Sterbehilfe: Keine Einbahnstraße in den Tod

von Prof. Dr. Frank Saliger

19.06.2015

2/2: Unangemessene Kriminalisierung

Überzeugt diese Kriminalisierung? Ich meine nein. Zunächst ist nicht zu sehen, wie die Rechtsgüter "Selbstbestimmung" und "Leben" des Betroffenen durch eine geschäftsmäßige Freitodhilfe auch nur abstrakt gefährdet werden sollen. Wenn die individuelle Freitodhilfe keine Rechtsgüter verletzt, wie die Entwurfsverfasser selbst einräumen, dann bleibt unerfindlich, wie aus der bloßen Absicht der Wiederholung einer straflosen Handlung strafbares Unrecht werden soll. Die Freiverantwortlichkeit eines Selbsttötungsentschlusses jedenfalls wird nicht schon dadurch in Frage gestellt, dass der Suizidwillige sich von seriellen Freitodhelfern unterstützen lässt. Denn für die Befürchtung eines Todes aus "Systemzwang" fehlen jegliche Anhaltspunkte. Im Gegenteil weisen alle Sterbehilfevereine seit Jahren darauf hin, dass die große Mehrzahl der Anfragen gerade nicht zu einem begleiteten Suizid führt, die Kontaktaufnahme mit einem Sterbehilfeverein also mitnichten eine Einbahnstraße in den Tod bedeutet. Auch aus dem bloßen Angebotscharakter organisierter Sterbehilfe ergibt sich kein hinreichender Strafgrund. Zwar erzeugt Angebot Nachfrage. Aber wer schon das bloße Angebot als Strafgrund ausreichen lassen wollte, müsste jegliche Marktwirtschaft mit gesundheitsgefährdenden Gegenständen kriminalisieren.

Neukriminalisierung ist verfassungswidrig

Tatsächlich vermag eine professionelle Freitodhilfe sogar dazu beizutragen, Rechtsgüter besser zu schützen. Denn an die Stelle von unfachlichen Suiziden mit schweren Gesundheitsschäden für den Betroffenen oder Brutalsuiziden mit Gefahren für Dritte eröffnet eine professionelle Freitodhilfe den Weg zu einer schmerzfreien und sicheren Selbsttötung in Selbstbestimmung. Insoweit ist die Neukriminalisierung auch verfassungswidrig. Jeder Bürger hat ein Grundrecht auf selbstbestimmte Lebensbeendigung, das im allgemeinen Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG wurzelt. Dieses Grund- und Menschenrecht beinhaltet die Freiheit, Zeitpunkt und Art des Todes selbst zu entscheiden. Das schließt vorbereitende Maßnahmen unter Einschluss jeder denkbaren Hilfe Dritter bis hin zur Suizidassistenz ein, das hat schon der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden (Urt. v. 20.01.11; Az: 31322/07). Soweit die geplante Kriminalisierung dem Suizidwilligen den Weg zu einer professionellen und humanen Suizidhilfe versperrt, greift sie unmittelbar und unverhältnismäßig in das Grundrecht des Betroffenen auf autonome Lebensbeendigung ein.

Mehrheit befürwortet sogar aktive Sterbehilfe

Im Übrigen muss sich das Vorhaben der Kriminalisierung der geschäftsmäßigen Freitodhilfe fragen lassen, ob es auf der Höhe der Zeit ist. Die Mehrheit der Deutschen befürwortet seit Jahrzehnten nicht nur die Zulässigkeit der Freitodhilfe, sondern die Straflosigkeit sogar der aktiven Sterbehilfe. So sind 79 Prozent der Bundesbürger für eine Freigabe des ärztlich assistierten Suizids (Infratest dimap, 10/2014), 72 Prozent für die Erlaubnis jeglicher Freitodhilfe und 66 Prozent für eine Freigabe der aktiven Sterbehilfe (Umfrage YouGov, Zeit-Online v. 21.1.2014). Unlängst haben sich über 140 Strafrechtsprofessoren und Privatdozenten gegen eine Ausweitung der Strafbarkeit der Sterbehilfe ausgesprochen (Medstra 3/2015, S. 129). Darüber hinaus ergeben sich Spannungen zur täterschaftlichen Sterbehilfe. Es erscheint widersprüchlich, wenn der Bundesgerichtshof mittlerweile das Tor zu einem straffreien aktiven Behandlungsabbruch geöffnet hat, der Gesetzgeber aber die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe bestrafen will. Schließlich sind Abgrenzungsschwierigkeiten zu zulässigen Formen der Sterbehilfe sowie zur Suizidbeihilfe in Pflegeheimen und Hospizen programmiert. Der Gesetzgeber von 2012 hatte das selbst noch für den Fall gesehen, dass eine Ärztin einer Intensiv- oder Schwerstkrankenstation oder ein Hausarzt ausnahmsweise und wiederholt Sterbehilfe anbieten (BT-Drucks. 17/11126, S. 8). Das zeigt einmal mehr, dass Strafrecht kein taugliches Mittel zur Suizidprävention ist.

Prof. Dr. Frank Saliger ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Wirtschaftsstrafrecht und Rechtsphilosophie an der Eberhard Karls Universität in Tübingen.

Zitiervorschlag

Prof. Dr. Frank Saliger, Sterbehilfe: Keine Einbahnstraße in den Tod . In: Legal Tribune Online, 19.06.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15892/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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