Hinweisgeberschutzgesetz und Strafverfahren: Wann Straf­ver­folger die Iden­tität eines Whist­le­b­lo­wers kennen müssen

Gastbeitrag von Dr. André-M. Szesny, LL.M.

07.05.2025

Ein Staatsanwalt will die Identität eines anonymen Anzeigeerstatters erfahren, um zu entscheiden, ob er ein Ermittlungsverfahren eröffnet. Ist dies mit dem gesetzlichen Hinweisgeberschutz vereinbar? Eine Einordnung von André Szesny.

Medien berichteten kürzlich, dass die Staatsanwaltschaft Fulda die Identität eines anonymen Hinweisgebers erfahren wollte. Die Reaktionen im Netz: Unverständnis, Entrüstung, Schelte für den Staatsanwalt. Ein Sprecher von Transparency International ließ zudem verlauten, dass nur altmodische Staatsanwälte ein Problem mit der Nutzung technisch-anonymisierte Meldekanäle hätten. Wirklich unerwartet kommt diese Kritik nicht, lautet doch die landläufige Meinung: Das Hinweisgeberschutzgesetz sichert Whistleblowern Anonymität zu.

Im konkreten Fall hatte sich ein Whistleblower anonym an die Staatsanwaltschaft gewandt und auf Vetternwirtschaft und Untreue in einer mit öffentlichen Mitteln finanzierten Organisation aufmerksam gemacht. Nachdem keine Reaktion erfolgte, wandte sich der Hinweisgeber an das Bundesamt für Justiz und die dortige sogenannte externe Meldestelle – ebenfalls anonym. Diese leitete den Hinweis wiederum an die Staatsanwaltschaft weiter, die daraufhin nun den Namen des Whistleblowers erfahren wollte. Andernfalls könne mangels hinreichender Anhaltspunkte für eine Straftat in der Strafanzeige kein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden.  

Tatsächlich muss die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren nur bei Vorliegen eines Anfangsverdachts einleiten, wenn also eine Strafanzeige zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat enthält (§ 158 Strafprozessordnung). Ist dies nicht der Fall, darf sie nicht ermitteln. Vernehmungen, Durchsuchungen oder Sicherstellungen von Beweismaterial "ins Blaue hinein" sind ohne Anfangsverdacht unzulässig. Ist die Strafanzeige hingegen hinreichend tatsachenbasiert, konkret und schlüssig, bedarf es der Kenntnis der Identität des Anzeigeerstatters nicht dringend.  

Ermittlungsmaßnahmen auf Grundlage anonymer Hinweise  

Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat denn auch jüngst entschieden, dass selbst eine Durchsuchung auf der Grundlage einer anonymen Hinweisgebermeldung zulässig ist – wenn sie nur hinreichend konkret ist (Beschl. v. 14.2.2024, u.a. Az.: 18 Qs 49/23).  Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen in Betracht kommenden Durchsuchung genüge der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen worden ist und dass der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer an dieser Tat in Betracht komme. Dass der Anzeigeerstatter namentlich bekannt ist, wird nicht verlangt.

Umgekehrt heißt das: In Fällen, in denen sich auf Grundlage der Strafanzeige allein noch kein Anfangsverdacht ergibt, kann es durchaus entscheidend sein, ob der Anzeigeerstatter anonym war und bleibt. Denn die Kenntnis der Person des Whistleblowers ermöglicht die Beurteilung ihrer Glaubwürdigkeit: In welchem Verhältnis steht sie zu den beschuldigten Personen? Wie glaubhaft ist ihr Vorbringen? Wie groß ist die Gefahr, dass sie aus sachwidrigen Gründen verleumderische Unwahrheiten verbreitet? Wie hoch ist Chance, dass die Anzeige lauter, integer und rechtschaffend erstattet wurde? Dies alles kann nur derjenige zuverlässig einschätzen, der die Person des Hinweisgebers kennt. Genau deshalb werden Vernehmungen in der Regel auch persönlich durchgeführt und nicht anonymisiert oder gar schriftlich.  

Das bedeutet nicht, dass anonymes Whistleblowing folgenlos bleiben muss: Bei anonymen Anzeigen verlangt die Rechtsprechung aber eine besonders sorgfältige Prüfung, ob die Voraussetzungen für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens vorliegen. Mit Blick auf die schutzwürdigen Interessen des Beschuldigten wegen der erhöhten Gefahr und des nur schwer bewertbaren Risikos einer falschen Verdächtigung gilt dies erst recht für eine Durchsuchung als schwerem Grundrechtseingriff (vgl. etwa LG Karlsruhe, Beschl. v. 22. 08.2005, Az. 2 Qs 65/05).  

Vorgaben der RiStBV

Die Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) sehen in Ziffer 8 vor, dass Staatsanwälte auch bei namenlosen Anzeigen prüfen müssen, "ob ein Ermittlungsverfahren einzuleiten ist“. Zudem könne es sich empfehlen, den Beschuldigten erst dann zu vernehmen, wenn der Verdacht durch andere Ermittlungen eine gewisse Bestätigung gefunden habe.  

Mit anderen Worten: Selbst, wenn wegen mangelnder Substanz der Anzeige die Verfahrenseinleitung nicht in Betracht kommt, darf der Anfangsverdacht mittels sogenannter Vorermittlungen erst noch geschaffen werden. In der Praxis ist das nicht unüblich: Statt des Kürzels "Js" (judicium speciale) für Ermittlungsverfahren enthält das staatsanwaltschaftliche Aktenzeichen dann lediglich das Kürzel "AR" (Allgemeine Registersache) – verbunden mit dem konkludenten Signal: "(Noch) kein Anfangsverdacht."  

Im Münchener Kommentar zur StPO heißt es hierzu treffend: "Falls sich aus [anonymen Mitteilungen] ein Anfangsverdacht ergibt, lösen sie ebenso wie offene Anzeigen die Ermittlungspflicht aus. Meist schließt dies Bemühungen um die Identifizierung des Anzeigenden ein. Oft ist es zugleich angezeigt, ein gesteigertes Unglaubwürdigkeits- und Falschverdächtigungsrisiko einzukalkulieren und den Beschuldigten weitgehend zu schonen."

Hätte also der Fuldaer Staatsanwalt die Aufnahme von Ermittlungen allein deshalb abgelehnt, weil die Meldung des Whistleblowers anonym einging, wäre dies fehlerhaft gewesen. Das war hier aber wohl nicht der Fall. Vielmehr enthielt die Anzeige keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine verfolgbare Straftat. Somit hätte der Staatsanwalt mit dem Versuch, den Hinweisgeber zu ermitteln, etwa um ihn zu vernehmen und ihm damit die Möglichkeit der Konkretisierung seiner Vorwürfe zu geben, genau richtig gehandelt.  

Kein Unterlaufen des Hinweisgeberschutzes

Der gesetzliche Hinweisgeberschutz wird damit nicht unterlaufen. Er bindet ohnehin nur den Beschäftigungsgeber. Im konkreten Fall ist der anonyme Hinweisgeber ja ohnehin anonym geblieben; lediglich ein Strafverfahren konnte aufgrund seiner dürren Angaben nicht eingeleitet werden. Anonyme Meldungen werden durch die strafprozessualen Regeln nicht verhindert, sie können – wenn sie nur konkret genug sind – auch als Strafanzeige erfolgreich sein.  

Meldestellen sollen dem Gesetzeswortlaut zufolge anonyme Meldungen ermöglichen. Geht ein anonymer Hinweis ein und lassen auch sonst keine personenbezogenen Daten die hinweisgebende Person (z.B. aus der E-Mail-Adresse, der Telefonnummer oder dem Inhalt der Meldung selbst) erkennen, bleibt der Whistleblower unbekannt.

Wird die Identität des Whistleblowers hingegen bekannt, muss sie geschützt werden: Dem Vertraulichkeitsgebot in § 8 des Hinweisgeberschutzgesetzes (HinSchG) zufolge haben interne Meldestellen die Vertraulichkeit der Identität der hinweisgebenden Person zu wahren. Die Identität von Whistleblowern darf nur der internen Meldestelle und Personen bekannt werden, die für Folgemaßnahmen zuständig sind.  

Keine absolute Gewährleistung der Anonymität

Allerdings kennt das Gesetz Ausnahmen. Auf Verlangen der Strafverfolgungsbehörden in Strafverfahren dürfen Informationen über die Identität der hinweisgebenden Person an diese weitergegeben werden (§ 9 Abs. 2 Nr. 1 HinSchG). Damit ist die Anonymität des Whistleblowers passé. Denn Namen, die in der Ermittlungsakte stehen, werden jedenfalls dem Verteidiger des Beschuldigten bekannt. Wäre im Ausgangsfall dem Bundesamt für Justiz die Identität des Whistleblowers also bekannt gewesen, hätte es diese den Hessischen Strafverfolgern offenlegen müssen. Ein Fehler der Staatsanwaltschaft ist auch insoweit nicht erkennbar.

Diejenigen also, die von einem absoluten Hinweisgeberschutz im Sinne hundertprozentiger Anonymität oder vollumfassender Vertraulichkeit ausgehen, liegen falsch. Denn weder die EU-Whistleblowing-Richtlinie noch das Hinweisgeberschutzgesetz verlangen dies.  Für die Meldestellen – ob nun interne bei den Unternehmen oder öffentlichen Einrichtungen oder externe bei Bundes- und Landesbehörden – bedeutet dies vor allem: Die Beschäftigten müssen entsprechend aufgeklärt werden. Sie dürfen nicht darüber getäuscht werden, dass ihre Identität bekannt werden könnte, auch wenn sie Anonymität verlangen. In den internen Hinweisgeber-Richtlinien, Prozessbeschreibungen, Informationsschreiben und FAQs darf dieser Hinweis nicht fehlen.  

Autor und Rechtsanwalt Dr. André-M. Szesny, LL.M. ist Partner in der Wirtschaftskanzlei Heuking in Düsseldorf. Er leitet die dortige Praxisgruppe Wirtschafts- und Steuerstrafrecht. Außerdem ist er zertifizierter Berater für Wirtschaftsstrafrecht (DAA) und Vertrauensanwalt für diverse Unternehmen.

Zitiervorschlag

Hinweisgeberschutzgesetz und Strafverfahren: . In: Legal Tribune Online, 07.05.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/57129 (abgerufen am: 14.05.2025 )

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