Unter dem Eindruck der dramatischen Entwicklung in den arabischen Staaten hat die Weltöffentlichkeit von einem anderen Ereignis Anfang März nur am Rande Notiz genommen: der Anordnung von US-Präsident Obama, dass das Militärlager auf Guantánamo Bay fortgeführt wird. Christian Tomuschat mit einem Rückblick auf fast zehn Jahre rechtlich höchst umstrittene Anti-Terror-Politik.
Seit Januar 2002 halten die Behörden der USA Gefangene in dem Militärlager Guantánamo auf Kuba fest; heute noch in einer Größenordnung von weniger als 200 Personen, während das Lager ursprünglich etwa 600 Personen einschloss. Die ersten Häftlinge wurden während des Feldzugs in Afghanistan festgenommen; später folgten angeblich Terrorverdächtige, die vor allem in anderen Ländern Asiens und Afrikas aufgegriffen worden waren.
Die Wahl des Haftortes war auf Guantánamo gefallen, weil nach der damaligen Rechtsprechung des US Supreme Court (Johnson v. Eisentrager, 339 U.S. 763) die Grundrechte der amerikanischen Verfassung für feindliche Ausländer außerhalb des eigentlichen amerikanischen Staatsgebietes keine Anwendung fanden. Der Geltung internationaler Menschenrechte, insbesondere des von den USA ratifizierten Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte mit seinen Freiheitsgarantien, glaubte man dadurch entzogen zu sein, dass der Pakt in einer missverständlichen Klausel (Art. 2 Abs. 1) seine Reichweite auf inländische Sachverhalte beschränkt.
Die amerikanischen Behörden vertraten auch die Ansicht, dass die im internationalen humanitären Recht vorgesehenen Rechtsgewährleistungen für Kriegsgefangene deswegen beiseite gelassen werden könnten, weil die in amerikanischen Gewahrsam gelangten Mitglieder der afghanischen Taliban-Truppen nicht die für einen Angehörigen offizieller militärischer Verbände notwendige Kennzeichnung aufgewiesen hätten und deswegen als "unlawful combatants" ("unrechtmäßige Kombattanten") anzusehen seien.
Das bewusst angestrebte Ziel war es also, ein "schwarzes Loch" zu schaffen, in dem die Häftlinge völlig rechtlos gestellt sein würden.
Bush-Administration torpedierte Entscheidung des Supreme Court
Anfänglich war es allein schon wegen der geografischen Lage und der absoluten Herrschaft des Militärs über den Haftort gar nicht möglich, auch nur einen Kontakt mit den Gefangenen herzustellen. Nach einigen Monaten gelang es aber vor allem bestimmten Menschenrechtsorganisationen, namentlich dem Center for Constitutional Rights in New York, Verbindungen herzustellen und von einigen der Gefangenen ein Mandat für ihre Verteidigung zu erhalten.
Während die unteren Bundesgerichte durchweg ihre Zuständigkeit für die Entscheidung von Haftprüfungsanträgen ablehnten, rang sich der Supreme Court in seinem Urteil vom 28. Juni 2004 dazu durch, den Klägern ein Recht auf Zugang zur Justiz nach den Grundsätzen des habeas corpus zuzugestehen (Rasul v. Bush, 542 U.S. 466).
Da die amerikanische Regierung auf jeden Fall verhindern wollte, dass die Kläger ihren Fall vor die ordentlichen Gerichte in den USA bringen konnten, ließ sie durch den Kongress zwei Gesetze verabschieden, die ein Sonderregime mit verkürzten Rechten vorsahen, zunächst den Detainee Treatment Act of 2005. Dieses Gesetz hob in direktem Widerspruch zur Entscheidung des Supreme Court die Zuständigkeit der Bundesgerichte für jedes Rechtsmittel der Lagerinsassen von Guantánamo auf.
Auch in Zukunft Verfahren vor der Militärkommission
Nachdem dieser Rechtsmittelausschluss in dem Urteil Hamdan v. Rumsfeld vom 29. Juni 2006 (548 U.S. 557) für teilweise ungültig erklärt worden war, erließ der Kongress am 28. September 2006 den Military Commissions Act (MCA), der ein besonderes militärrechtliches Verfahren für die strafrechtliche Verfolgung schuf und den durch die Rechtsprechung durchlöcherten Rechtsmittelausschluss erneuerte.
Die sogleich nach seinem Amtsantritt von Präsident Obama getroffene Entscheidung, das Gefangenenlager Guantánamo innerhalb eines Jahres zu schließen, konnte nicht durchgesetzt werden, weil der Kongress im Mai 2009 per Gesetz die dazu notwendigen Gelder verweigerte. Es fand sich auch kein Bundesstaat, der bereit gewesen wäre, die Gefangenen aufzunehmen.
Es wird also weiterhin Verfahren in Guantánamo vor den Militärkommissionen geben, was Präsident Obama im Januar 2011 durch die Unterzeichnung des 2011 Defense Authorization Bill bestätigte. In diesen Verfahren sind die prozessualen Rechte der Angeklagten gegenüber ordentlichen Strafverfahren wesentlich verkürzt: Sie haben keinen vollen anwaltlichen Beistand, dafür sind Beweise aus zweiter Hand ("hearsay evidence") zugelassen sowie solche Beweise, die durch "harsche Verhörsmethoden" erpresst worden sind, und nach internationaler Auffassung Folter darstellen können.
Erste entsprechende Verfahren sind schon eingeleitet worden. Dabei liegt der Schluss nahe, dass die USA mit dieser diskriminierenden Sonderbehandlung nach wie vor ihre Verpflichtungen aus dem internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte verletzen.
Supreme Court nährt Hoffnung auf weitere Freilassungen
Den Gefangenen, gegen die kein belastbares Beweismaterial vorliegt, die aber als mutmaßliche Terroristen angesehen werden, drohte die Gefahr lebenslanger Inhaftierung nach freiem Ermessen der Militär- und Sicherheitsbehörden. Für die Betroffenen scheint es aber Hoffnung zu geben: In der Entscheidung Boumediene v. Bush und Al Odah v. United States vom 12. Juni 2008 (553 U.S. 723) hat der Supreme Court die Anwendbarkeit des habeas corpus bejaht und in den beiden ihm vorliegenden Fällen die Sache an die Instanzgerichte zur Einzelprüfung zurückverwiesen.
Nach aktuellem Stand ist allerdings erst in einem einzigen dieser Fälle das Verfahren abgeschlossen worden. Der zuständige Richter des Bundesdistriktgerichts in Washington ordnete am 20. November 2008 die Entlassung von fünf der sechs Häftlinge an, die sieben Jahre in dem Lager hatten verbringen müssen.
Dem gegenüber steht eine Vielzahl weiterer Verfahren mit dem Ziel der Haftentlassung, die gegenwärtig anhängig sind. Irgendwann wird der Supreme Court um eine auch im Detail klare Entscheidung nicht mehr umhin kommen.
Der Autor Prof. Dr. Christian Tomuschat ist emeritierter Professor für öffentliches Recht, Völker- und Europarecht an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er ist außerdem ehemaliges Mitglied des UN-Menschenrechtsausschusses und der UN-Völkerrechtskommission.
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Inhaftierte Terrorverdächtige: . In: Legal Tribune Online, 22.03.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2832 (abgerufen am: 07.10.2024 )
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