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Bund und Länder einigen sich bei Bestandsdatenauskunft: Jetzt kann das Hate­speech-Gesetz kommen – oder?

von Annelie Kaufmann

25.03.2021

Ermittlungen im Internet (Symbol)

Gerhard Seybert - stock.adobe.com

Damit Polizei, BKA und Nachrichtendienste Daten von Handy- und Internetnutzern abfragen dürfen, braucht es neue Regelungen. Nun haben sich Bund und Länder auf einen Kompromiss geeinigt. Damit kann auch das Hatespeech-Gesetz kommen.

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Dass die große Koalition den staatlichen Zugriff auf persönliche Daten von Handy- und Internetnutzern neu regeln muss, ist klar. Nur wie? Darüber wird seit Monaten heftig gestritten. Vor allem Grüne und FDP hatten den Gesetzentwurf des Bundesinnenministeriums (BMI) scharf kritisiert. CDU, CSU und SPD brachten ihn dennoch durch den Bundestag. 

Der Bundesrat allerdings stimmte nicht zu. Stattdessen wurde der Vermittlungsausschuss angerufen, in dem Vertreter von Bundesrat und Bundestag sitzen. Die einigten sich nun am Mittwoch auf einen Kompromiss, mit dem insbesondere auch die Grünen leben können, die an elf Landesregierungen beteiligt sind und deshalb einigen Einfluss geltend machen konnten. 

Es geht um die Frage, unter welchen Voraussetzungen Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden auf bestimmte Daten bei Telekommunikations- und Telemedienanbietern zugreifen dürfen – etwa auf Name und Anschrift von Anschlussinhabern, auf Zugangsdaten, wozu auch Passwörter gehören können, oder auf Angaben zur Nutzungsdauer bestimmter Internetdienste.

Die neue Regelung soll auch das Hatespeech-Gesetz reparieren

Schon vor knapp einem Jahr erklärte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG): Die entsprechenden Vorschriften im Telekommunikationsgesetz (TKG) und mehreren Fachgesetzen sind verfassungswidrig. Seitdem stand fest, dass es eine Reform braucht, die Karlsruher Richterinnen und Richter setzen dem Gesetzgeber dafür eine Frist bis Ende 2021. 

Aber insbesondere für Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) ist es wichtig, dass die Neuregelung schneller auf den Weg kommt. Denn es soll auch das Gesetz gegen Hasskriminalität im Netz reparieren – ein Prestigeprojekt Lambrechts. Dieses sogenannte Hatespeech-Gesetz ist zwar schon verabschiedet, liegt aber seit Monaten beim Bundespräsidenten, der es wegen verfassungsrechtlicher Bedenken nicht ausgefertigt hat. 

Die Übermittlung und Abfrage von Bestandsdaten ist für die Verfolgung von Hasskriminalität im Internet zentral: Denn das Bundeskriminalamt (BKA) soll strafbare Inhalte prüfen, die von sozialen Netzwerken wie etwa Facebook, Twitter oder TikTok gemeldet werden und  anhand der ebenfalls gemeldeten IP-Adresse Bestandsdaten erheben, mit denen der Nutzer identifiziert werden kann. Ohne entsprechende Zugriffsbefugnisse geht das nicht. 

Lambrecht erklärte am Mittwochabend sie sei "sehr dankbar" für die Kompromissbereitschaft im Vermittlungsausschuss. "Wenn Bundestag und Bundesrat dem Kompromiss am Freitag zustimmen, ist endlich der Weg frei für das dringend erforderliche Gesetzespaket gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität", so Lambrecht weiter. Das parlamentarische Verfahren wäre damit abgeschlossen und das das Gesetz zur Neuregelung der Bestandsdatenauskunft könnte dem Bundespräsidenten erneut zur Unterzeichnung vorgelegt werden. 

An vielen Stellen nachgebessert

Der Gesetzentwurf zur Neuregelung der Bestandsdatenauskunft ist umfangreich und bisweilen unübersichtlich: Angepasst werden nicht nur das TKG und das Telemediengesetz (TMG), sondern auch zahlreiche Gesetze, die die Befugnisse der Behörden regeln, darunter das Bundespolizeigesetz (BPolG), das Bundeskriminalamtsgesetz (BKAG) und die Strafprozessordnung (StPO). Denn das BVerfG verlangt stets ein "Doppeltür"-Prinzip: Sowohl für die Abfrage seitens der Behörden wie auch für die Übermittlung durch die Telekommunikations- und Telemedienanbieter müssen die Voraussetzungen definiert werden. 

Der Kompromissvorschlag sieht nun eine Reihe von Nachbesserungen vor. Insbesondere soll deutlicher unterschieden werden zwischen Telemedienbestandsdaten und Telemediennutzungsdaten. Der Begriff der "drohenden Gefahr" wird in den jeweiligen Vorschriften gestrichen, stattdessen wird auf den Schutz bestimmter Rechtsgüter abgestellt – etwa Leib, Leben und Freiheit oder sexuelle Selbstbestimmung von Personen oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes. 

Bestandsdatenabfragen, bei denen auf eine zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesene IP-Adresse abgestellt wird, sollen die Behörden nur vornehmen dürfen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die betroffene Person Nutzer des Telemediendienstes ist, bei dem die Daten erhoben werden sollen. 

Außerdem wird klargestellt, dass nur bei Vorliegen bestimmter besonders schwere Straftaten eine Passwortherausgabe in Betracht kommt.Wie schon bisher gilt dabei in der Regel ein Richtervorbehalt. Werden der Bundespolizei oder dem Bundeskriminalamt unverschlüsselte Passwörter mitgeteilt, müssen sie die Datenschutzaufsicht informieren.

Zurück nach Karlsruhe? 

Um den Kompromiss wurde heftig gerungen. Noch nach der der Einigung im Vermittlungsausschuss warf der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Dirk Wiese Grünen und FDP "taktische Spielchen" und eine "verantwortungslose Blockade" vor. 

Diese Vorwürfe seien "absurd", so Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag, gegenüber LTO: "Während sich die Bundesjustizministerin, von der man in den letzten Wochen nichts gehört hat und deren Aufgabe es gewesen wäre, dringend notwendige rechtsstaatliche Verbesserungen im Gesetzgebungsprozess durchzusetzen, für den jetzigen Kompromiss abfeiert, attackiert die SPD-Bundestagsfraktion nun allen Ernstes die Grünen? Das ist an Scheinheiligkeit nicht zu überbieten."

Grüne und FDP, aber auch mehrere Sachverständige im Bundestag hatten immer wieder darauf hingewiesen, es sei gut möglich, dass die Neuregelungen zur Bestandsdatenauskunft ohne grundlegende Änderungen wieder vor dem BVerfG scheitern. Das wäre das dritte Mal: Das BVerfG hat nicht nur 2020 die Bestandsdatenauskunft kassiert ("Bestandsdatenauskunft II"), sondern auch schon 2012 einen ersten Anlauf ("Bestandsdatenauskunft I"). "Hätte die GroKo früher auf uns und den Rat aller unabhängigen Sachverständigen gehört, hätte es keines Vermittlungsausschusses bedurft", so von Notz. "Konstruktive Vorschläge der SPD-Bundestagsfraktion haben wir im gesamten Verfahren nicht wahrgenommen."

Ob die Neuregelung nun vor den Augen der Karlsruher Richter besteht, gilt als offen. Der FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae, der ebenfalls an der Aushandlung des Kompromisses beteiligt war, sagte gegenüber LTO: "Gerade weil das Ziel, Rechtsextremismus und Hasskriminalität im Netz zu bekämpfen, so wichtig ist, hätte man sorgsamer die Vorgaben des BVerfG und des EuGH umsetzen sollen." Beim Zugriff auf die Daten von Internetanbietern entstehe der Eindruck, "als hätte man das Internet noch immer nicht verstanden", so Thomae. Bestands- und Nutzungsdaten bei Telemedien seien besonders sensibel. "Hier und insbesondere bei den Eingriffsbefugnissen der Nachrichtendienste gelten aber noch immer zu niedrige und undifferenzierte Zugriffsanforderungen."

Auch wenn also vorerst eine Lösung in Sicht ist – wie lange die hält, bleibt abzuwarten. 

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Bund und Länder einigen sich bei Bestandsdatenauskunft: Jetzt kann das Hatespeech-Gesetz kommen – oder? . In: Legal Tribune Online, 25.03.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44584/ (abgerufen am: 30.05.2023 )

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