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Inhaftierter WikiLeaks-Gründer: Wohin die Reise gehen kann

von Kai Peters

10.12.2010

Seit der Verhaftung des WikiLeaks-Gründers Julian Assange in England schießen Spekulationen ins Kraut. Seine Anwälte sprechen von einer "Farce" und einem "politischen Trick". Letztlich gehe es um seine Auslieferung an die USA, um ihn dort wegen der Veröffentlichung vertraulicher Dokumente zur Rechenschaft zu ziehen. Was ist von solchen Mutmaßungen zu halten? Von Kai Peters.

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Zugegeben: Die zeitliche Nähe zwischen den Veröffentlichungen bei WikiLeaks und Assanges Verhaftung in England macht misstrauisch. Das Verhalten der schwedischen Justiz, zunächst einen Haftbfefehl wegen Vergewaltigung zu erlassen, diesen sodann jedoch sofort zurückzuziehen, um ihn nach einigen Wochen erneut zu erlassen, wirkt ebenfalls verdächtig.

Bei Lichte besehen erscheint ein amerikanisches Komplott mit dem Ziel, die Übergabe des WikiLeaks-Gründers an die USA zu erreichen, jedoch eher unwahrscheinlich. Zweifel sind bereits deshalb angebracht, weil die Übergabe von England an Schweden nach gänzlich anderen Regeln funktioniert als eine mögliche Auslieferung von Schweden an die USA.

Schweden beruft sich auf Europäischen Haftbefehl

Grundlage des schwedischen Übergabeverlangens ist ein so genannter Europäischer Haftbefehl. Dabei handelt es sich um ein Instrument der Rechtshilfe, das auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung basiert und die Auslieferung zwischen den EU-Mitgliedsstaaten beschleunigen und vereinfachen soll. Eingeführt wurde der Europäische Haftbefehl per Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002, zwischenzeitlich haben ihn sämtliche EU-Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt.

In der Bundesrepublik hatte das Bundesverfassungsgericht die entsprechenden Regelungen allerdings zunächst für verfassungswidrig erklärt, unter anderem weil der deutsche Gesetzgeber es versäumt hatte, bei der Umsetzung bestimmte Gestaltungsspielräume zugunsten der eigenen Staatsbürger auszunutzen.

Der Erlass eines Europäischen Haftbefehls setzt zunächst einmal das Bestehen eines nationalen Haftbefehls gegen den Verfolgten voraus. Das bedeutet, ein Gericht des so genannten Ausstellungsstaates muss sich davon überzeugt haben, dass die Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls nach nationalem Recht gegeben sind. Dies ist wichtig, weil die Gerichte des so genannten Vollstreckungsstaates, die über die Übergabe zu entscheiden haben, nach dem Konzept des Europäischen Haftbefehls grundsätzlich auf die Richtigkeit dieser Entscheidung vertrauen müssen. Fällt die Tat in einen bestimmten Deliktskatalog, wird - anders als im herkömmlichen Auslieferungsverfahren - insbesondere nicht überprüft, ob der Sachverhalt um den es geht, auch im Übergabestaat strafbar wäre (so genannte beiderseitige Strafbarkeit).

In dem Deliktskatalog findet sich unter anderem der Vorwurf der Vergewaltigung, wie er durch die schwedischen Ermittlungsbehörden gegen Julian Assange erhoben wird. Was unter einer Vergewaltigung zu verstehen ist, wird in den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten durchaus unterschiedlich beurteilt. Maßgeblich soll deshalb das Rechtsverständnis des jeweiligen Ausstellungsstaates sein. Die Frage, ob hier eine Vergewaltigung gegeben ist und die Überprüfung der beiderseitigen Strafbarkeit damit entfällt, beantwortet sich mithin ausschließlich nach schwedischem Recht.

Normalerweise geringe Verteidungsaussichten

Wollten die Anwälte von Julian Assange eine Überprüfung der beiderseitigen Strafbarkeit durch die englischen Gerichte erreichen, müssten sie demnach darlegen, dass der behauptete Sachverhalt schon nach schwedischem Recht keine Vergewaltigung darstellt. Kein leichtes Unterfangen.

Einwände, die auf die fehlende Glaubhaftigkeit der beiden Belastungszeuginnen abzielen, würden in diesem Zusammenhang wohl nicht gehört. Die Überprüfung des Tatverdachts ist im Rahmen des Europäischen Haftbefehls grundsätzlich ausgeschlossen.

Von Ausnahmefällen abgesehen sind die Aussichten des Verfolgten, die Auslieferung aufgrund eines Europäischen Haftbefehls zu verhindern, begrenzt. Es wird für Assanges Anwälte schwierig werden, durchgreifende Argumente gegen eine Übergabe an die schwedischen Behörden zu finden. Viel Zeit haben sie nicht, denn das Verfahren soll laut Rahmenbeschluss im Regelfall binnen 60 Tagen abgeschlossen sein.

Dass der WikiLeaks-Gründer die Zeit bis zur Entscheidung in Haft verbringen muss, ist damit freilich nicht gesagt. Es obliegt den englischen Gerichten, über die Haftfrage und gegebenenfalls die Möglichkeit einer Kautionsgestellung für die Dauer des Verfahrens gesondert zu entscheiden.

Auslieferung an die USA in weiter Ferne

Ob die Befürchtungen, Julian Assange könnte von Schweden unmittelbar an die USA weitergereicht werden, begründet sind, steht auf einem gänzlich anderen Blatt. Hierfür bedürfte es zunächst eines formalen Auslieferungsersuchens der USA. Darin müsste die Tat, die Herrn Assange in den USA vorgeworfen wird, genau bezeichnet sein, gegebenenfalls unter Vorlage des amerikanischen Haftbefehls. Angeblich ermitteln die amerikanischen Behörden wegen Spionagevorwürfen auf Grundlage des Espionage Act von 1917. Ob ein Haftbefehl gegen Assange besteht, ist nicht bekannt.

Die rechtlichen Voraussetzungen einer möglichen Auslieferung richten sich im Einzelnen nach dem zwischen Schweden und den USA gültigen Auslieferungsvertrag. Ob eine Auslieferung wegen der in Rede stehenden Spionagevorwürfe danach grundsätzlich zulässig wäre, lässt sich gegenwärtig noch nicht sagen. Die schwedischen Behörden sollen allerdings bereits erklärt haben, dass eine Auslieferung wegen politischer oder militärischer Delikte nicht in Betracht komme. Dessen ungeachtet hätte das Auslieferungsersuchen die erwähnte Hürde der beiderseitigen Strafbarkeit zu nehmen; bei Spionagevorwürfen kann dies durchaus problematisch sein.

In jedem Fall wird man davon ausgehen dürfen, dass die Verteidigungsaussichten von Assange gegen ein amerikanisches Auslieferungsersuchen erheblich besser wären, als gegen den Europäischen Haftbefehl. Ein mögliches Auslieferungsverfahren würde sich außerdem über Monate hinziehen.

Eine Auslieferung an die USA könnte dem WikiLeaks-Gründer im Übrigen auch dann drohen, wenn seine Anwälte eine Übergabe an Schweden erfolgreich verhindern könnten. Denn die USA wären selbstverständlich nicht gehindert, ein entsprechendes Auslieferungsersuchen auch an England zu richten. Voraussetzung hierfür wäre indes ebenfalls, dass sich die gegen ihn in den USA erhobenen Vorwürfe in der erforderlichen Weise konkretisiert haben. Dies scheint gegenwärtig jedoch nicht der Fall zu sein.

Eine Verschwörung mit dem Ziel, Herrn Assange so schnell wie möglich in die USA zu verbringen, erscheint nach allem eher fernliegend. Wollte man dies anders sehen, so wäre die Verschwörung vor allem eines: Verdammt schlecht vorbereitet.

Kai Peters ist Rechtsanwalt und Partner der Strafrechtskanzlei Ignor & Partner in Berlin. Er ist unter anderem auf internationales Strafrecht spezialisiert.

 

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Kai Peters, Inhaftierter WikiLeaks-Gründer: Wohin die Reise gehen kann . In: Legal Tribune Online, 10.12.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2130/ (abgerufen am: 01.02.2023 )

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