Auf Initiative des kleinen Pazifikstaats Vanuatu wird der IGH ein Rechtsgutachten zu den Pflichten der Länder zum Klimaschutz erstatten. Am Montag beginnen die Anhörungen in Den Haag – mit einer Rekordzahl an teilnehmenden Staaten.
Gut sieben Monate nach dem historischen Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall der Klimaseniorinnen wird sich auch der Internationale Gerichtshof (IGH) zum ersten Mal mit dem Klimawandel beschäftigen. Die Richterinnen und Richter haben sich jedenfalls gut vorbereitet: Ende November trafen sie sich mit Wissenschaftlern des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), der regelmäßig Berichte über den aktuellen Stand der Wissenschaft zum Klimawandel veröffentlicht.
Zurück geht das Ganze auf eine Initiative des kleinen Pazifikstaats Vanuatu, der wie kaum ein anderes Land bereits jetzt von den Folgen des Klimawandels betroffen ist. Gemeinsam mit 17 anderen Staaten, darunter Deutschland, Rumänien und Portugal, hatte Vanuatu federführend einen Entwurf eingebracht, im März des vergangenen Jahres verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen dann die entsprechende Resolution (A/RES/77/276). LTO berichtete.
In einem Rechtsgutachten soll der IGH jetzt unter anderem die Frage klären, welche völkerrechtlichen Verpflichtungen die Staaten haben, um heutige und zukünftige Generationen vor den Folgen des Klimawandels zu schützen. 91 Staaten und Organisationen haben dazu schriftliche Stellungnahmen eingereicht – so viele wie noch nie in einem Gutachtenverfahren vor dem IGH.
Die Anhörungen finden vom 2. bis zum 13. Dezember 2024 in Den Haag statt. Teilnehmen werden 98 Staaten und zwölf internationale Organisationen – ebenfalls eine Rekordzahl. Sie haben jeweils eine halbe Stunde Zeit, um ihre Rechtsauffassung darzulegen. Deutschland ist bereits am ersten Tag an der Reihe, plädieren wird der renommierte Völkerrechtler Prof. Dr. Andreas Zimmermann von der Universität Potsdam.
"Klimawandel beeinflusst die Umwelt, in der wir leben"
Nach Art. 65 Abs. 1 IGH-Statut kann der IGH auf Antrag der berechtigten Organe beziehungsweise Organisationen zu jeder Rechtsfrage ein Gutachten erstellen. Antragsberechtigt sind nach Art. 96 Abs. 1 der UN-Charta unter anderem die Generalversammlung und der Sicherheitsrat.
Im Kern hat die Generalversammlung dem IGH zwei Fragen vorgelegt. Zunächst geht es darum, welche völkerrechtlichen Verpflichtungen die Staaten haben, um die Umwelt vor den Treibhausgasemissionen zu schützen, und zwar sowohl gegenüber heutigen als auch gegenüber zukünftigen Generationen. Solche Pflichten könnten sich unter anderem aus den zwei Internationalen Pakten über bürgerliche und politische Rechte beziehungsweise wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, dem UN-Rahmenabkommen über Klimaänderungen und vor allem dem Pariser Klimaabkommen von 2015 ergeben. Darin hatten die Staaten vor allem das Ziel vereinbart, die Klimaerwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter auf möglichst 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.
Weder der Zivilpakt noch der Sozialpakt enthalten ausdrückliche Regelungen eines Rechts auf eine saubere Umwelt. Die UN-Generalversammlung hat zwar im Jahr 2022 ein solches Recht erstmals anerkannt, rechtsverbindlich ist die Resolution allerdings nicht. Jedoch regeln die beiden Pakte etwa das Recht auf Leben, Gesundheit und einen angemessenen Lebensstandard, wozu auch Unterkunft und Nahrung gehören. Auch diese Rechte könnten durch die Auswirkungen des Klimawandels wie Hitzewellen, starke Regenfälle, Überschwemmungen und Wirbelstürme beeinträchtigt sein. Ein Inselstaat wie Vanuatu ist durch den steigenden Meeresspiegel in seiner Existenz bedroht. "Es geht um unsere Lebensgrundlage, denn der Klimawandel beeinflusst das Wetter, unser Land und unser Meer und damit die Umwelt, in der wir leben", sagte Vanuatus Generalstaatsanwalt Arnold Kiel Loughman bei einem Treffen der Vertreter von fünf Pazifikstaaten zur Vorbereitung auf die IGH-Anhörung.
Menschenrechtliche Pflichten gegenüber Bewohnern der Pazifikstaaten?
Die zweite Frage zielt auf die konkreten Rechtsfolgen für die Staaten ab, die durch ihre Handlungen und Unterlassungen der Umwelt erhebliche Schäden zugefügt haben. Zum einen geht es um Verletzungshandlungen gegenüber Staaten wie den Pazifikstaaten, die aufgrund geographischer Gegebenheiten und ihres Entwicklungsstandes besonders von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind. Zum anderen geht es aber auch um die Rechtsfolgen gegenüber Völkern und Einzelpersonen. Sind die Staaten ihnen gegenüber zum Schadensersatz verpflichtet?
Es bleibt abzuwarten, wie klar sich die 15 Richterinnen und Richter des IGH zu diesen Fragen positionieren werden. Spannend ist insbesondere die Frage, ob Staaten wie Deutschland, Frankreich und Spanien auch extraterritoriale Verpflichtungen gegenüber Menschen in den Pazifikstaaten haben, also Menschen, die nicht auf ihrem Hoheitsgebiet wohnen. Ebenfalls relevant: Kann man einen Zurechnungszusammenhang zwischen den Treibhausgasemissionen und dem Anstieg des Meeresspiegels in Vanuatu herstellen?
Auch die Frage, inwiefern Verpflichtungen gegenüber den zukünftigen Generationen bestehen können, also gegenüber Menschen, die noch gar nicht geboren sind, wird der IGH zu klären haben. Das Umweltgrundrecht in Art. 20a Grundgesetz bezieht ausdrücklich auch zukünftige Generationen in die staatliche Verantwortung ein. Wird der IGH die Verantwortung ähnlich weit fassen?
Gutachten kann zur Rechtsfortbildung beitragen
Erst im Mai hatte der Internationale Seegerichtshof mit Sitz in Hamburg – ebenfalls auf Initiative kleiner Inselstaaten – ein Rechtsgutachten zum Schutz der Meeresumwelt vor den Folgen des Klimawandels veröffentlicht, LTO berichtete. Darin stellte er fest, dass der menschengemachte Ausstoß von Treibhausgasen eine Verschmutzung der Meeresumwelt im Sinne des UN-Seerechtsübereinkommens ist. Daher forderte er unter anderem die 170 Vertragsstaaten, darunter Deutschland und die EU, dazu auf, ihre Emissionen zu reduzieren.
Wann der IGH sein Gutachten veröffentlicht, steht noch nicht fest. Aufgrund der Vielzahl der beteiligten Staaten hatte er auch die Frist zur Einreichung der schriftlichen Stellungnahmen mehrmals verlängert.
Genau wie das Gutachten des Seegerichtshofes ist ein Gutachten des IGH zwar nicht rechtsverbindlich, entfaltet aber politische Signalwirkung und kann zur Rechtsfortbildung beitragen. Es wird darlegen, inwiefern sich aus den geltenden völkerrechtlichen Verträgen Verpflichtungen der Staaten zum Klimaschutz ergeben und welcher Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und Menschenrechten besteht.
Der Klimawandel ist damit endgültig vor den internationalen Gerichten angekommen. Insofern wird er nicht nur das Leben zukünftiger Generationen prägen, sondern auch das (Völker-)Recht.
IGH verhandelt zum Klimawandel: . In: Legal Tribune Online, 29.11.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55998 (abgerufen am: 09.12.2024 )
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