Die am Sonntag zur Oberbürgermeisterin von Köln gewählte Henriette Reker kann in aller Ruhe gesund werden. Dann allerdings muss sie selbst erklären, ob sie das Amt antritt, erklärt Michael Schmitz im Interview.
LTO: Herr Professor Schmitz, wer regiert die Stadt Köln, wenn Henriette Reker ihr Amt nach dem Attentat vom Samstag nicht wie geplant am Mittwoch antreten kann?
Michael Schmitz: Wenn ein Oberbürgermeister sein Amt nicht antreten oder ausüben kann, übernimmt eine Doppelspitze die Regierung der Stadt. Der Stadtdirektor ist dann als erster Beigeordneter für die Geschäfte der Verwaltung zuständig. Die stellvertretenden Bürgermeister, das sind in Köln vier, sind für die Repräsentation der Stadt und die Leitung der Ratssitzung verantwortlich. Sie können sich die Aufgaben teilen. Das ergibt sich alles aus §§ 67, 68 Gemeindeordnung (GO) NRW.
Diese Vertretung besteht so lange fort, wie das Amt nicht ausgeübt werden kann. Die Verhinderung eines Oberbürgermeisters führt also nicht zur Unregierbarkeit der Stadt. Im Fall der Stadt Köln übernehmen, da Henriette Reker ihr Amt noch gar nicht annehmen konnte, Stadtdirektor Guido Kahlen und die vier Bürgermeister, die vom Rat bereits 2014 gewählt worden waren.
Keine Fiktion: OBin muss ihr Amt annehmen
LTO: Henriette Reker ist aus dem Koma erwacht, befindet sich allerdings noch im Krankenhaus. Wie wird sie formal Oberbürgermeisterin?
Schmitz: Bei der Übernahme des Amtes des Oberbürgermeisters wird ein Beamtenverhältnis begründet. Ein solches ist generell stark formalisiert und erfordert eine höchstpersönliche Erklärung, bei der sich nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen niemand vertreten lassen kann.
Für Ratsmitglieder, also nicht für den Oberbürgermeister, wird die Annahme der Wahl nach §§ 35, 36 Kommunalwahlgesetz (KWahlG) fingiert, wenn der Bewerber keine Erklärung abgibt. Die Regelungen für die Ratsmitglieder sind grundsätzlich entsprechend anwendbar auf die Oberbürgermeister, sagt § 46b KWahlG.
Das gilt allerdings nur, wenn es keine andere Regelung gibt, und die existiert mit § 119 Landesbeamtengesetz NRW. Da ist eindeutig geregelt, dass das Amt des Oberbürgermeisters ausdrücklich angenommen werden muss. Ein Schweigen kann nur dann relevant sein, wenn es ein bewusstes Schweigen ist - was ohnehin ausgeschlossen war, solange Henriette Reker im Koma lag.
LTO: Innerhalb welcher Frist muss die Wahl angenommen werden?
Schmitz: Grundsätzlich gilt nach § 35 KWahlG eine Wochenfrist. Die beginnt allerdings erst zu laufen, wenn der Kandidat wieder genesen ist. Hier dürften alle Beteiligten Henriette Reker die Möglichkeit geben, erst einmal soweit gesund zu werden, dass sie aus dem Krankenhaus entlassen werden kann.
Neuwahlen müssten bis Mai 2016 stattfinden
LTO: Was würde geschehen, falls Henriette Reker ihr Amt nicht antreten möchte?
Schmitz: Dann wären zwingend Neuwahlen erforderlich, das folgt aus § 65 GO NRW. Man benötigt bei der Wahl des Oberbürgermeisters eine Mehrheitsentscheidung, die lag klar bei Henriette Reker, nicht bei dem Zweitplatzierten. Ein "Nachrücken" des SPD-Kandidaten Jochen Ott ist daher ausgeschlossen.
Die neuen Oberbürgermeister-Wahlen sollten dann allerdings bis zum 25. Mai 2016 stattfinden – nämlich innerhalb von zwei Jahren nach dem Kommunalwahltermin in NRW im Mai 2014, bei dem die Mitglieder des Stadtrates und der Bezirksvertretungen gewählt wurden. Dieser Termin ist nach § 65 Abs. 5 GO maßgeblich.
Wird danach gewählt und damit die Zweijahres-Frist überschritten, wird automatisch für die nächste Wahlperiode mit gewählt und der nächste Oberbürgermeister bliebe bis zum Jahr 2025 im Amt. Die Entscheidung für den Wahltermin trifft die Stadt. Wichtig ist, dass künftig die Wahlen von Oberbürgermeister und Stadtrat zusammenfallen werden.
LTO: Gab es vergleichbare Situationen?
Schmitz: Kandidaten sind vor Wahlen etwa ernsthaft erkrankt, das gab es schon. Eine Erkrankung ändert aber nichts an der Wählbarkeit der Kandidaten. Von daher steht völlig außer Frage, dass die Wahl von Henriette Reker ordnungsgemäß stattgefunden hat.
LTO: Vielen Dank für das Gespräch.
Professor Dr. Michael Schmitz ist Professor für öffentliches Recht an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW.
Das Interview führte Tanja Podolski.
Tanja Podolski, Nach dem Attentat auf Kölner OB-Kandidatin: . In: Legal Tribune Online, 20.10.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17275 (abgerufen am: 04.12.2024 )
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