Der NRW-Finanzminister will Zugriff auf herrenlose Konten, u.a. mit Mitteilungspflichten für Banken und einem neuen zentralen Register. Alexander Knauss wundert sich über den Vorschlag, denn die Instrumente gibt es schon.
Auf der Suche nach immer neuen Geldquellen haben die Finanzminister der Bundesländer offenbar einen bislang unentdeckten Schatz gefunden, der Begehrlichkeiten weckt: So genannte herrenlose Konten, auf denen das Geld Verstorbener brach liegt, weil niemand darauf Ansprüche anmeldet.
Das Geld stehe den Sparern und ihren Erben zu, und, wenn es die nicht gebe, der Allgemeinheit, sagte Norbert Walter-Borjans (SPD) am vergangenen Freitag den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Die Allgemeinheit, das ist der Staat. "Es kann nicht sein, dass Banken Geld bunkern, das ihnen nicht zusteht", so Nordrhein-Westfalens Finanzminister.
Er hat daher eine Länderarbeitsgruppe ins Leben gerufen, er will ein zentrales Register für diese Konten einführen. Er möchte die Banken zur Mitteilung verpflichten, wenn Kunden verstorben sind. Sind keine Erben zu ermitteln, soll der Staat erben. So spektakulär diese Forderung nach einem staatlichen Zugriff auf die Konten klingt, so sehr verwundert sie doch: Diese Möglichkeit besteht bereits heute.
Herrenloses Konto - ein Unwort
Genau genommen gibt es keine "herrenlosen“ Konten. Grundsätzlich hat jedes Konto vielmehr (mindestens) einen Inhaber. Banken müssen sich gemäß § 154 der Abgabenordnung (AO) und auch aufgrund der Vorschriften des Geldwäschegesetzes (GWG) Gewissheit über die Person und Anschrift des Verfügungsberechtigten verschaffen.
Stirbt der Kontoinhaber, geht nach dem in Deutschland geltenden Grundsatz der Universalsukzession das Konto mit dem Tod auf den bzw. die Erben über. Auch wenn regelmäßig erst zu einem späteren Zeitpunkt bekannt wird, wer tatsächlich Erbe ist, wirkt die Erbenstellung auf den Zeitpunkt des Todes zurück. Vereinfacht gesagt: Das Konto hat auch nach dem Tod des Inhabers sofort einen neuen Inhaber, ist also zu keinem Zeitpunkt herrenlos. Bank und Erbe wissen nur nichts voneinander.
In der Schweiz, wo es insbesondere im Zusammenhang mit jüdischem Vermögen, aber auch einer Vielzahl anonymer Konten, so genannte Nummernkonten gab, spricht man daher nicht von herrenlosen, sondern von nachrichtlosen Konten, zu denen sich also schon länger niemand gemeldet hat.
Bei anonymen Konten liegt das in der Natur der Sache. Regelmäßig hat von der Existenz des Kontos außer dem Kontoinhaber niemand Kenntnis und die übliche Korrespondenz der Bank (Kontoauszüge, Mitteilungen etc.) wurde den Kontoinhabern regelmäßig nicht an ihre Heimatan-schrift geschickt. Deshalb erfuhren die Erben meist nicht von der Existenz solcher Konten. Seit 1996 besteht deshalb in der Schweiz für jedermann - bei entsprechender erbrechtlicher Legitimation - die Möglichkeit einer zentralen Suche von kontakt- und nachrichtlosen Vermögenswer-ten des Erblassers über die Anlaufstelle des Ombudsmanns schweizerischer Banken.
Geltendes Recht: Der Staat wird Erbe, und das kann er auch erfahren
In Deutschland wissen Erben dagegen in der Regel von der Existenz der Bankverbindung, da - anders als bei anonymen Auslandskonten - regelmäßig Post von der Bank versandt wird.
Hat der Erblasser aber keine testamentarischen Erben eingesetzt und hinterlässt er weder Ver-wandte noch einen Ehegatten bzw. Lebenspartner, erbt gemäß § 1936 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) dasjenige Bundesland, in dem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen letzten Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Ist auch ein solcher nicht feststellbar, erbt der Bund. Ziel dieser Regelungen ist es gerade, herrenlose Nachlässe zu vermeiden. Bei werthalti-gen Nachlässen muss, bevor festgestellt wird, dass der Fiskus erbt, eine öffentliche Aufforde-rung zur Anmeldung der Erbrechte ergehen (§§ 1964 f. BGB).
Mit anderen Worten: Der Staat kann bereits heute auf herrenlose Konten als Bestandteil eines herrenlosen Nachlasses zugreifen, wenn kein anderer Erbe vorhanden ist. Auch, dass er vom Tod des Erblassers erfährt, ist durch entsprechende Meldepflichten schon sichergestellt. Die Standesämter müssen nämlich für jeden Kalendermonat die Sterbefälle dem für die Verwaltung der Erbschaftsteuer zuständigen Finanzamt mitteilen (vgl. § 4 Erbschaftsteuerdurchführungsverordnung (ErbStDV)). Auch die Gerichte müssen die Erteilung von Erbscheinen, Europäischen Nachlasszeugnissen etc. anzeigen (vgl. § 7 ErbStDV).
Der Fiskus könnte daher ohne weiteres in eigenen Unterlagen abgleichen, ob zu einem ihm an-gezeigten Sterbefall binnen angemessener Frist ein Erbschein erteilt wurde. Ist das nicht ge-schehen, könnte der Staat dann beim Standesamt nachforschen, ob Verwandte vorhanden sind und, sollte dies nicht der Fall sein, schließlich bei Gericht beantragen, sich als Erben festzustellen (§ 1964 BGB).
2/2: Zweck eines zentralen Registers: Lohnt sich der Aufwand?
Wozu also die Forderung nach einem zentralen Register für herrenlose Konten? Es scheint, als ob dem Fiskus der oben beschriebene Weg zu umständlich ist, um verwaiste Nachlässe zu ermitteln.
Um es leichter zu machen, bräuchte es aber kein neues Register, sondern bloß eine Modernisierung der Verwaltung. Denn sofern die Totenlisten von den Standesämtern und die Anzeigen der Gerichte über die Erteilung von Erbscheinen usw. elektronisch dem Fiskus übermittelt würden, wäre ein automatisierter Abgleich innerhalb der Finanzverwaltung sicherlich recht einfach möglich.
Offensichtlich ist es dem Fiskus aber zu mühselig, erst sein Erbrecht feststellen lassen zu müssen, um danach die Unterlagen des Erblassers auf der Suche nach Konten durchforsten zu kön-nen. Stattdessen soll das einzurichtende Zentralregister dem Staat wohl Anhaltspunkte dafür liefern, ob es sich überhaupt lohnt, in einem bestimmten Erbfall sein Erbrecht feststellen zu lassen.
In der Tat hat der Fiskus derzeit keine Möglichkeit, sich in Erbfällen die Kontoverbindungen des Erblassers zu verschaffen. Zwar können schon jetzt sämtliche Konten einer Person durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) im Wege des automatisierten Kontenab-rufs ermittelt und anderen Behörden zur Verfügung gestellt werden (§ 24c Kreditwesengesetz (KWG)). Allerdings darf der Abruf nur unter den dort genannten, engen Voraussetzungen erfol-gen. Die Übermittlung der Daten zur Erforschung eines Nachlasses gehört dazu nicht.
Es könnte alles so einfach sein
Anstatt nun aber ein neues Register und damit eine neue Bürokratie zu errichten und Banken mit weiteren Meldepflichten zu belasten, sollte besser geprüft werden, den Katalog der Gründe, aus denen der Abruf erfolgen kann, in § 24c KWG zu erweitern.
Erstreckte man diesen auch auf Erbfälle und den Kreis der Auskunftsberechtigten nicht nur auf die Finanzämter, sondern auch auf die Nachlassgerichte, könnten auch Erben bzw. Pflichtteils-berechtigte endlich die zum Nachlass gehörenden Konten auf einfache Weise ermitteln. Durch Zwischenschaltung der Nachlassgerichte könnte dabei Missbrauch ausgeschlossen werden, ohne hierfür neue Prüfinstanzen schaffen zu müssen.
Es ist wie so oft, wenn die Politik nach Neuerungen ruft: Die Instrumente sind längst da, sie müs-sen nur konsequent genutzt und den Bedürfnissen angepasst werden.
Alexander Knauss ist Fachanwalt für Erbrecht und Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht in der überörtlichen Sozietät MEYER-KÖRING Rechtsanwälte Steuerberater PartG mbB mit Büros in Bonn und Berlin.
Alexander Knauss, Herrenlose Konten: Wie der Staat an das Geld Verstorbener kommt . In: Legal Tribune Online, 08.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20230/ (abgerufen am: 29.11.2023 )
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