Huthi-Angriffe im Roten Meer: Welche Regeln gelten für einen Ein­satz der Bun­des­wehr?

Gastbeitrag von Prof. Dr. Felix Lange

19.01.2024

Die EU plant, sich an der Marinemission der USA im Roten Meer zu beteiligen. Auch Deutschland hat seine grundsätzliche Bereitschaft erklärt. Welche verfassungsrechtlichen und völkerrechtlichen Grenzen dabei gelten, erläutert Felix Lange.

Der Terrorangriff der Hamas auf Israel führt auch jenseits des Gazastreifens zu militärischen Auseinandersetzungen. Seit Wochen greifen Huthi-Rebellen Handelsschiffe in der Meerenge Bab-al-Mandab und im Roten Meer mit Drohnen und Raketen an, um sie an der Durchfahrt in Richtung Israel zu hindern. Laut den Huthi soll Israel damit zur Beendigung seiner Militäroperationen im Gazastreifen gedrängt werden.

Als Reaktion auf die Huthi-Angriffe haben mehrere große Reedereien Fahrten durch die betroffenen Gebiete ausgesetzt und wählen nun den deutlich längeren (und teureren) Weg um das Kap der Guten Hoffnung an der südlichen Spitze Afrikas. Die USA haben Mitte Dezember die "Operation Prosperity Guardian" ins Leben gerufen, die als militärischer Einsatz die Freiheit der Schifffahrt im Roten Meer gewährleisten soll. Seitdem greifen sie zuletzt auch im Verbund mit dem Vereinigten Königreich Stellungen der Huthi auf dem jemenitischen Festland an. 

Nach dem US-amerikanischen Verteidigungsministerium haben sich Staaten wie Bahrain, Frankreich, Großbritannien, Italien, Kanada, die Niederlande, Norwegen und die Seychellen bereit erklärt, die USA zu unterstützen. Am 22. Januar sollen die EU-Außenminister über eine mögliche Beteiligung der Europäischen Union (EU) an der Marinemission beraten

Auch führende Koalitionspolitikerinnen und -politiker in Deutschland halten eine Beteiligung an der Operation grundsätzlich für sinnvoll. In einer gemeinsamen Presseerklärung vom 3. Januar 2024 hat die Bundesregierung mit den USA und zehn weiteren Staaten die "illegalen Angriffe" der Huthi-Rebellen verurteilt und als "unmittelbare Bedrohung der Freiheit der Schifffahrt" kritisiert, die "der Pfeiler des globalen Handels auf einem der weltweit wichtigsten Seewege ist." Die Bundesregierung betont jedoch gleichzeitig, dass sich Deutschland nur "auf gesicherter rechtlicher Grundlage" an der Operation beteiligen wird. Welche verfassungsrechtlichen und völkerrechtlichen Grenzen gelten für Auslandseinsätze der Bundeswehr?

Auslandseinsätze der Bundeswehr im Bündnis

Als verfassungsrechtliche Grundlage für Auslandseinsätze der Bundeswehr kommen Art. 24 Abs. 2 Grundgesetz (GG) sowie Art. 87a Abs. 2 GG in Betracht. Art. 24 Abs. 2 GG erlaubt Auslandseinsätze der Bundeswehr im Rahmen und nach den Regeln von "Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit", wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in ständiger Rechtsprechung seit der AWACs-Entscheidung von 1994 betont. Dabei ordnet Karlsruhe nicht nur die Vereinten Nationen, sondern auch die NATO als solche Systeme ein. 2019 hat das BVerfG erklärt, dass auch die EU "zumindest vertretbar" nach Art. 24 Abs. 2 GG die entsprechenden militärischen Einsätze mandatieren könne (BVerfG, Beschl. v. 17.09.2019, Az. 2 BvE 2/16). Kann ein solches Mandat der Vereinten Nationen oder der EU erreicht werden? 

Eine Resolution des UN-Sicherheitsrates, die eine militärische Operation im Roten Meer nach Kapitel VII der UN-Charta anordnet, erscheint höchst unwahrscheinlich. Zwar haben die Mitglieder des Sicherheitsrates trotz der Spannungen zwischen den USA und der Russischen Föderation bereits am 1. Dezember 2023 die Angriffe der Huthi-Rebellen auf ein Handelsschiff im Roten Meer verurteilt. Am 10. Januar 2024 hat der Sicherheitsrat dann in einer Resolution gefordert, dass die Huthi-Rebellen "unverzüglich alle Angriffe einstellen, die den weltweiten Handel und die Rechte und Freiheiten der Schifffahrt behindern sowie den Frieden und Sicherheit in der Region untergraben". Einigkeit über das Vorgehen besteht allerdings keineswegs, hat die Russische Föderation doch vor der Ausweitung des Konflikts in der Region durch militärische Maßnahmen der USA und ihrer Verbündeten gewarnt. Auch haben die Russische Föderation und China der Resolution nicht zugestimmt, sondern sich enthalten. 

Aussichtsreicher ist der Weg über ein Mandat der EU. Laut Außenministerin Annalena Baerbock arbeitet die EU "mit Hochdruck" an Plänen für ein solches. Zwar scheiterten Überlegungen einer Erweiterung der seit 2008 bestehenden Operation Atalanta, die die Piraterie vor der Küste Somalias bekämpft, am Widerstand Spaniens. Nun wird auf EU-Ebene jedoch in der nächsten Woche beraten, ob die EU eine getrennte eigenständige maritime Operation ins Leben ruft.

Einsatz der Bundeswehr "zur Verteidigung" im Roten Meer? 

Ohne ein solches EU-Mandat ist zweifelhaft, ob eine deutsche Beteiligung verfassungsrechtlich auf solidem Fundament steht. Zwar existiert mit Art. 87a Abs. 2 GG noch eine weitere Ermächtigungsgrundlage für Auslandseinsätze. Aus dieser ergibt sich die Zulässigkeit von Einsätzen der Bundeswehr "zur Verteidigung". Der Verteidigungsbegriff des GG bezieht sich dabei nach überwiegender Ansicht nicht nur auf die Landes- und Bündnisverteidigung. Bei völkerrechtsfreundlicher Auslegung des GG ist davon auch die Selbstverteidigung nach Art. 51 der UN-Charta umfasst. Danach besteht im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein UN-Mitglied ein Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung. Somit verschmilzt hier die verfassungsrechtliche mit der völkerrechtlichen Beurteilung.

Dass Deutschland sich darauf berufen kann, ist jedoch fraglich. So ist bereits nicht klar, für wen das Selbstverteidigungsrecht ausgeübt wird. Die attackierten Handelsschiffe, deren Schutz der Einsatz dienen soll, fahren ganz überwiegend unter der Flagge kleinerer Staaten wie den Bahamas, Panama oder Liberia. Unabhängig davon, ob Angriffe auf die Handelsflotte bereits ein Selbstverteidigungsrecht auslösen, haben diese Staaten ein solches nicht geltend gemacht. Auch die USA haben die Operation Prosperity Guardian nicht mit dem Selbstverteidigungsrecht begründet. Sie haben lediglich ihre militärische Reaktion auf konkrete Angriffe auf Schiffe damit gerechtfertigt. Israel ist an der Operation nicht beteiligt. 

Verteidigung gegen den Iran oder die Huthi-Rebellen?

Eine weitere Frage ist, gegen wen ein mögliches Selbstverteidigungsrecht ausgeübt werden könnte, gegenüber dem Iran oder den Huthi-Rebellen als nichtstaatlichen Akteuren. Zwischen beiden bestehen enge politische Verbindungen. Damit die Angriffe dem Iran völkerrechtlich zugerechnet werden können, müsste er effektive Kontrolle über das konkrete Verhalten der Huthi haben. Laut amerikanischen Sicherheitsbehörden hat der Iran die Rebellen mit Waffen und Geheimdienstinformationen versorgt, wodurch die Angriffe erst ermöglicht werden. Ob die effektive Kontrolle in diesem Fall belegt werden kann, bleibt jedoch offen.  

Ein schleichender Wandel hin zur Anerkennung eines Selbstverteidigungsrechts direkt gegenüber nichtstaatlichen Akteuren lässt sich vor allem seit den Anschlägen vom 11. September 2001 in der Staatenpraxis beobachten. Das BVerfG hat im Verfahren zum "Anti-ISIS Einsatz" ein solches als "zumindest vertretbar" bezeichnet (BVerfG, Beschl. v. 17.09.2019, Az. 2 BvE 2/16). Die Erweiterung bleibt weiterhin gerade im globalen Süden umstritten, da sie als mögliche Rechtfertigung für Interventionen in Staaten verstanden wird, die aus der Perspektive des Westens nicht ausreichend gegen terroristische Gruppierungen vorgehen. Die Abwehr eines Angriffs im Roten Meer, also auf Hoher See, tangiert die territoriale Souveränität von Drittstaaten aber gerade nicht.  Für einen militärische Operation auf dem Staatsgebiet des Jemens müsste die Zustimmung der international anerkannten Regierung des Jemens eingeholt werden. Insgesamt ist Art. 87a GG als verfassungsrechtliche Grundlage für den Einsatz der deutschen Bundesmarine mit einem deutlich höheren rechtlichen Risiko behaftet als ein im EU-Verbund koordinierter Einsatz. 

Jedenfalls muss der Bundestag auf Grund des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts dem Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland unabhängig von der konkreten Rechtsgrundlage zustimmen. Das gilt nach dem Parlamentsbeteiligungsgesetz, wenn – wie hier – eine Einbeziehung von Soldatinnen oder Soldaten der Bundeswehr in eine bewaffnete Unternehmung zu erwarten ist.

Grenzen des Selbstverteidigungsrechts 

Auch die völkerrechtlichen Vorgaben müssen im Rahmen des möglichen Einsatzes beachtet werden. Das Völkerrecht garantiert die freie Schifffahrt. So enthält das von 169 Staaten ratifizierte Seerechtsübereinkommen ausdrücklich ein Recht auf Transitdurchfahrt in Meerengen. Dieses umfasst in seiner völkergewohnheitsrechtlichen Ausprägung auch den militärischen Geleitschutz von Handelsschiffen. Das gilt erst recht auf Hoher See. Die Regelungen implizieren, dass ein Staat auf ein Hilfeersuchen zur Hilfe kommen darf, wenn Handelsschiffe gewaltsam an der Ausübung ihres friedlichen Transitrechts bzw. ihrer freien Schifffahrtsrechte gehindert werden. Der Sicherheitsrat hat in seiner Resolution vom 10. Januar bekräftigt, dass die Ausübung der Schifffahrtsrechte und -freiheiten durch Handels- und Wirtschaftsschiffe im Einklang mit dem Völkerrecht geachtet werden muss. Zudem erwähnt die Resolution das Recht der Mitgliedstaaten, ihre Schiffe im Einklang mit dem Völkerrecht gegen Angriffe zu verteidigen. 

Allerdings muss dabei beachtet werden, dass Gewalt – solange es kein Mandat des UN-Sicherheitsrats gibt – nur im Rahmen des Selbstverteidigungsrechts ausgeübt werden darf. Dieses Recht besteht nach der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs nur dann, wenn der bewaffnete Angriff gegenüber einem bestimmten Staat ein besonderes Ausmaß erreicht und besondere Wirkungen erzeugt. Voraussetzung ist also, dass die Angriffe der Huthi-Rebellen, die Kriegsschiffe oder Handelsschiffe unter verschiedenen Flaggen betreffen, gegenüber Deutschland oder einem anderen Staat, der ein kollektives Selbstverteidigungsrecht geltend macht, diese Schwelle überschreiten. 

Jedenfalls gelten im Rahmen der Ausübung des Selbstverteidigungsrechts die Grenzen der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der militärischen Reaktion. Die militärische Reaktion muss zwar nicht strikt symmetrisch erfolgen, darf das erforderliche Ausmaß aber nicht überschreiten. Falls sich die Bundesregierung und der Bundestag für einen Auslandseinsatz der Bundesmarine im Roten Meer im EU-Verbund entschließen, müssen diese völkerrechtlichen Vorgaben im Blick behalten werden.

Prof. Dr. Felix Lange, LL.M. (NYU), M.A. ist Direktor am Institut für Völkerrecht und ausländisches öffentliches Recht an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln.

Zitiervorschlag

Huthi-Angriffe im Roten Meer: . In: Legal Tribune Online, 19.01.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53674 (abgerufen am: 12.10.2024 )

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