und Pläne, was der Sanierung des Gesamt-Konzerns in der Regel schadet. Dafür soll es nun einen Koordinierungsverwalter geben. Zudem sollen die gerichtlichen Zuständigkeiten konzentriert werden.
LTO: Vielen Dank für das Gespräch.
Dr. Johan Schneider ist Partner und Fachanwalt für Insolvenzrecht bei Heuking Kühn Lüer Wojtek. Er berät und vertritt nationale und internationale Unternehmen auf allen insolvenzrechtlichen Gebieten.
Das Interview führte Claudia Kornmeier.
Zwei Jahre Insolvenzrechtsreform: . In: Legal Tribune Online, 07.03.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11261 (abgerufen am: 06.12.2024 )
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